Gutachten: Vorstöße von Kassenärzten gegen Ungeimpfte rechtswidrig und kaum umsetzbar

Experten widersprechen Haltung der Kassenärztlichen Vereinigung in Baden-Württemberg deutlich. Auch Vorstoß des Berliner Verbandes kritisch bewertet

Vorschläge der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in Berlin und Baden-Württemberg zur Sanktionierung von Patienten ohne eine in der EU zugelassene Corona-Schutzimpfung stünden nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags im Widerspruch zu dem gesetzlichen Versorgungsauftrag von Kassenärzten und wären in der Praxis rechtlich nicht umsetzbar.

Die Parlamentsexperten hatten auf Anfrage aus der Linksfraktion einen Vorstoß der beiden Vorsitzenden der KV Baden-Württemberg bewertet, die den Mitgliedern des Verbandes Mitte November empfohlen hatten, nicht geimpfen Patienten nur noch eine Sprechstunde für zehn Minuten anzubieten und außerhalb dieser Zeit die reguläre Behandlung zu verweigern.

Als nicht umsetzbar und rechtlich fragwürdig stuften die Bundestagsjuristen nun diesen und einen ähnlich gelagerten Vorstoß der KV Berlin ein. Diese hatte gefordert, nicht geimpfte Patienten, sollten sie wegen einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden, einen Teil der Kosten in Rechnung zu stellen.

Dieser Vorschlag wurde bereits vom Kassenärztlichen Bundesverband zurückgewiesen. Kritisch äußerte sich auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV), der auf die zwingende Wahrung des Solidarprinzips im Gesundheitssystem verwies: "Der Anspruch auf medizinische Leistungen ist unabhängig von der jeweiligen Beitragshöhe, sie richten sich alleine nach der medizinischen Notwendigkeit."

Auch der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sprach sich gegen die Variante aus, Kassenbeiträge für Ungeimpfte zu erhöhen.

Diese Position bekräftigte der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko gegenüber Telepolis: "Die Vorstöße, die medizinische Versorgung Ungeimpfter einzuschränken, oder sie an den Kosten einer möglichen Behandlung zu beteiligen, legen die Axt an das Solidarprinzip des Gesundheitssystems."

Damit würde die Büchse der Pandora geöffnet, der dann morgen auch die Aufkündigung des Solidarprinzips für Raucher, Übergewichtige, Skifahrer etc. stehen könnte. "Ich hoffe, diese Vorschläge sind jetzt vom Tisch", so Hunko, der das Gutachten in Auftrag gegeben hatte.

KV-Baden-Württemberg forderte De-facto-Ausschluss Ungeimpfter

Nach Kritik hatte die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg (KVBW) ihren Vorschlag relativiert und ein entsprechendes Schreiben aus dem Netz gelöscht, an ihrer Haltung aber grundsätzlich festgehalten.

Die beiden KVBW-Vorsitzenden Norbert Metke und Johannes Fechner – beide praktizierende Kassenärzte – hatten ihren Mitgliedern vorgeschlagen, Patienten, die sich einer Corona-Impfung verweigern, de facto von der Behandlung auszuschließen. In einem Rundbrief an die Kassenärzte in Baden-Württemberg schrieben der Orthopäde Metke und der Allgemeinmediziner Fechner:

Ihrer besonderen Verpflichtung, dem Schutz vulnerablen Gruppen nachkommend, ist jedoch folgender Lösungsansatz möglich: Es ist zulässig, getrennte Sprechstunden, von Notfällen abgesehen, für 2G/3G und andere einzurichten (…), z. B. 3G-Sprechstunde von 08.00 - 18.00 Uhr; non 3G-Sprechstunde von 07.00 - 07.10 Uhr.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sieht diese Idee in direktem Widerspruch zum kassenärztlichen Versorgungsauftrag, der sich aus dem Vertragsarztrecht ergibt und den die KV dem Grunde nach zu bewahren beauftragt ist.

Laut dem "Bundesmantelvertrag-Ärzte" dürfe Vertragsarzt die Behandlung eines Versicherten nur in begründeten Fällen ablehnen, heißt es in dem Bundestagsgutachten, das Telepolis exklusiv vorliegt:

Erforderlich ist das Vorliegen sachlicher Gründe. In der juristischen Literatur heißt es hinsichtlich des Vorliegens solcher sachlichen Gründe, dass, solange der Arzt Gefährdungen für sich, seine Mitarbeiter und andere Patienten durch geeignete und zumutbare Schutzmaßnahmen beherrschen kann, er die Behandlung eines Patienten zum Beispiel wegen dessen Infektion mit SARS-CoV-2 nicht ablehnen dürfe.

Nach Ansicht des Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie der KBV gelte dies auch für die Behandlung von Patienten ohne 3G-Nachweis.

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags

Die baden-württembergischen KV-Vorsitzenden Metke und Fechner hatten zudem nicht mit Schutzpflichten für Mitarbeiter oder andere Patienten argumentiert, sondern "Impfverweigerung als frech und gesellschaftlich inakzeptabel" bezeichnet und angefügt: "Völlig zu Recht wird daher gefordert: 2G/3G-Regeln zu einer Voraussetzung für medizinische Behandlungen zu machen."

Kostenbeteiligung rechtswidrig und nicht umsetzbar

Die KV Berlin hatte ebenfalls Mitte November vergangenen Jahres eine "Kostenbeteiligung Ungeimpfter an Krankenhausleistungen" gefordert, sollten diese mit einer Coronainfektion stationär oder gar intensivmedizinisch behandelt werden. Möglich wäre dies über eine Eigenbeteiligung oder über einen Aufschlag auf den Kassenbeitrag.

Der bayerische Gesundheitsminister und derzeitige Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz Klaus Holetschek hat indes "Malusregelungen" im Falle von Verstößen gegen die aktuell diskutierte allgemeine Impfpflicht vorgeschlagen. Möglich seien, so der CSU-Politiker, höhere Krankenkassenbeiträge, eine Beteiligung an den Behandlungskosten oder die Streichung des Krankengeldes.

Weltärztebundchef Montgomery sagte dazu: "Unser Gesundheitssystem kennt keine verschuldensabhängigen Beitragszahlungen." Wäre dies anders, müssten auch Raucher oder Extremsportler an etwaigen Kosten beteiligt werden.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags stützt diese Position juristisch und verweist in seinem Gutachten auf das Fünfte Buch des Sozialgesetzbuches, in dem als Ausnahmen für Leistungsbeschränkungen lediglich medizinische Behandlungen infolge von "ästhetische(n) Operationen, eine(r) Tätowierung oder einbe(m) Piercing" aufgeführt werden.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte dazu, bei den genannten Fällen handele es sich um risikoreiche Eingriffe, die in keiner Weise mit einer fehlenden Schutzimpfung vergleichbar seien. "Unterlassen ist etwas ganz anderes als Handeln", so Brysch.

Mögliche Sanktionierungen hängen noch sehr von einer gesetzlichen Regelung einer etwaigen Impfpflicht ab, die derzeit von den Parteien der Ampel-Koalition diskutiert wird.

In jedem Fall aber, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, müsse für Sanktionen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem vorsätzlichen Handeln und der Krankheit bestehen:

Hinsichtlich der Covid-19-Erkrankung infolge einer unterlassenen Schutzimpfung dürften aufgrund einer fehlenden hundertprozentigen Wirksamkeit der Schutzimpfung nicht unerhebliche Beweisschwierigkeiten bestehen. Die Beweislast würde der Krankenkasse obliegen.

Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags