"Das Plagiat des dritten Jahrtausends"

Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft zieht nach einer Recherche von Telepolis das jüngste Buch ihres Stammautors Erhard Oeser aus dem Verkehr.

Es ist ein Testfall: Wie reagiert 2022 ein bundesdeutscher Verlag auf einen schwerwiegenden Plagiatsvorwurf? Im Fall von Annalena Baerbocks Jetzt dauerte der Rückzug eines plagiierten Sachbuchs Monate, nun ging es innerhalb einer Woche.

Erhard Oeser – der Name ist vor allem in österreichischen Intellektuellenkreisen wohlbekannt. Oeser ist emeritierter Professor an der Universität Wien, Philosoph, Wissenschaftstheoretiker im Gefolge Sir Karl Poppers und der Evolutionären Erkenntnistheorie.

Seit seiner Emeritierung ist der Gelehrte als umtriebiger Autor für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft unterwegs, mit Büchern zu so erstaunlich unterschiedlichen Themen wie unserer Liebe zu Hunden, Katzen und Pferden, Ägypten, dem Nordpol, der Xenophobie – und nun, zuletzt, zu "herausragenden Frauen".

Über ebendieses Buch schrieb ein Rezensent auf amazon.de am 16.01.22 wenig Schmeichelndes:

Das Buch ist so schlecht, inhaltlich ein einziges Abkupfern aus Wikipediaartikeln oder anderen Websites. Voller orthografischer und grammatikalischer Fehler (copy and paste). Das Literaturverzeichnis ein Desaster. Entsetzlich! Nur abgeschriebene Artikel. Und das von einem Verlag, der sich "wissenschaftliche Buchgesellschaft" nennt mit dem Zusatz "Academic". Es geht thematisch um Frauen, hauptsächlich kommen Männer zu Wort und werden dort abgebildet. Das Plagiat des 3. Jahrtausend[s], peinlich, 50 Sterne minus! Der Autor soll Professor als Wissenschaftstheoretiker im Wien gewesen sein.

Tatsächlich ist das Buch ein Abgrund eines Plagiats. Allein die Plagiatssoftware Turnitin weist 50 Prozent Übereinstimmung mit Webquellen nach, davon 18 Prozent aus Wikipedia. Ganze Buchseiten wurden weitgehend aus Wikipedia kopiert, ohne Quellenangaben. Hier, stellvertretend für viele andere, die Seite 153:

Text aus urheberrechtlichen Gründen unleserlich gemacht

Aber auch dort, wo nicht plagiiert wurde, stimmt das Referenzsystem nicht: Da werden erneut absatzweise Medienartikel in den Fließtext hineinkopiert, am Ende der Übernahme erfolgt eine Quellenangabe, meist in Form einer URL.

Das Buch erinnert über weite Strecken an die Elaborate jener Raubverlage, die einfach Wikipedia-Artikel zusammenkopiert und für teures Geld auf Amazon verkauft haben – eine Praxis, gegen die Amazon seit Jahren rigoros vorgeht.

Aber wie passt das alles zu einem emeritierten Philosophieprofessor und zu einem seriösen Verlag namens "Wissenschaftliche Buchgesellschaft"?

Der Autor schweigt, der Verlag spricht Klartext

Die Telepolis-Redaktion wollte von Erhard Oeser wissen, wie es zu den Plagiaten kam, ob er selbst dafür verantwortlich zeichnete oder einen Ghostwriter engagiert hatte und ob nur dieses oder auch weitere Bücher von ihm betroffen sind, ja womöglich sogar seine akademischen Arbeiten. Leider ließ der Wissenschaftstheoretiker unseren Fragenkatalog unbeantwortet.

Gemeldet hat sich indes der Verlag. Wir geben das Interview mit der Pressesprecherin Kristin Voigtländer im Folgenden leicht gekürzt wieder:

Haben Sie von dem Plagiatsvorwurf bereits gewusst? Es gibt ja eine entsprechende Rezension auf amazon.de, nicht von mir, und Recherchen einer bundesdeutschen Kulturwissenschaftlerin, die den Fall aufgedeckt hat.

Kristin Voigtländer: Wir haben eine Woche vor Ihrer Nachricht eine E-Mail mit kritischen Hinweisen bezüglich konkreter Abschnitte des Buchs von Erhard Oeser bekommen. Daraufhin haben wir den Titel sofort zum Verkauf auf unserer Website gesperrt und intern mit einer Prüfung der beanstandeten Abschnitte begonnen. Wir haben daraufhin mit dem Autor Kontakt aufgenommen und ihn gebeten, sich dazu zu äußern bzw. Korrekturen vorzunehmen.

Wie werden Sie den Plagiatsvorwurf überprüfen, mit welcher Software?

Kristin Voigtländer: Wir wollen den Text zunächst über die Plattform https://www.scribbr.de prüfen. Danach wollen wir diesen Fall zum Anlass nehmen, damit auch andere Plattformen (z.B. https://www.plagaware.com/de oder https://www.plagscan.com/de) zu testen. Wir werden dann die einzelnen Ergebnisse vergleichen und versuchen, dies für zukünftige Prüfungen zu bewerten.

Werden Sie auch andere Bücher von Erhard Oeser aus Ihrem Verlag entsprechend überprüfen?

Kristin Voigtländer: Selbstverständlich. Wir werden nach Abschluss der oben beschriebenen Prüfung des aktuellen Titels zunächst den vorletzten Band des Autors prüfen lassen. Auch diesen Band haben wir bereits vorsorglich aus unserem Shop genommen. Danach werden wir entsprechende Prüfungen auch für die weiteren Bände durchführen.

Wie schätzen Sie mögliche Urheberrechtsverletzungen ein, die ich vor allem bei seitenweisen unzitierten Übernahmen aus Medienquellen sehe?

Kristin Voigtländer: Noch sind wir bei der Prüfung und in Diskussion mit dem Autor. Im Standardvertrag des Börsenvereins, den wir mit dem Autor geschlossen haben, ist geregelt, dass der Autor versichert, dass Rechte Dritte nicht verletzt werden.

Welches Honorar erhielt Erhard Oeser von der wbg?

Kristin Voigtländer: Herr Oeser hat für die Veröffentlichung seines Buchs über herausragende Frauen den Publishing Service der wbg in Anspruch genommen und dafür kein Honorar erhalten.

Wie werden Sie die Öffentlichkeit und damit auch die Leser:innen informieren?

Kristin Voigtländer: Da wir noch im internen Prüfungsprozess sind, können wir diese Frage noch nicht beantworten.

Fazit

Ein Verlag scheint hier das Plagiatsproblem (spät, aber doch) ernst zu nehmen und reagiert mit Investigation und einem Rückzug des inkriminierten Buchs. Noch schlauer wäre es freilich gewesen, wenn das Buch schon vorher einer Qualitätsprüfung unterzogen worden wäre. Mit Tools wie Turnitin, Scribbr oder PlagScan geht dies in wenigen Minuten.

Eine solche Prüfung sollte längst Standard in jedem Verlag sein. Der Verfasser selbst (wie erwähnt), aber auch die Wissenschaftsgemeinschaft und die Fachmedien in Österreich, reagieren auf den Fall hingegen klassisch: mit Schweigen.