Raketenabwehrschild: Sicherheitsberaterin auf Kaffeefahrt

Archivbild: Nike-Zeus-Rakete. Foto (cirka 1958): US-Army/gemeinfrei

"Duck and Cover" mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Kommentar

Als Polen der Ukraine kürzlich die Lieferung von Kampfflugzeugen anbot, die über Ramstein Airbase abgewickelt werden sollte, trat FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann Befürchtungen entgegen, Deutschland könne auf diese Weise in einen Krieg hineingezogen werden.

Die Leiterin des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages dozierte bei "Anne Will" stolz den Trick, Ramstein Airbase sei gar nicht Deutschland, sondern "exterritoriales Gelände". Die ehemalige Verlagsvertreterin für Jugendbücher war offensichtlich nicht über die Tatsache orientiert, dass die Airbase nicht etwa US-amerikanischer, sondern sehr wohl deutscher Boden ist und dort gerade einmal das Nato-Truppenstatut gilt. Die Presse ließ es ihr schweigend durchgehen.

Inzwischen nun war die Handlungsreisende Strack-Zimmermann nach Israel gereist, um sich Raketenabwehrsysteme vorführen zu lassen. Dort hat man mit dem Iron Dome gute Erfahrungen gemacht - der allerdings gerade einmal primitive Raketen der Hamas mit ballistischer Flugbahn erkennt und anhand vom Start weg berechenbarem Kurs mit hohem Wirkungsgrad bekämpft.

Im Angebot sind auch die Arrow-2- und Arrow-3-Systeme, die ebenfalls auf ballistische Raketen zielen. Gegen lenkbare Flugkörper jedoch und insbesondere solche mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit bieten beide Systeme offenbar keinen Schutz.

Soldatenlatein

Bereits seit 1945 versprach die Rüstungsindustrie vollmundig radargesteuerte Abfangsysteme, geschmückt mit göttlichen Namen wie "Nike", "Zeus" und "Herkules". Die Generäle befürworteten zwar stets Entwicklung und Anschaffung, wohl schon deshalb, weil sie nach ihrer Pensionierung in den Aufsichtsräten gesunder Rüstungskonzerne noch etwas dazu verdienen wollten.

Überzeugende Abwehrsysteme blieb man im Kalten Krieg jedoch schuldig. Insbesondere erwies sich Reagans SDI-Programm als ein gigantischer Bluff. Nach George Bushs Irakkrieg stellte sich heraus, dass auch die Trefferquote des Patriot-Systems von vorgeblichen 97,5 Prozent auf unter 10 Prozent korrigiert werden musste. Nach wie vor trifft mancher Patriot sogar die eigenen Leute. Bei einem Abfangtest eines Langstreckensystems mussten die Militärs auf Nachfrage einräumen, dass die Zielrakete einen Peilsender an Bord hatte, das Ganze also eine Luftnummer war.

Selbst, wenn irgendeine von Strack-Zimmermanns Wunderwaffen in der Lage wäre, mit einem gewissen Wirkungsgrad lenkbare Überschallflugkörper abzuwehren, könnte das nur bei entsprechender Kapazität funktionieren. Gegen jede Nuklearrakete müsste man sicherheitshalber mehrere Abfangraketen einsetzen.

Im US-Militär kalkulierte man sichere Zerstörungen mit dem Angriffsvektor 8. Wenn Russland gleichzeitig alle über ca. 6.000 Nukleargeschosse startet, müssten diesen ca. 48.000 Abfangraketen (Stückpreis drei Millionen US-Dollar ohne Wartung) entgegenfliegen. Versteckt man allerdings etwa 6.000 Nuklearsprengköpfe in einem Schwarm von Raketen mit Tauschkörpern oder konventionell bestückten Sprengköpfen, müssten gegen z.B. 60.000 Ziele gleichzeitig 480.000 Abfangraketen anfliegen. Die Anschaffung wäre kaum unter einer Billion Dollar zu realisieren.

