Kunstaktion erfolgreich: Niederländische Bürgermeister fordern Prüfung der Corona-Regeln

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Yoga im Museum, Haareschneiden im Theater? Kulturschaffende protestierten trotz Verwarnungen. Bürgermeister sprangen ihnen mit Brandbrief bei. Am Ende des Tages eskalierte die parlamentarische Debatte über Corona-Maßnahmen

Der Mittwoch stand in den Niederlanden im Zeichen der Kunst: der Bühnen- und Aktionskunst. Nachdem bereits vorher Ladenbesitzer und Gastwirte Regeln des Lockdowns übertreten hatten, zog nun auch der Kultursektor nach.

Für viele Kulturschaffende war nicht mehr nachvollziehbar, warum seit 15. Januar Friseursalons, Ladengeschäfte, Sportclubs und Yogastudios wieder öffnen durften, Kinos, Konzertsäle oder Theater aber ihre Kunden weiterhin abweisen müssen. Sie hätten doch vorher bewiesen, dass sie Abstands- und Hygieneregeln einhalten.

Dazu kam, dass auch einige Mitglieder der Exekutive andeuteten: Regelübertretungen könne man als "Demonstration" auffassen, wenn sie nur vorübergehend sind. Sogar der Premierminister höchstpersönlich hatte das in der Regierungspressekonferenz auf Nachfrage eines Journalisten eingeräumt.

So kamen Kulturschaffende auf Vorschlag des Kabarettisten Diederik Ebbinge auf die Gedanken, Theater in Friseursalons oder Museen in Sportstudios umzuwandeln. Manche richteten auf Bühnen sogar einen Massage- oder Schönheitssalon ein.

Quer durch das Land nahmen Dutzende kulturelle Einrichtungen an der Aktion teil. Vielfach wurden von den Ordnungshütern zwar Verwarnungen ausgeteilt, soweit bekannt aber keine wirklichen Geldbußen verhängt. Ein paar Initiativen sollen wegen Warnungen aber im Voraus aufgegeben haben.

Vereinzelt kam es zur Eskalation oder legte man es darauf an: So ignorierte das Theater "Kleine Kömodie" (niederl. "Kleine Komedie") in Amsterdam schlicht die Verwarnungen; dabei hatte die Amsterdamer Bürgermeisterin am Vortag noch einmal unterstrichen, die Regeln durchzusetzen. Im Endeffekt passierte aber nichts und so konnte die Aktion bis um 17:00 Uhr laufen.

Im Rotterdamer Theater "Walhalla" zog man mit seiner Aktionskunst raus auf die Straße, als die Ordnungshüter kamen. Etwas später hörte man dann aber doch auf. Der Theaterdirektor berichtete, der Bürgermeister habe ihm mit Bußgeld und Polizeieinsatz gedroht.

Brandbrief der Bürgermeister

Noch am selben Abend veröffentlichten aber just dieselben Bürgermeister – und mit ihnen viele andere – einen Brandbrief in der Tageszeitung de Volkskrant. In diesem machen sie auf ihre Zwickmühle aufmerksam und fordern sie die nationale Regierung dazu auf, die Coronamaßnahmen dringend zu überdenken.

Die Juristen von Städten und Gemeinden müssten beispielsweise Überstunden machen, um herauszufinden, wie sich Yogastunden im Museum oder ein Friseursalon im Theater zu den Notgesetzen verhalten. Ein Debattenzentrum in Amsterdam habe sich sogar als religiöse Glaubensgemeinschaft eingetragen und genieße darum nun möglicherweise besonderen Schutz des Grundgesetzes.

Gleichzeitig nehme in der Bevölkerung das Verständnis für die einschränkenden Coronamaßnahmen ab: Die Krankenhausaufnahmen würden sinken, und in den umliegenden Ländern gebe es weniger einschränkende Regeln. Tatsächlich Pendeln insbesondere im belgischen und deutschen Grenzgebiet seit Wochen Niederländer zum Einkaufen und Ausgehen hin und her.

Im Laufe der Coronapandemie sei der Fokus von der Eigenverantwortlichkeit der Bürgerinnen und Bürger stets mehr hin zu den lokalen Ordnungsbehörden verschoben worden. Also den Behörden, denen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vorstehen. Diese müssten dann die von der Zentralregierung in Den Haag vorgegebenen Maßnahmen umsetzen.

Regeln könnten aber nur funktionieren, wenn die Bürger ihre Notwendigkeit verstehen. Vielleicht liegt das auch an der Eigenwilligkeit der Niederländer? "Es ist faktisch unmöglich aber auch rechtsstaatlich unerwünscht, um niederländische Bürger mit Repression und Zwang von der Gültigkeit von Regeln zu überzeugen", stellen die Amtsträger fest.

Diese Strategie würde nicht nur die Ordnungskräfte erschöpfen – tatsächlich streikt die Polizei bereits mit vereinzelten Aktionen gegen die Überlastung –, sondern auch Regierung und Bürger spalten. Man brauche jetzt eine vernünftige Perspektive für den längeren Zeitraum und nicht sich stets ändernde Regeln.

