Tempo raus, Leben rein

An der Einführung einer flächendeckenden Tempo-30-Regelung für Städte und Gemeinden führt kein Weg vorbei

Die Zeiten ändern sich. Der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lehnte Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften noch als "nicht erforderlich und nicht sinnvoll" ab. Sein Nachfolger Volker Wissing (FDP) findet, dass die Kommunen vor Ort am besten wissen, was für ihre Bewohner:innen gut ist.

Er sei für "unterschiedliche Lösungsansätze und Experimentierfelder" und fordert nicht ideologisch, sondern flexibel vorzugehen. Gegenüber dem Tagesspiegel betonte Wissing, die Städte seien flexibler, um den Rad- und Fußverkehr sicherer zu machen und Menschen besser vor Lärm zu schützen.

Paradigmenwechsel in der Politik

Bereits im Mai 2020 hatte der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung empfohlen, das innerstädtische Tempo auf 30 km/h zu begrenzen. 2021 zog der Deutsche Städtetag nach. "Wir wollen den Verkehr in den Städten effizienter, klimaschonender und sicherer machen", sagte der Städtetagspräsident, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD).

Außerhalb von Hauptrouten solle Tempo 30 flächendeckend zur Regelgeschwindigkeit werden. "Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten", heißt die Initiative des Städtetages, der sich bereits über 70 Städte angeschlossen haben. Im Kurzpapier der Initiative heißt es jedoch:

Ein wesentliches Instrument zum Erreichen dieses Ziels ist ein stadtverträgliches Geschwindigkeitsniveau im Kfz-Verkehr auch auf den Hauptverkehrsstraßen.

Sprich, auch die Hauptverkehrsstraßen, an denen viele Menschen wohnen, bekämen Tempo 30 – und nicht wie bisher Tempo 50.

Vorreiter Spanien – Tempo 30 in Europa

In Europa ist Spanien Vorreiter. Hier gilt seit dem 11. Mai 2021 Tempo 30 in allen Städten. Gibt es keine Bürgersteige reduziert sich das Tempo auf 20 km/h. Es gibt sogar Städte – Sevilla etwa –, die in Teilen der Altstadt, den Fußgänger:innen absoluten Vorrang gewähren.

In vielen weiteren Ländern gibt es ebenfalls den Wunsch, Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit zu machen. Metropolen wie Paris, London, Brüssel oder Helsinki gehen als gutes Beispiel voran. (Einen mehrsprachigen Überblick bietet die Tempo-30-Initiative für die EU).

Pro und Contra Tempo 30

Legt man Vor- und Nachteile in die Waagschale, bekommt der Balken eine deutliche Schlagseite. Die Pro-Argumente wiegen schwer, aber in der Debatte um ein Tempolimit siegt ja nicht immer die Vernunft, das bessere Argument, sondern jenes, das die Emotion anspricht.

Der Slogan des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC), "Freie Fahrt für freie Bürger", wirkt immer noch nach. Da nützt es nichts, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Umweltbundesamt schon lange Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit fordern.

In Deutschland ist hauptsächlich der Verkehrsclub Deutschland (VCD) sehr aktiv bezüglich Tempo 30. Der Verband bietet Hilfestellung, wie man diese Regel schon unter der aktuellen Gesetzeslage einführen kann. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Hamburg bietet ein gutes Webtool, um Anträge auf Tempo 30 zu stellen. Oder man klagt es eben ein.

Auf dem Radkomm-Kongress 2016 in Köln wurde diese Option vorgestellt und anschließend erfolgreich durchgeführt.

Die Argumente gegen Tempo 30 sprechen bei genauerem Hinsehen eigentlich für diese Regelung, nur dass die Gegner zu einer gegenteiligen Einschätzung kommen. Wenn es etwa heißt, Tempo 30 verursache mehr Lärm als Tempo 50. Tempo 30 sei nicht umweltfreundlich. Tempo 30 gefährde Fußgänger:innen und Radfahrer:innen mehr als Tempo 50 (Argumente pro Tempo 50). Daher zunächst die vermeintlich plausiblen Contra-Argumente.