Knallköpfe

Die Hoffnung, ein Raketenkrieg würde nicht nuklear geführt werden, ist leider unrealistisch. Soweit bekannt, wurden alle von der Nato durchgespielten Szenarien militärischer Konfrontationen spätestens am dritten Tag nuklear. Damit erübrigt sich dann auch die Frage, wie realistisch es denn wohl wäre, das mit dem Bau ziviler Flughäfen und dem Betrieb pünktlicher Bahnen überforderte Land mit den maroden Autobahnbrücken und ohne flächendeckendem Mobilfunknetz für einen konventionellen Krieg absehbar aufzurüsten.

Aber selbst im optimistischen Fall einer erfolgreichen Raketenabwehr würden abgefangene Nuklearsprengköpfe in der Luft Plutonium freisetzen – eine der giftigsten Substanzen, die bekannt ist. Ein Hunderttausendstel Gramm reicht aus, um bei einem Hund mit Sicherheit Lungen-, Knochen- oder Leberkrebs auszulösen.

Als 1964 ein Navigationssatellit mit einem Kilogramm Plutonium in der Erdatmosphäre verglühte, verteilte sich das Plutonium weltweit. Dementsprechend warnten Wissenschaftler vor einer Verseuchung der Atmosphäre, als die Nasa Sonden mit Plutonium-Batterien startete und dann noch auf Swing-by-Manöver um die Erde lotste.

Während die Nasa für einen solchen Fehlschlag gerade einmal 120 Krebstote prognostizierte, taxierten andere Wissenschaftler mit denselben Daten 10 bis 20 Millionen Tote. Wie lebenswert sich Frau Strack-Zimmermann den Planeten nach einer erfolgreichen Pulverisierung 6.000 russischer Atomraketen vorstellt, ist unklar - vom Fallout des nuklearen Gegenschlags der USA gar nicht zu reden.

Die Einwohner nördlicher Bundesländer dürften solche Umweltprobleme allerdings nur dann kümmern, wenn sie in einem Atombunker wohnen, denn in den Küstenregionen kommen Massenvernichtungswaffen auch aus dem Wasser. Ein dem Raketenschild vergleichbares Abwehrsystem gegen die russischen Superkavitationstorpedos ist nicht bekannt, weil Radar unter Wasser nicht funktioniert.

Sonar wäre als Ortungsmedium zu langsam, denn die Geschosse selbst bewegen sich mit Schallgeschwindigkeit. Nach dem Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag entwickelten die Russen zudem eine Unterwasserdrohne Poseidon, die mit einer Sprengkraft von bis zu 100 Megatonnen einen Tsunami auslösen könnte – etwa als Reaktion auf einen Abfangversuch.

Wie man es dreht und wendet, die von Strack-Zimmermann gestreute Hoffnung auf Sicherheit durch einen Raketenschirm ist so trügerisch wie die von Schildkröte Bert im naiven US-Propagandafilm "Duck and Cover" oder der nutzlose Zivilschutz-Leitfaden der britischen Regierung, den Raymond Briggs grotesk in "When the Wind blows" illustrierte.

Bestechend gut gerüstet

Aber das sind Feinheiten, welche Verkaufskanone Frau Strack-Zimmermann nicht verunsichern werden. Ihr Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Kassen der Rüstungsindustrie zu leiten, steht unerschütterlich fest – sehr zur Freude des Rüstungskonzerns Rheinmetall, der seinen Sitz sicher nur zufällig in Düsseldorf hat, wo Strack-Zimmermann als Bürgermeisterin fungierte. Auch Parteispenden von der Rüstungsindustrie werden ja nicht einmal bei den Grünen als ehrenrührig bewertet.

Bei so viel Sachverstand über magische Schutzschilder besteht also kein Grund, um auf zögerliche Militärs zu hören, die eine Deeskalation als das geringere Übel bewerten.

War es noch FDP-Außenminister Guido Westerwelle ein Anliegen, den Abzug US-amerikanischer Atomwaffen aus Deutschland in den Koalitionsvertrag schreiben zu lassen, sind solche Bemühungen dann wohl endgültig Geschichte. Ob der Atomkrieg bewusst geführt werden wird, oder – wie 1983 um Haaresbreite beinahe geschehen – aus Versehen, wird die Überlebenden vermutlich nicht primär interessieren.