Israel und die Apartheid-Debatte

Sicherheitsmauer und Check Point in Bethlehem. Bild: James Emery, CC BY 2.0

Die Reaktionen auf den jüngsten Bericht von Amnesty International zu Nahost lässt zahlreiche ähnliche Beobachtungen und Repliken außen vor. Ein Blick auf die Rechtslage

Die Empörung über den jüngsten Bericht von Amnesty International "Israels Apartheid gegen die Palästinenser. Ein grausames System der Beherrschung und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit" war vorauszusehen. Alle bekannten Stereotypen der Verteidigung sind von der israelischen Regierung wieder hervorgeholt worden: "Dämonisierung, um Israel zu delegitimieren. Das sind genau die Zutaten, aus denen der moderne Antisemitismus besteht." Seit der Staatsgründung 1948 werde Israel "effektiv das Existenzrecht abgesprochen".

Außenminister Jair Lapid: "Lügen statt Fakten, die von terroristischen Organisationen verbreitet werden." Sie sind von gleichem Wert wie seine Versicherung, dass Israel "dem Internationalen Recht verpflichtet und offen für genaue Überprüfungen" sei. Das wäre ein radikaler Schwenk israelischer Politik und könnte bei den anstehenden Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs über den Krieg gegen Gaza 2014 und die Siedlungspolitik hilfreich sein.

Zu erwarten war auch die offenbar gut abgestimmte Kritik des Zentralrats der Juden, dessen Präsident Josef Schuster die deutsche Sektion von Amnesty auffordert, "sich von dem antisemitischen Bericht zu distanzieren". Wenn er allerdings den Bericht angreift, "weil er ohnehin verbreiteten israelbezogenen Antisemitismus in Europa weiter schüren wird", verwechselt er genauso wie die taz, die ihm folgt, offensichtlich Ursache und Wirkung.

Nicht der Bericht über die Menschenrechtsverstöße schüren den Antisemitismus, sondern die Menschenrechtsverstöße selbst. Es ist wie bei Edward Snowden und Julian Assange: die Verantwortlichen prügeln die Boten ihrer Vergehen. Nur ist Amnesty zum Glück unangreifbarer als die unglücklichen Whistleblower.

Aber auch manche Redaktion fühlt sich irritiert. Ist man doch gerade dabei, die Aufmerksamkeit auf die angeblichen Menschheitsverbrechen der Chinesen gegen die Uiguren zu lenken? Chinesen und Israelis auf einer gemeinsamen Anklagebank? Das geht gar nicht.

Die betroffenen Redaktionen dürften jedoch nicht überrascht sein, denn seit Jahren wird der Vorwurf der Apartheid durch seriöse Untersuchungen gegen Israel erhoben.

Als 2007 John Dugard, Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats, einen ersten Bericht über die desaströse Lage der Menschenrechte in den besetzten Gebieten vorlegte, wurde er wegen angeblicher Einseitigkeit von Israel und den USA scharf kritisiert und auf Druck Israels durch den US-amerikanischen Kollegen Richard A. Falk abgelöst.

Nächster Sonderberichterstatter, gleiche Positionen

Dugard bekannte in jenem Jahr:1

Ich bin Südafrikaner, der in der Apartheid gelebt hat. Ich zögere nicht zu sagen, dass Israels Verbrechen unendlich viel schlimmer sind als die Verbrechen, die Südafrika mit seinem Apartheid-Regime begangen hat.

Doch sein ebenfalls jüdischer Kollege aus den USA, Richard A. Falk, bereitete der israelischen Regierung auch keine Freude. Schon in seinem ersten Bericht an die Generalversammlung im Oktober 2010 schrieb er:2

Es ist die Meinung des gegenwärtigen Sonderberichterstatters, dass die Natur der Besatzung im Jahr 2010 die früheren Vorwürfe des Kolonialismus und der Apartheid noch deutlicher faktisch und rechtlich beweist als drei Jahre zuvor. Die kolonialistischen und Apartheid-Züge der israelischen Besatzung haben sich in einem kumulativen Prozess eingegraben. Je länger das dauert, desto schwieriger sind sie zu überwinden und desto ernster ist die Verkürzung der fundamentalen palästinensischen Rechte.

Auch er wurde nach Ablauf seines Mandats 2014 nicht wiedergewählt. Zuvor hatte er in seinem letzten Bericht der UN-Generalversammlung empfohlen, beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag ein Gutachten über den rechtlichen Status der jahrzehntelangen Besatzung einzuholen, in dem "der rechtlich unakzeptabel Charakter von 'Kolonialismus', 'Apartheid' und 'ethnischer Säuberung'" festgestellt wird.3

Falk wiederholte und bestärkte diesen Vorwurf in einem neuen Gutachten 2017, welches er gemeinsam mit Virginia Tilley für die Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien der UNO (United Nations Economic and Social Commission for Western Asia, Escwa) verfasste.

Das Gutachten kommt zu dem Schluss, "dass die israelische Politik als rassistisch zu beurteilen ist und zum Zwecke der Unterdrückung der Palästinenserinnen und Palästinenser in Israel ein Apartheid-System errichtet hat".4

Der Vorwurf des Rassismus und der Apartheid rief eine derartige Empörung bei einflussreichen Mitgliedern der UNO hervor, dass UN-Generalsekretär António Guterres den Bericht von allen offiziellen UN-Webseiten entfernen ließ.

Die Escwa-Exekutivsekretärin Rima Khalaf trat aus Protest gegen diesen beispiellosen Vorgang von allen ihren Ämtern zurück und erklärte, dass sie weiterhin zu diesem Bericht stehe. Als Guterres Virginia Tilley aufforderte, sich von ihrem Bericht zu distanzieren, legte auch sie ihr Mandat nieder und bekannte sich weiterhin zu dem Bericht.

Hatte man mit dem Begriff der Apartheid gegenüber Südafrika keine Schwierigkeiten, so sträuben sich nicht nur die offiziellen jüdischen Institutionen gegen diese Charakterisierung und betonen immer wieder die tatsächlichen Unterschiede zwischen den beiden Gesellschaften.