Aufruf zum Boykott aller russischen Bücher und Verlage

Kulturkampf im Ukraine-Krieg spitzt sich zu

Die Frankfurter Buchmesse kündigte den staatlichen russischen Institutionen, die für den russischen Nationalstand auf der Messe verantwortlich sind. Vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Krieges halte man jede Zusammenarbeit für ausgeschlossen.

Russische Literatur und Sachbücher wird es im Oktober trotzdem auf der Messe geben, auf jeden Fall von deutschen Verlagen – und von russischen? Prinzipiell auf jeden Fall, so die Leitung der Messe. Praktisch ist das eher Theorie:

Die Maßnahme wendet sich nicht gegen russische Autorinnen und Autoren und die Zugänglichkeit von deren Buchproduktion. Einzelstände von russischen Verlagen wird die Frankfurter Buchmesse weiterhin zulassen, auch wenn diese Zulassung angesichts der verhängten Sanktionsmaßnahmen eher eine theoretische Möglichkeit sein wird (eingeschränkter Zahlungsverkehr, Einschränkungen des Flugverkehrs etc.).

Frankfurter Buchmesse

Gab es da nicht auch theoretische Möglichkeiten, die der Literatur eine wichtige Rolle zuschrieben? Gerade in Krisen- und Kriegszeiten?

"Öffentlich Wort ergreifen, in Reden, in Briefen, in Artikel" – das sei es, was Autorinnen und Autoren leisten könnten, sagt Deniz Yücel. Das Wort von Schriftstellerinnen und Schriftstellern habe "über Ländergrenzen hinweg ein gewisses Gewicht" im Sinne einer "weltweiten Öffentlichkeit", hat er auf einer Veranstaltung neu betont, wo es um eine entschlossene Haltung zum Krieg Putins (Schalke 04 und die Trennung von Hauptsponsor Gazprom) und um Solidarität mit der Ukraine ging.

Deniz Yücel weiß, wovon er redet. Er wurde aufgrund seiner Veröffentlichungen aus freiem Geist, die dem türkischen Fürsten der Finsternis, Recep Tayyip Erdogan, nicht gefielen, ins Gefängnis gesteckt. Internationale Solidarität und Druck halfen. Sein Fall wurde weithin berühmt, er kam frei. Jetzt ist er PEN-Präsident in Deutschland und kümmert sich um die Solidarität zu Schriftstellern, die den freien Geist brauchen.

Bei Yücel ist das keine Sonntagsrede. Er meint auch mehr als die Literatur.

Praktisch ausgedrückt: Wer "Russia Today" und "Sputnik" verbietet, wird künftig ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen, die Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit in, zum Beispiel, Russland zu kritisieren. Dass die Strafmaßnahme die Verbreitungswege (Kabel, Satellit oder Internet) betreffen und die Mitarbeiter nicht an ihrer Tätigkeit gehindert werden sollen, ist zwar ein erheblicher Unterschied zum Alltag in Ländern wie Russland, wird in der öffentlichen Diskussion aber untergehen.

Auch im Innern führt das zu einem Glaubwürdigkeitsproblem: Warum sollte man es mündigen Bürgerinnen und Bürgern in Gouvernantenmanier vorenthalten, die russische Sicht der Dinge in Originalquellen zu lesen und zu hören? Spricht daraus nicht ein verheerendes Misstrauen gegen Verstand und Herz der eigenen Bevölkerung? Und selbst wenn so manche auf die russische Propaganda hereinfallen, besteht die Stärke liberaler Gesellschaften nicht genau darin, auch – pardon my French – allerlei Scheißdreck aushalten zu können?

Deniz Yüzel, Die Welt

Nicht alle im PEN-Deutschland werden so denken. Die Schriftsteller-Organisation in der Ukraine hat sich von solchen Positionen völlig gelöst.

Wie gestern berichtet wurde, appelliert PEN Ukraine zusammen mit dem Ukrainischen Buchinstitut, dem Lviv International BookForum und dem Book Arsenal in Kiew wegen des Überfalls auf die Ukraine weltweit "alle russischen Bücher und Verlage zu boykottieren".

Die vier Literaturinstitutionen begründen ihre Forderung damit, dass das "russische Narrativ" – gemeint dürfte hier vor allem Putins Glaubenssatz sein, die Ukraine sei historisch betrachtet Teil Russlands und habe deshalb nicht den Status der Eigenstaatlichkeit – "durch kulturelle Produkte im allgemeinen und Bücher im besonderen" verbreitet werde.

Börsenblatt

In viele Bücher sei russische Propaganda eingewoben, die sich zum Krieg instrumentalisieren lasse, heißt es in dem Aufruf – auf Englisch: "Russian propaganda is woven into many books which indeed turns them into weapons and pretexts for the war."

Man fordert den Stopp der Verbreitung von Büchern russischer Autoren und Verlage "durch die Buchhandlungen im jeweiligen Land zu stoppen, online wie offline", keine Rechte mehr von russischen Verlagen zu erwerben oder Rechte an diese zu verkaufen sowie den Ausschluss Russlands, seiner Verlagshäuser, Kulturzentren und Autoren von der Teilnahme an allen internationalen Buchmessen und Literaturfestivals. Sowie das Ende von Stipendien für Übersetzungen zeitgenössischer russischer Autoren in andere Sprachen.