Wie aus der Friedensbewegung die "fünfte Kolonne Putins" wurde

Protest gegen den Nato-Doppelbeschluss, 1981, Bonn. Bild: Rob Bogaerts / Anefo

Von "Ohne-mich", über 'Petting statt Pershing' und den Montagsmahnwachen bis hin zum Ukraine-Krieg: Ein Blick auf die Wandlungen des Aktivismus gegen Militär und Krieg (Teil 1)

Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck nennt anlässlich der Ostermärsche 2022 den Pazifismus einen "fernen Traum", Zuschauen sei angesichts des Krieges Russlands die "größere Schuld" im Vergleich zum dringend notwendigen Waffenliefern an die Ukraine.

FDP-Politiker Graf Lambsdorff warf gleich der ganzen Friedensbewegung und den Ostermarschierern vor, als "fünfte Kolonne" Wladimir Putins zu fungieren – und fand so aggressiven Anschluss an die alten Diskursstrategien des Antikommunismus aus Kalte-Kriegs-Zeiten.

Bundespräsident Wolfgang Thierse (SPD) nannte die Positionierung der Friedensbewegten "zynisch", die Haltung sei getragen von einer Ignoranz gegenüber den Menschen in der Ukraine.

Damit haben sich drei prominente Politiker der aktuell regierenden Ampelkoalition klar gegen die Friedensbewegung ausgesprochen. Traditioneller Antikommunismus bei den Liberalen kommt zur Geltung und die Atlantiker innerhalb der SPD haben Oberwasser. Dabei wird vor allem deutlich, wie weit sich die aktuelle Politikergeneration der Grünen von den Anfängen der eigenen Partei entfernt haben.

Weltweite Demonstrationen gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine (21 Bilder)

Washington, D.C. am 6. März. Bild: Frypie / CC-BY-SA-4.0

Diese entstand schließlich nicht nur aus maoistischen und spontaneistischen Überresten der 1970er-Jahre, sondern nahm mehrheitlich die Protestdynamik aus Friedens- und Umweltbewegung, sowie des Feminismus in sich auf. Während Gender- und Klimathemen noch als schwacher Abklatsch in der Partei zu verorten sind, ist die Friedensfrage vollständig marginalisiert und zu einer Bereitschaft, Krieg zu führen, verkehrt worden.

Allerdings ist auch die Szene des friedensbewegten Aktivismus gespalten: Ein Aufruf der Berliner Friedenskoordination zu den Ostermärschen und Friedenskundgebungen provozierte syrische und ukrainische Aktivistinnen und Aktivisten, einen "alternativen Ostermarsch" mit der eindeutigen Ausrichtung: "Stoppt russische Kriege – für Freiheit und Gerechtigkeit" zu initiieren.

Irritierend an dem Aufruf ist die Gegenüberstellung von "Demokratien" und "Autokratien", wobei apodiktisch behauptet wird, die "Kriegsgefahr geht von Autokraten aus". Im Angesicht der internationalen Politik ist dies nicht richtig, viele Autokratien haben die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte keine Kriege geführt. Dagegen führten die USA als Demokratie seit 1945 fast ununterbrochen Kriege.

Und wie immer man zu den Kriegseintritten der USA in den Ersten und Zweiten Weltkrieg stehen mag: Hier wurde eben das Mutterland der westlichen Demokratie aktiv. Die Aktivistinnen und Aktivisten des alternativen Ostermarschs wollten sicherlich betonen, dass viele Friedensbewegte des linken Lagers, aber auch der durchschnittliche Bundesbürger die Kriege Russlands in Tschetschenien, Georgien, Syrien und nun aktuell in der Ukraine nicht angemessen einschätzen.

Darin ist ihnen recht zu geben, den aggressiven Kurs Russlands in seiner Außenpolitik wollen tatsächlich viele traditionell russlandfreundliche Friedensaktivist:innen nicht wahrnehmen. Die verschärfte Rhetorik der syrisch-ukrainischen AktivistInnen, die sich um die Kampagne "Adopt a Revolution" gruppieren, und in der Forderung nach konsequenten Sanktionen münden, legen sich wiederum nicht Rechenschaft darüber ab, ob dies überhaupt effektiv ist, denn einige Experten sagen, dass Putin genug Öl, Waffen und Soldaten hat, um den Krieg in der Ukraine lange zu führen.

