Klimaschutz ist Friedenspflicht

Eine Anwältin fordert eine Initiative der Bundesregierung zur Annullierung des klimapolitisch verheerenden Energiechartavertrags, unter Berufung auf höherrangiges Völkerrecht

Die Globalisierungskritiker:innen nicht nur des Netzwerks Attac prangern es seit Jahren an, doch beim Klimaschutz können auch die politisch Verantwortlichen die Augen nun nicht länger einfach verschließen: Die im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) und ständig noch weiterer EU-Handelsverträge "der neuen Generation" (Stichworte: "TTIP", "CETA") eingegangenen Verpflichtungen zur Liberalisierung des Handels bzw. zum Schutz ausländischer Investor:innen schränken den Handlungsspielraum der Politik in etlichen Bereichen empfindlich ein.

Betroffen davon sind nicht nur der Verbraucher:innenschutz – Beispiel: Höchstwerte für Pestizide – oder die öffentliche Daseinsvorsorge, etwa in der Wasserversorgung, sondern auch die Umweltpolitik und speziell der Klimaschutz.

Eigene Freihandelspolitik fällt der EU klimapolitisch auf die Füße Spätestens hier wird es aber nun auch für die bisherigen EU-Freihändler:innen – man möchte sagen: im wahrsten Sinne des Wortes – brenzlig, denn einerseits soll "die Bekämpfung des Klimawandels und der Umweltzerstörung" dem am 11.12.2019 verkündeten Green Deal der EU-Kommission gemäß "oberste Priorität der EU" (S. 13) sein.

Andererseits aber ist umstritten, ob Maßnahmen wie die geplante CO₂-Grenzsteuer – also eine Erhebung von CO₂-Zöllen auf Importe aus Ländern ohne CO₂-Besteuerung –, tatsächlich WTO-konform seien. Wenn es schlecht läuft, erstreiten die betroffenen Handelspartner vor dem WTO-Schiedsgericht also die Erlaubnis zu Strafzöllen auf EU-Exporte in gleicher Höhe.

Bei anderen Maßnahmen wie etwa einem ambitionierten Kohleausstieg drohen zudem milliardenschwere Entschädigungen aus Steuermitteln an fossile Konzerne, nicht zuletzt auf Basis des "Vertrags über die Energiecharta" (ECV oder englisch ECT) von 1994, den die EU inzwischen gerne reformieren möchte.

Er sieht nämlich einen so weitreichenden Schutz von Investitionen vor und ist dabei so sehr auf die Förderung fossiler Energien ausgerichtet, dass die Energiekonzerne heute fast jede Politik zur Zurückdrängung der fossilen Energien zum Anlass für exorbitante (und aussichtsreiche) Schadenersatzklagen vor Ad-hoc-Schiedsgerichten nehmen können.

Doch obwohl sie dies auch zunehmend tun, wird die für eine Änderung des Vertrags nötige Einstimmigkeit unter den inzwischen 55 Vertragsstaaten – darunter auch die Länder der ehemaligen Sowjetunion und Mittel- und Osteuropas sowie Japan und Australien – nach aller Voraussicht nicht zustande kommen.

Auch ein einseitiger Austritt ist kaum eine Lösung, da die Investitionsschutzbestimmungen – wie in solchen Verträgen "üblich" (vgl. etwa Art. 30.9 Absatz 2 CETA) – danach noch weitere 20 Jahre gültig bleiben, und selbst ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 2. September 2021) wird nichts ändern können.

Zwar gilt demnach, dass eben jene ECT-Investitionsschutzbestimmungen innerhalb der EU – das heißt, wenn ein Investor aus einem EU-Staat gegen einen anderen EU-Staat klagt – nicht angewendet werden dürfen. Für Schiedsgerichte, die nach einem völkerrechtlichen Vertrag – wie dem ECT und jedem anderen von der EU geschlossenen Handels- oder Investitionsschutzvertrag – eingesetzt werden, hat dies aber offenbar keine Relevanz; und dass deren Schiedssprüche weltweit vollstreckbar sind (sei es durch Pfändung von Vermögen eines EU-Staates in einem beliebigen Staat), ist ebenfalls völkerrechtlich fest vereinbart1. Worauf Investoren achten müssen, ist lediglich, dass der Schiedsort nicht in der EU liegt.

Die Berufung auf ius cogens als Ausweg?

Andererseits freilich haben sich im Völkerrecht auch die Lehren aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts niedergeschlagen; und die Karlsruher Anwältin Gisela Touissant meint, dass dies letztlich eine Handhabe gegen den ECT böte.

Tatsächlich bestimmt dieselbe "Wiener Vertragsrechtskonvention" (WVRK), die in ihrem Artikel 27 die weltweite Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen sichert, auch, dass völkerrechtliche Verträge nichtig seien, sofern sie "im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens)" stehen (Art. 53 und 64 WVRK) – also Normen, die von der Staatengemeinschaft "in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf".

Es ist unstreitig, dass dazu etwa das Verbot von Angriffskriegen und Folter, von Sklaverei, Apartheid und Völkermord sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die grundlegenden Menschenrechte gehören.

Wie steht es aber um das Pariser Klimaabkommen? Touissant meint, dass auch dieses als ius cogens zu gelten habe, und sie fordert die Bundesregierung auf, die Initiative zu einer entsprechenden Nichtigkeitsklage gegen den ECT vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zu ergreifen.

Hätte dies Aussicht auf Erfolg? Die Anwältin führt ins Feld, dass zumindest einzelne Stimmen wie die Direktorin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, Prof. Anne Peters, den Klimaschutz schon 2009 im Kreis der allgemein anerkannten Werte gesehen hätten.

Auch sei das Pariser Abkommen ja immerhin von fast allen Staaten (bis auf Nicaragua und Syrien) unterzeichnet worden und werde die dadurch konkretisierte und ebenfalls mit großer Mehrheit beschlossene UN-Klimarahmenkonvention im Mai 2022 schon 30 Jahre alt.

Dennoch, so sagt sie im Gespräch mit Telepolis, argumentierten selbst klimapolitisch engagierte Jurist:innen, dass Umwelt-Völkerrecht und also auch das Pariser Abkommen allenfalls in ein paar Jahrzehnten als ius cogens anerkannt werde:

Das Problem scheint mir nur, dass der Planet bei fortgesetzter fossiler Energiewirtschaft dann längst verbrannt ist und Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen in Fluten ertrunken, in sengender Hitze einfach gestorben, angesichts von Missernten verhungert oder auf der Flucht in andere Gebiete zurückgewiesen und ihrem Schicksal überlassen worden sein werden. Solange zu warten ist offensichtlich absurd.

Karlsruher Anwältin Gisela Touissant