Der Ukraine-Krieg als Menetekel: Ein Wendepunkt der Globalisierung

Nach einem russischen Luftangriff. Bild: @DefenceU

Der Atomausstieg, das Ende der fossilen Brennstoffe, die sogenannte Agrarwende: Vieles soll dem neuen außenpolitischen und militärischen Konflikt untergeordnet werden (Teil 2 und Schluss)

Wie sind wir in diese Situation gekommen? (siehe auch Teil 1: Der Ukraine-Krieg als Menetekel) Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Auflösung des Ostblocks 1990 leitete eine Epoche des Freihandels ein. Die gewachsene Importabhängigkeit im Lebensmittelbereich ist eine der Folge davon. Die nationalen Ökonomien richteten sich seitdem immer stärker am Weltmarkt aus und suchten nach profitablen Nischen.

Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank formulierten den sogenannten Washington-Konsens, der die Welt auf den Abbau von Handelsschranken, Privatisierung und Deregulierung verpflichtete. 1988 schlossen die USA und Kanada ein Freihandelsabkommen, 1992 entstand mit der Europäischen Union eine weitere große Freihandelszone.

Ökonomisch betrachtet beruhte die Globalisierung auf niedrigen Transportkosten (beziehungsweise: real fallenden Transportkosten) und offenen Märkten (beziehungsweise: sich öffnenden Märkten). Der aktuelle Anstieg der Energie-, Rohstoff- und Lebensmittelpreise markiert einen Wendepunkt, möglicherweise sogar einen Endpunkt. In einer Analyse des Hamburger Weltwirtschaftsinsituts heißt es:

Die tendenzielle Verbilligung der meisten Industrierohstoffe und Grundnahrungsmittel, die schon lange vor 1960 einsetzte, war unter anderem Folge von Produktivitätssteigerungen und sinkenden Transportkosten. Sie endete um die Jahrtausendwende mit einem steigenden Rohstoffbedarf der Entwicklungs- und Schwellenländer im Zuge ihrer Industrialisierung und Mobilisierung. Mit dem Preisauftrieb (zwischen 2000 und 2010, MB) ging eine lange Phase real fallender Rohstoffpreise zu Ende.

Der Globalisierung kommen aber nicht nur ökonomische Grundlagen abhanden, sondern sie erzeugt immer größere politische Widersprüche. Mit der Verlagerung von industrieller Produktion aus den frühindustrialisierten Ländern und dem Aufstieg Chinas entstanden globale Wertschöpfungsketten in einer neuen Qualität.

In der Phase der "Hyperglobalisierung" wuchs der Außenhandel stärker als die Wirtschaft. Der Austausch zwischen Ländern des Globalen Südens nahm besonders stark zu. Einige der dortigen Hersteller kletterten die Wertschöpfungskette nach oben. Gleichzeitig wurde der Streit um Handelsbilanzen und Schutzmaßnahmen für die einheimischen Industrien immer schärfer.

Die Ausweitung des Weltmarkts hat die internationale Arbeitsteilung vertieft und eine größere Spezialisierung mit sich gebracht – damit naturgemäß eine größere gegenseitige Abhängigkeit. Aber trotz der Menschheitsrhetorik, die sie in den 1990er-Jahren begleitete, war die Globalisierung immer ein Projekt "nationaler Wettbewerbsstaaten" (Joachim Hirsch).

Weltweite Demonstrationen gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine (21 Bilder)

Washington, D.C. am 6. März. Bild: Frypie / CC-BY-SA-4.0

Sie wurde von konkurrierenden Nationen ins Werk gesetzt, die um Marktanteile ringen und ihren Vorteil suchen. So hat die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung die nationalen Interessengegensätze nicht abgebaut, sondern verschärft.

Spätestens mit der Große Rezession ab dem Jahr 2007 trat an die Stelle der Hyperglobalisierung eine "Slowbalisation", geprägt von immer größeren handelspolitischen Spannungen und einer zunehmend chaotischen Weltpolitik. Der Ökonom Jörg Goldberg beschreibt die gegenwärtige Lage folgendermaßen:

Da es keine Kraft mehr gibt, die stark genug wäre, ihre Interessen als die dominierenden allgemein durchzusetzen, kommt es immer mehr zu bilateralen beziehungsweise partiellen Vereinbarungen. Es wird immer schwieriger, globale Lösungen für globale Probleme zu finden.

Seit die Welthandelsorganisation (WTO) arbeitsunfähig ist, aufgrund des Konflikts zwischen den USA und China, ist die Krise des Multilateralismus unübersehbar. Der Hintergrund ist der relative Aufstieg neuer Mächte, die für sich beanspruchen, die Spielregeln auf dem Weltmarkt – die terms of trade - mitzugestalten. Seitdem wird die kapitalistische Globalisierung auch von rechts kritisiert.

Regierungschefs wie Donald Trump, aber auch Joe Biden oder der indische Premier Narendra Modi geißeln in ihren Reden regelmäßig die Abhängigkeit vom Ausland. Die USA behindern seit 2019 den Zugang Chinas zu Hochtechnologie-Märkten, etwa im Fall des Mobilfunk-Ausrüsters Huawei. Politiker der beiden großen Parteien in den USA befürworten eine "Entkopplung" von China, die sogar den wissenschaftlichen und kulturellen Austausch umfasst.

Die Angst, die Handelspartner könnte die gegenseitige Abhängigkeit als Waffe einsetzen, greift überall um sich (weaponized interdependence lautet das entsprechende Schlagwort). Die "Politisierung der Lieferketten" zeigt sich schließlich daran, dass der Bereich der strategisch wichtigen Technologien immer weiter gefasst wird und Produktionskapazitäten im eigenen Herrschaftsgebiet angestrebt werden.

Dennoch konnte bis zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs von einer wirtschaftlichen Renationalisierung keine Rede sein, auch eine strategische Industriepolitik existiert höchstens im Planungsstadium oder in ersten Ansätzen.

Die Staaten nutzten Sanktionen, Strafzölle und vereinzelt Boykotte, um ihre Position auf dem Weltmarkt zu verbessern, aber nicht, um sich abzukoppeln. Die Abhängigkeit von Importen ist teilweise noch gewachsen, zum Beispiel in Europa im Bereich der Lebensmittel.

Auch elektrische Geräte, Medikamente oder Kraftfahrzeuge werden weiterhin in globalen Produktionsnetzwerken hergestellt. Kommt es nun aufgrund der eskalierenden geopolitischen Spannungen zu einer Rückabwicklung der Globalisierung? Was wären die Folgen?