Die Umsetzung der Forderung, überhaupt keinen Handel mit Russland mehr zu betreiben, würden wahrscheinlich in erster Linie zur Verarmung der russischen Bevölkerung führen. Auch Teile der europäischen und deutschen Bevölkerung wären davon betroffen, für die ein "Frieren für den Frieden" (so der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck), eine wenig erfreuliche Aussicht ist.

Das Embargo gegen den Irak, das sich an den Golfkrieg 1991 anschloss, hat gezeigt, dass durch Sanktionen Hunderttausende sterben können und die herrschende Elite immer Wege findet, sich versorgen zu lassen. Embargopolitik zeitigt auch international Folgen: Allein die Erhöhung der Nahrungsmittelpreise wird die Bevölkerung im Globalen Süden treffen, die von billigen Importen abhängig ist.

Es gibt also gute Gründe, warum die offizielle Friedensbewegung keine Forderungen nach einer verschärften Embargopolitik erhebt. Allerdings hat die zu Ostermarschen aufrufende Friedensbewegung ein Problem: So wichtig es ist, dass aktuell in der Öffentlichkeit eine Stimme zu vernehmen ist, die den Krieg generell ächtet und auf zivile Konfliktlösung drängt, so wenig erscheint dies der Dynamik des Krieges selbst und der verlautbarten Aggression von russischer Seite angemessen zu sein.

Selbst libertäre Graswurzelaktivisten einer bedingungslosen Gewaltfreiheit müssen konstatieren, dass die gewaltfreien Proteste zivilen Ungehorsams in der Ukraine ohne die Formen des bewaffneten Abwehrkampfs recht wirkungslos wären.

Einige Akteure der Friedensbewegung wollen sich nicht nur auf eine gesinnungsethische Position des reinen Pazifismus zurückziehen, sie machen eine Position stark, die der Genese des Konflikts nachgeht.

Dabei betonen sie den macht- und geostrategischen Rahmen des zum Krieg gesteigerten Konflikts um die Ukraine. Sie skizzieren ein großes Bild der aktuellen Weltordnung im Sinne eines politischen Realismus fernab von unmittelbarem praktischem Humanismus.

Sie kritisieren die Nato-Osterweiterung, die entgegen den mündlichen Zusagen der Umbruchszeit 1990 erfolgte. Sie verweisen zuweilen auf den seit 2014 gegebenen Konflikt rund um die ostukrainischen Gebiete, einem lokalen Krieg, den weder die russische noch die ukrainische Seite – und auch nicht der Westen – Einhalt gebieten wollte und konnte. Sie machen ein raumpolitisches Sicherheitsbedürfnis Russlands geltend und erscheint so tatsächlich als eine Kraft, die dem Angriffskrieg Russlands, der am 24. Februar erfolgte und sich täglich zuspitzt und barbarisiert, "verstehend" und damit scheinbar legitimatorisch begegnen würde.

Wenn Friedensbewegte auf die reaktionär-antirussischen Kräfte des Maidan und auf die seit 2015 erfolgte Aufrüstung der Ukraine unter anderem durch die USA verweisen, auf die gemeinsamen Militärmanöver unmittelbar vor Russlands Haustür und generell eine Strategie der USA vermuten, Russland zu umkreisen, Europa stärker an sich zu binden und von Russland fernzuhalten, erscheint dies nicht nur politischen Gegnern der Friedensbewegung angesichts der aktuellen Kriegsgeschehnisse und der Bilder, die aus den Kriegsgebieten zu uns dringen, als ein verquerer Antiamerikanismus.

Denn diese Hinweise liegen quer zur aktuellen bundesrepublikanischen Informationspolitik und der medialen Berichterstattung, in der RT DE zensiert und aus dem Rezeptionsraum ausgeschlossen bleiben muss. Auch für das eigene Milieu sind die geostrategischen Fakten und Argumente der linken Nato-GegnerInnen schwer verdaulich, weil sie sich von einem unmittelbaren Moralismus lösen, den die Friedensbewegung immer begleitete.

Im Folgenden möchte ich ein paar Schlaglichter werfen auf die Geschichte der hiesigen Friedensbewegung und ihr Verhältnis zu den USA als Hegemonialmacht nach 1945. Dabei soll herausgearbeitet werden, in welcher Art Friedensbewegungen auf die großen politischen Umbrüche historisch wie aktuell reagierten.

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