Gesperrte Akten mit NSU-Bezug – ein Sachverständiger für alle Fälle

Eine Performance der Kampagne "Blackbox Verfassungsschutz" zum NSU-Komplex. Foto: Blackbox-VS

Hessens Landesregierung will Verfassungsschutz-Dokumente nicht freigeben. Was sie sich stattdessen überlegt hat, bezeichnet eine Oppositionspolitikerin als "Placebo-Pille"

Das Land Hessen hat im Zusammenhang mit dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) eine besonders denkwürdige Geschichte geschrieben. Es war der Ministerpräsident Volker Bouffier, (CDU) der 2006 als Innenminister durch eine Sperrerklärung verhinderte, dass die V-Leute eines Verfassungsschutzbeamten, der zur Tatzeit am Tatort des Mordes an Halit Yozgat in Kassel gewesen war, polizeilich vernommen werden konnten. Schließlich sei der Quellenschutz wichtiger, hieß es sinngemäß zur Begründung.

Nun musste sich die "schwarz-grüne" Landesregierung mit einer Petition auseinandersetzen, in der die Freigabe von Akten mit möglichem NSU-Bezug gefordert wird. Anfangs wollte der hessische Verfassungsschutz diese Dokumente für 120 Jahre unter Verschluss halten.

Es geht hauptsächlich um Akten und einen Bericht aus den Jahren 2013 und 2014, aus denen neue Erkenntnisse über die Mord- und Anschlagsserie des NSU und mögliche Verbindungen zum späteren Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) hervorgehen könnten.

Der inzwischen für diesen Mord verurteilte Stephan Ernst war Teil der hessischen Neonaziszene und hatte Kontakt zur "Quelle" des V-Mann-Führers Andreas Temme, der am 6. April 2006 im Internetcafé von Halit Yozgat gesessen und angeblich nicht mitbekommen hatte, dass der junge Besitzer erschossen worden war. Temme hatte mit genau dieser "Quelle", dem V-Mann Benjamin Gärtner, an diesem Tag elf Minuten lang telefoniert. Unklar ist, in welche Rolle alle drei Personen in den gesperrten Akten spielen.

"Die unverhältnismäßig langen Sperrfristen von 30, 50, 90 und 120 Jahren sind ein zutiefst fragwürdiges und undemokratisches Instrument, durch das eine Kontrolle der Geheimdienste in der Öffentlichkeit nahezu unmöglich gemacht wird", heißt es in der Petition, die knapp 135.000 Menschen unterschrieben haben.

Die Akten soll nun ein Sachverständiger sichten: Der frühere hessische Justizstaatssekretär Rudolf Kriszeleit (FDP) soll dabei die Fragestellungen aus der Petition berücksichtigen. CDU und Grüne im hessischen Landtag meinen, damit einen klaren Schritt auf die Petenten zuzugehen.

Die Vorsitzende der dortigen, Linksfraktion Elisabeth Kula, spricht dagegen von einer "Placebo-Pille". Ihre Fraktion halte an der Forderung fest, die Akten und insbesondere den unter Verschluss gehaltenen Bericht endlich offenzulegen, so Kula.

"Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Landesregierung und die Fraktionen von CDU und Grünen hinter einem Sachverständigen verstecken wollen, der absehbar nichts Wesentliches zur Aufklärung beitragen und dem Anliegen der Petition nicht gerecht wird", erklärte sie.

Die Linke stellt im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags mit Hermann Schaus den stellvertretenden Vorsitzenden, geleitet wird das Gremium aber von dem CDU-Politiker Christian Heinz. Die neuen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat jahrelang als Obfrau ihrer Fraktion in dem Ausschuss mitgearbeitet.