Die Bürgermeister wollen nicht nur als Ordnungshüter gegen die Bevölkerung in Stellung gebracht werden, sondern ihr gerade in diesen schweren Zeiten auch helfend beistehen: den Bewohnern, Unternehmern, Künstlern und anderen mehr. Insgesamt zeichneten 31 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister den Aufruf mit ihrem Namen, darunter auch die Vorsteher wichtiger Städte wie Amsterdam, Den Haag, Utrecht oder Rotterdam.

Spannungen in Den Haag

Die neue Justizministerin betonte indessen noch einmal in einem Schreiben an den Nationalen Sicherheitsrat, dem 25 Bürgermeister angehören, die Bedeutung der Coronamaßnahmen.

Diese müssten eingehalten werden. Die Aktionen des Kultursektors seien nicht erlaubt. Man plante aber für den 20. Januar kurzfristig eine Sondersitzung des Sicherheitsrats.

Dort wollten die Bürgermeister mit der Justizministerin über die Möglichkeit von Lockerungen für das Gaststättengewerbe und den Kultursektor sprechen. Die Ministerin musste dann aber absagen, weil im Parlament in Den Haag die Diskussion über just die Coronamaßnahmen eskalierte.

So wurde einem Abgeordneten der rechtspopulistischen Partei "Forum voor Democratie" (FvD), Gideon van Meijeren, wegen Verstößen gegen die Debattenregeln das Mikrofon abgedreht. Dieser hatte zu bürgerlichem Ungehorsam und Missachtung von Gesetzen aufgerufen. Da er die Anweisungen der Parlamentsvorsitzenden anhaltend ignorierte, unterbrach diese schließlich die Sitzung.

Später kritisierten Abgeordnete anderer Parteien den FvD-Mann für die Aussage, dass die Coronaregeln "kriminell" seien und die dafür Verantwortlichen bestraft werden müssten. Die Parlamentsvorsitzende fragte ihn dann, ob er gegen das Kabinett ein Gerichtsverfahren wegen Amtsmissbrauchs anstrengen wolle.

Als dieser verneinte, meinte die Vorsitzende, dann wolle sie von seinen Anschuldigungen nichts mehr hören. Weil sich andere Abgeordnete in die Diskussion einmischten und die Debatte erneut eskalierte, wurde die Sitzung aber wieder unterbrochen.

Später kamen sogar aus den Reihen der Regierungskoalition Stimmen, die sich für die Öffnung des Gaststättengewerbes und Kultursektors aussprachen. Dabei ist Mark Ruttes viertes Kabinett erst seit dem 10. Januar im Amt und verfügt im Parlament nur um eine hauchdünne Mehrheit von zwei (von insgesamt 150) Sitzen.

Droht nach der längsten Sondierungs- und Koalitionsverhandlungsphase in der Geschichte der Niederlande die neue Regierung jetzt schon wieder zu zerbrechen? Während sich in den Medien Berichte über die abnehmende Zahl von Covid-Patienten in den Krankenhäusern mehrten, schaltete sich der Direktor des Reichsinstituts für Gesundheit (RIVM) ein.

Dieser räumte nun ein, die Situation für das Omikronvirus zu pessimistisch eingeschätzt zu haben. Er und die anderen Mitglieder des "Outbreak Management Team" beraten die Regierung zu den Coronamaßnahmen, auch als der harte Lockdown zum 19. Dezember verkündet wurde.

Während der neue Gesundheitsminister bisher betont hatte, es sei noch zu früh für weitere Lockerungen, zeigte sich am Ende des Tages Premierminister Mark Rutte bemüht um Deeskalation: Man sei jetzt hoffnungsvoll, in Kürze die Gast- und Kulturstätten sowie Sportveranstaltungen wieder für Publikum zu öffnen. Dabei berief er sich ausdrücklich auf die positive Meldung des RIVM-Direktors.

Für den kommenden Dienstag ist nun eine Regierungsentscheidung angekündigt. Bis dahin will sich das Kabinett noch beraten lassen, insbesondere zur tatsächlichen Gefährlichkeit von Omikron.

Ob die Bevölkerung und die verschiedenen Sektoren noch einmal eine Verschärfung der Maßnahmen oder auch nur die Verlängerung der heute geltenden Einschränkungen akzeptieren würden, ist zurzeit äußerst fraglich.

Im Extremfall könnte die nationale Regierung Bürgermeister absetzen und durch linientreuere Kandidaten ersetzen. Das wäre aber wahrscheinlich der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brächte.

Wenn sich die Omikronvariante tatsächlich als relativ harmlos erweist und das Kabinett die Coronamaßnahmen nachhaltig lockert, dürfte sich die Lage entspannen. Andernfalls wären aber die Tage des noch so jungen Kabinetts Rutte IV gezählt, wenn nur ein paar Abgeordnete aus den eigenen Reihen ausscheren.