Algerien dreht an der Gas-Schraube

"Deutschland unterstützt MidCat absolut", sagt der deutsche Botschafter in Madrid. Vereitelt die spanische Regierung ein wichtiges Projekt?

Träume sind Schäume. Die Energierealität Europas wird derweil zunehmend schwieriger, was mit erratischen politischen Entscheidungen zu tun hat. Telepolis hatte gerade darüber berichtet, dass auch in der deutschen Industrie vor "massiven, irreparablen Schäden" bei einem Stopp von Erdgas aus Russland gewarnt wird.

Bei der Frage, wie russisches Gas ersetzt werden könnte, richtet sich der Blick auch immer stärker nach Algerien. Trotz neuer Zusagen aus den USA, verstärkt das extrem klimaschädliche Fracking-Flüssiggas nach Europa zu liefern, sollte doch allen in Europa klar sein, dass darüber nicht einmal mittelfristig die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas beendet werden kann.

Die MidCat-Pipeline

So hatten sich, wie Telepolis ebenfalls schon berichtet hat, die Blicke in Deutschland mehr auf die MidCat-Pipeline gerichtet. Damit könnte Gas aus Spanien nach Nordeuropa gepumpt und die Integration der Iberischen Halbinsel ins Gas-Netzwerk vorangetrieben werden. Die MidCat-Pipeline sollte, so war es geplant, eigentlich schon in diesem Jahr in Betrieb gehen.

Doch auch hier war es eine erratische politische Entscheidung aus Madrid, nicht ins rebellische Katalonien zu investieren, die 2019 zum Stopp des Projekts führte. Über MidCat könnte sonst vermutlich schon Gas aus Algerien oder Flüssiggas aus der großen Regasifizierungsanlage im Hafen von Barcelona – die größte in Europa – über die Pyrenäen nach Frankreich und von dort aus nach Deutschland fließen. Obwohl ein Teil des Projekts schon umgesetzt ist, ist vor 2024 nun kaum mit einer Fertigstellung zu rechnen.

Zuletzt hatte sich auch der deutsche Botschafter in Madrid klar für die Pipeline ins Zeug gelegt: "Deutschland unterstützt MidCat absolut", sagte Wolfgang Dold. Es gebe neben Deutschland auch andere europäische Länder, die nicht von einem Tag auf den anderen ohne russisches Gas auskommen könnte, meint er.

"Wir sind auf der Suche nach Alternativen, und dazu braucht man Transportmittel", erklärt er mit Blick auf die Pipeline. "Das Angebot der USA, mehr Flüssiggas nach Europa zu liefern, wird zweifellos helfen, aber wir brauchen eine Infrastruktur, um es zu erhalten."

Dies verdeutlicht, wie eine kurzfristige, an nationalistischen Interessen ausgerichtete spanische Politik ein wichtiges Projekt verhindert hat, das die EU auch bis 2019 auf seiner der "prioritären Infrastruktur" stehen hatte.

Da Spanien sich in seinem Dauerkonflikt mit Katalonien querstellte, wurde das Projekt aus unerfindlichen Gründen von der EU-Liste gestrichen, statt es gegenüber Spanien durchzusetzen. Das fällt der EU nun, wo das Gas im Norden dringend gebraucht wird, auf die Füße. Ohnehin gibt die EU auch in der Katalonien Frage ein peinliches Bild ab.

Gasrechnungen

Aber jetzt könnte eine weitere politische Entscheidung, ebenfalls von den Sozialdemokraten in Madrid, die EU ebenfalls noch teuer zu stehen kommen. Für Spanien, dessen Inflationsrate schon jetzt auf fast zehn Prozent geklettert ist, kommt jedenfalls schon bald eine höhere Gasrechnung zu, wenn das Land keine Kurskorrektur in Richtung Algerien einleitet und das könnte sich auch auf ganz Europa ausweiten.

Denn die Sozialdemokraten (PSOE) von Pedro Sánchez haben sich kürzlich dazu entschieden, sich in der Frage der ehemaligen Kolonie in der Sahara auf Kurs des ehemaligen US-Präsidenten Trump zu begeben, womit Algerien schwer vor den Kopf gestoßen wurde.

Ohne auch nur mit den linken Koalitionspartnern oder den linken Unterstützern der schwachen Minderheitsregierung zu sprechen, hatte Sánchez im Alleingang einen Brief an den autokratischen marokkanischen König geschickt. Darin opfert auch er de facto die Souveränität der Sahrauis über die Westsahara kurzfristigen spanischen Interessen, indem er sich hinter die Autonomiepläne Marokkos für das illegal besetzte Gebiet stellt.

Damit stellen sie die Sozialdemokraten auch gegen zahllose Resolutionen der Vereinten Nationen (UNO), die eine Entkolonisierung der "letzten Kolonie Afrikas" fordern. Eine UN-Mission (Minurso) sollte eigentlich seit 30 Jahren ein Referendum überwachen, in dem die Sahrauis über die Unabhängigkeit von Marokko entscheiden sollten. Das hat Marokko seit Jahrzehnten erfolgreich bisher hintertrieben, ohne dafür mit Sanktionen bestraft worden zu sein.

Die spanische Politik ist nicht nur in sich höchst widersprüchlich, wenn man mit Waffenlieferungen vorgibt, die Souveränität der Ukraine verteidigen will, aus der nun Millionen Flüchtlinge nach Westeuropa strömen, aber die Souveränität der Westsahara opfert, weil der Nachbar Marokko mit einigen tausend afrikanischen Flüchtlingen und Einwanderern Spanien seit vielen Jahren erpresst.

Die Migrationskarte

Die klettern bisweilen über die Grenzzäune in die Exklaven Melilla und Ceuta oder mit dem Boot über die Meerenge bei Gibraltar überwinden. So war es natürlich dann auch kein Zufall, dass vier Tage nach der Veröffentlichung des Sánchez-Briefs sofort wieder mit Rückführungen von illegal nach Spanien eingereisten Menschen begonnen wurde.

Von den Kanarischen Inseln ging ein Flug mit zwanzig Personen in die von Marokko besetzte Westsahara. Offiziell sind Rückführungsflüge seit April 2021 weiter von marokkanischer Seite ausgesetzt. Es war klar, dass Algerien, als Schutzmacht der Sahrauis und der Westsahara, zudem ein Widersacher gegenüber Marokko in Nordafrika, dem spanischen Treiben nicht untätig zusehen würde.

Man musste wahrlich kein Genie sein, um vorhersagen zu können, dass nun auch Algerien auf eine "Marokko-Politik" einschwenken würde, wenn sich die marokkanische Erpressung gegenüber Spanien erfolgreicher als eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit erweist.

So war zu erwarten, dass neben der Gas-Frage auch Algerien die Einwanderungskarte spielen würde. Und so kündigte Algier in der vergangenen Woche seinerseits an, die Rückführung sogenannter "irregulärer Einwanderer", die aus Algerien die spanische Küste erreichen, "auf unbestimmte Zeit" auszusetzen.

Auch die Tageszeitung El País, praktisch das Verlautbarungsorgan der Sozialdemokraten, hatte Sánchez darauf hingewiesen, dass nicht nur Marokko in der Einwanderungsfrage bedeutsam ist, sondern auch Algerien in der Frage "eine entscheidende Rolle" spielt, um die "illegale Einwanderung" zu bremsen. Dass man in Algerien "wütend" auf Spanien ist, wird allseits berichtet.

Das hat auch damit zu tun, dass die spanische Regierung die eigene Bevölkerung belogen hat. Die hatte sogar behauptet, die Anerkennung der marokkanischen Autonomiepläne mit Algier abgestimmt zu haben. Das hat die algerische Regierung heftig dementiert.

Doch die spanische Regierung hat die Lüge bisher nicht zurückgenommen. Als zweite Warnung hat Algier nun durch die Blume angekündigt, die Gaspreise für Spanien demnächst zu erhöhen, was für die angeschlagene Regierung zur Unzeit kommt, da es schon zu erheblichen Protesten wegen der hohen Energiepreise kommt.

Um klarzustellen, dass man bisher über Spanien verärgert ist, hat die staatliche Ölgesellschaft sich am vergangenen Freitag verpflichtet, für alle anderen Kunden die aktuellen Preise beizubehalten. Gegenüber dem spanischen Kunden Naturgy will Sonatrach die bisherigen Preise "überprüfen".

Gegenüber der algerischen Nachrichtenagentur Algérie Presse Service erklärte der Sonatrach-Chef: "Seit Beginn der Krise in der Ukraine sind die Gas- und Ölpreise in die Höhe geschossen." Toufik Hakkar fügte an: "Algerien hat beschlossen, für alle seine Kunden relativ korrekte Preise beizubehalten".

Eine "Neuberechnung" der Preise für spanischen Kunden Naturgy sei jedoch "nicht ausgeschlossen", machte der Staatsbetrieb die Verärgerung deutlich.