München: Russischer Stardirigent wegen Nähe zu Putin gefeuert

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Fundamentalistische Maßnahme, Cancel Culture in Reinkultur oder konsequente politische Solidarität?

Das Münchner Ultimatum lief aus, ohne dass sich Valery Gergiev im Sinne des Oberbürgermeisters geäußert hätte (vgl. dazu Ukraine-Krieg: Wenn alle Brücken abgebrochen werden), also kündigte Stadtchef Dieter Reiter (SPD) dem russischen Dirigenten. Es werde ab sofort keine weiteren Konzerte der Münchner Philharmoniker unter seiner Leitung geben. Seine Begründung:

Valery Gergiev hat sich trotz meiner Aufforderung, sich eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt, nicht geäußert.

OB Reiter

Die Stadt wollte einen politischen Ton vom Ausnahmedirigenten, er schwieg lieber. Die Vorwürfe, die gegen Valery Gergiev erhoben werden, bestehen in dessen Nähe zu Russlands Präsidenten Putin.

Der Dirigent hatte sich aktuell weder zum Krieg in der Ukraine geäußert noch zur russischen Politik. Vor knapp acht Jahren, im Mai 2014, kurz vor seinem Amtsantritt bei dem Münchner Orchester, hatten die Wogen von der Ukraine bis nach München so hoch geschlagen, dass er sich in einem offenen Brief äußerte, um sie zu glätten, wie es die AZ beschrieb.

Wer den damals dort publizierten offenen Brief liest, wird schnell merken, dass sich Gergiev gegen die Zumutungen sträubt, sich zu politischen Entwicklungen zu äußern. Sein Feld ist die Musikkultur, wie er mehrmals betont.

Ihm sei bewusst, "dass realpolitische Probleme plötzlich in die Gemeinsamkeit unserer kulturellen Arbeit harte und schrille Dissonanzen hineinschicken". Doch sei für ihn gerade dann "entscheidend, den Mut behalten, der jeweils anderen Seite zuzuhören und uns wechselseitig auszutauschen. Dass wir dabei nicht den Respekt voreinander verlieren. Der Dialog darf nicht abreißen, niemals! Der Austausch der Gedanken muss möglich bleiben".

Gergievs enge Verbindung zu Putin, aus der er kein Hehl macht, wurde ein derartiges Ärgernis, dass sogar von seiner Arbeit begeisterte Konzertkritiken zuletzt genau mit Sätzen anfingen wie: "Es ist schon immer unsympathisch gewesen, aber derzeit noch unsympathischer als sonst, dass Präsident Putins Freund Valery Gergiev einem an Fußballabenden allenthalben in der Gazprom-Werbung begegnet."

Die politische Wahrnehmung macht die Ouvertüre, erst danach kommt die schöne Kunst und das Lebenlassen: "Die Schönheit des bitteren Leids im Schlussstück 'Romeo am Grab Julias', vom Orchester blank und bloß dargebracht, war erschütternd."

Für Münchens Kosten-Nutzenrechnung ist das Ärgernis, das man mit dem russischen Dirigenten imagemäßig bekam und das in den letzten Tagen wuchs, viel größer als das, woraus die Stadt früher ihre Legenden und das Münchner Gefühl schöpfte: Großtun, Protzen, Kunst einkaufen und lässig Lebenlassen, egal, was es kostet.

Bei Gergievs Überlegungen wird auch eine Rolle gespielt haben, dass es ihn, seiner Familie und Freunden sehr viel kosten könnte – Freiheit, Gesundheit, Leben –, wenn er ein Bekenntnis abgibt, das den Kriegsherren in Moskau nicht gefällt. Sein Lebensmittelpunkt ist in Russland und viele Existenzen hängen von ihm ab.

Bekenntnis verlangt und nichts bekommen

Der Bayerische Rundfunk zitiert den OB von der SPD:

Er hätte sich erwartet, dass Gergiev seine "sehr positive Einschätzung des russischen Machthabers überdenkt und revidiert". Das habe Gergiev nicht getan. "In der aktuellen Situation wäre aber ein klares Signal für das Orchester, sein Publikum, die Öffentlichkeit und die Stadtpolitik unabdingbar gewesen, um weiter zusammenarbeiten zu können", sagte Reiter. Nachdem dies nicht erfolgt sei, bliebe nur eine sofortige Trennung. "Alles weitere werden wir so schnell wie möglich klären", so der Oberbürgermeister.

BR24

Also ging es dann doch um ein Bekenntnis des Künstlers – "das Überdenken und Revidieren einer Einschätzung" – und nicht nur um eine Distanzierung, wie es Befürworter der Maßnahme vorgebracht hatten, trotz ihres schlechten Gefühls wegen der Freiheit der Kunst.

Die Wertegemeinschaft stellt gerade andere Dinge in den Vordergrund und die Guten sind unter der Fahne. Wenn Gergiev diese Tage in seine Mailbox oder seinen Briefkasten schaut, so sieht auch er den "Paradigmenwechsel", an dem sich gerade viele politische Kommentare und die Rüstungsindustrie erfreuen.

Aus den vielen Einladungen wurden Ausladungen: "Auch die Hamburger Elbphilharmonie hat die geplanten Auftritte des russischen Star-Dirigenten storniert", so der BR. "Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass auch das Festspielhaus in Baden-Baden nicht mehr mit Gergiev zusammenarbeiten will". Baden-Baden folgt New York und Mailand.

Man will die Klassik, die noch nie so clean, erbaulich-erhaben war, wie es ihre schlimmsten Anhänger sehen wollen, nun rein halten von Künstlern, die auf den falschen Partys waren:

Neben Gergijew steht auch die russische Operndiva Anna Netrebko wegen ihrer Nähe zu Putin in der Kritik. Sie hatte im vergangenen Jahr im Kremlpalast in Moskau mit einer großen Gala, bei der auch Glückwünsche Putins verlesen wurden, ihren 50. Geburtstag gefeiert. Im Gegensatz zu Gergijew erklärte sie öffentlich, dass sie gegen diesen Krieg sei, betonte aber auch, keine «politische Person» zu sein.

Faz

Die Sängerin geht nun in die Offensive und sagt Konzerte ab.