Außenministerin Baerbock: Abkehr von Julian Assange

Julian Assange, künstlerische Darstellung. Bild: thierry ehrmann, CC BY 2.0

Wertegeleitete Außenpolitik konkret: Kurz vor der Wahl forderte das Team der Grünen-Politikerin die Freilassung des Journalisten Assange. Eine aktuelle Antwort ihres Ressorts fällt deutlich anders aus

Es war mit Joseph "Joschka" Fischer passenderweise ein Parteifreund der amtierenden Außenministerin Annalena Baerbock, der einst feststellte: "Das Amt verändert den Menschen schneller als der Mensch das Amt." Selten hat eine Führung des Auswärtigen Amtes dieses Bonmot so eindrucksvoll zu bestätigen vermocht, wie die Amtsinhaberin mit Blick auf einen der prominentesten politischen Gefangenen in Europa: den Journalisten und Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange.

Denn nur wenige Wochen nach Amtsantritt haben sich die Aussagen Baerbocks zum Fall Assange grundlegend verändert. Von einer Verteidigerin des Journalisten, die sich noch Ende vergangenen Jahres mit Verve für Assange einsetzte und der schwarz-roten Bundesregierung "Feigheit" vorhielt, ist eine zahme Regierungspolitikerin geworden, deren Kritik die britische Justiz nicht mehr zu fürchten braucht.

Zur Erinnerung: Der australische Journalist und Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks sitzt seit über eintausend Tagen im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh ein. Assange droht bei einer Auslieferung an die USA und einer als sicher geltenden Verurteilung de facto lebenslange Haft. Angeklagt ist er auf Basis eines umstrittenen Spionageabwehrgesetzes, das vor über 100 Jahren erlassen worden war.

Der Journalist hatte seit 2010 über Wikileaks geheime US-Berichte und Depeschen veröffentlicht, die zahlreiche US-Kriegsverbrechen in Irak und Afghanistan ans Licht brachten. Die USA werfen ihm daher Spionage und Verschwörung vor; sie sehen in ihm über nun mehrere Regierungen hinweg einen Staatsfeind. Von den Verantwortlichen für die enthüllten Kriegsverbrechen ist bislang keiner verurteilt worden.

Derzeit kämpfen Assange und sein Anwaltsteam gegen die Auslieferung an die USA. Hilfe aus Deutschland, dessen Regierung und vor allem dessen Außenministerin sich einer "wertegeleiteten Außenpolitik" rühmt, können sie dabei nicht erwarten.

"Schwerwiegende Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte"

Man hätte von anderem ausgehen können: Noch im vergangenen September erklärte das "Team Annalena Baerbock" auf Wählernachfrage, man verfolge "den Umgang mit Wikileaks und Julian Assange sehr aufmerksam" und setze sich bei der Bundesregierung "mit Nachdruck" dafür ein, dass sie sich bei den jeweiligen Regierungen "klar für die Einhaltung seiner grundlegenden Menschenrechte" ausspreche.

Mitten aus dem Bundestagswahlkampf, der die Grünen-Politikerin wenige Wochen später an die Spitze des Auswärtigen Amtes befördern sollte, bekräftigte das "Team Annalena Baerbock" weiterhin:

Aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention im Umgang mit Julian Assange – allen voran gegen das Verbot von Folter (Art. 3), gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5), gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6) und gegen das Recht, keine Strafe ohne Gesetz zu erhalten (Art. 7) – schließen wir uns der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 27. Januar 2020 sowie dem Appell des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer an und fordern die sofortige Freilassung von Julian Assange.

Team Annalena Baerbock, abgeordnetenwatch.de, 14. September 2021

Wenige Wochen später hat Frau Baerbock ihr PR-Team gegen den Außenamtsstaatssekretär Andreas Michaelis eingetauscht. Die Auswirkungen auf Thema und Positionierung sind frappierend, wie Michaelis' weisungsgemäße Antwort auf eine Parlamentsanfrage zeigt, die Telepolis exklusiv vorliegt:

Die Bundesregierung verfolgt den Auslieferungsprozess gegen Herrn Julian Assange, weiterhin sehr aufmerksam, ebenso wie die öffentlich verfügbaren Berichte über seinen Gesundheitszustand.

Nach Kenntnis der Bundesregierung dauert das Auslieferungsverfahren gegen Herrn Assange weiterhin an. Die Verteidigung von Herrn Assange hat eine Überprüfung, des Urteils des Londoner High Courts vom 10. Dezember 2021 durch den britischen Obersten Gerichtshof beantragt, der über die Annahme dieses Antrags noch nicht entschieden hat.

Die Bundesregierung hat keinen Anlass, an der Rechtstaatlichkeit, des Verfahrens und des Vorgehens der britischen Justiz zu zweifeln.

Auswärtiges Amt, 09.02.2022

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