Schlachtenlärm, allerseits

Putin in teurer Jacke. Bild: kremlin.ru (Screenshot)

Kein neuer Mensch in Sicht: Russlands brachialer Pragmatismus ist das tote Ende von Utopia. Hat der Westen mehr zu bieten als nur Waffen?

Hinter jenen Kommunisten, die von der vollkommenen Gesellschaft träumten, verbirgt sich (…) das gesamte Potential eines riesigen Staates, Armee, Kanonen, gut, zu gut organisierte Geheimpolizei usw., usw.

Nikolaj Berdjajew, Die Aura des Kommunismus, 1936

Ihr wollt Dekommunisierung? (...) Wir sind bereit, der Ukraine zu zeigen, was eine echte Dekommunisierung ist.

Wladimir Putin, Fernsehansprache, 21. Februar 2022

Wenn der Chefkommandeur zum letzten Kampf drängt, Onkel Wowa, dann sind wir mit Dir!

Putin-Song von Anna Kuwytschenko

2022, 18. März: Mit einer exklusiven Daunenjacke eines italienischen Luxuslabels angetan, umgerechnet nach Medienberichten etwa 12.000 Euro teuer, steht der Kriegsherr im Moskauer Luschniki-Stadion vor einem zehntausendköpfigen Publikum, das eine begeisterte Menschenmasse abgibt. Es ist der achte Jahrestag der Einverleibung der Halbinsel Krim. Bevor Putin seine Rede hält, wird die Menge eingestimmt.

Sirenengesang mit Mottenkugeln

Es flackern ein paar mehr als dürftige Anklänge von Sinngebung auf, so als ob man eine zersprungene Glocke noch einmal zum Klingen bringen wollte: Kreml-Schlagersänger und Putin-Vertrauter Oleg Gazmanov gibt einen abgeschmackten Song über Lenin, Stalin und die Sowjetunion zum Besten.

Ein Sirenengesang auf ein untergegangenes Großreich, Abgesang auf jede Fortentwicklung. Gazmanov beschwört den Mythos:

Wir sind das Land Lenins und Stalins.

Oleg Gazmanov im Luschniki-Stadion

Es riecht nach Mottenkugeln.

Was haben wir hier? Vorsichtig gesagt, eine durch und durch anachronistische Veranstaltung. Das trifft auch auf den Krieg zu, den der Mann aus dem Kreml mit einem Mix aus Schuldzuweisungen, Großmannssucht und nationalistischem Pathos zu rechtfertigen sucht.

Rund einen Monat vor dem skurrilen Auftritt im Stadion der Kapitale, am 21. Februar 2022, hatte der Präsident bereits mit einer ausführlichen Note an sein Volk Aufmerksamkeit erzeugt: Tag der Abrechnung mit dem Westen, aber zugleich mit den Irrtümern der eigenen, russischen Vergangenheit, so wie der Kremlchef sie sieht. Am Ende seiner gut 45-minütigen Fernsehansprache, adressiert an die Nation (und natürlich darüber hinaus), verkündete Putin eher nebenbei die Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk.

Der Westen protestiert. Dabei hat Putin einen voraussehbaren Schachzug getan. Kurz darauf war der Krieg 2022 in Europa eine traurige Realität, mit allen deprimierenden Folgen.