Regenerative Landwirtschaft: Pilze und Würmer statt Pflug

Was für manch menschliches Auge eklig ist, kann für Böden durchaus gesund sein. Foto: Patricia Maine Degrave auf Pixabay (Public Domain)

Mit Hilfe alternativer Methoden wie pfluglosem Ackern, Agroforst oder syntropischer Landwirtschaft können nährstoffarme Böden mit Humus angereichert und Wälder erneuert werden

Humus stabilisiert Böden und macht sie fruchtbar. Er ist dafür verantwortlich, dass Kulturpflanzen wachsen. Überall, wo Regenwürmer, Springschwänze, Milben, Bakterien, Pilze, abgefallene Blätter, Kuhfladen oder Getreidestoppeln in Nährstoffe, Enzyme, Fermente und andere Substanzen zerlegen, entsteht Humus. Ackerböden enthalten meist ein bis vier Prozent, Waldböden zwei bis acht Prozent und Grünland vier bis fünfzehn Prozent. Zusammen mit mineralischen Ton-Partikeln bildet er einen so genannten Ton-Humus-Komplex

mit hoher Wasserspeicherfähigkeit. Erhöht sich der Humusgehalt von zwei auf drei Prozent, so bindet er je nach Bodenart und -typ pro Hektar 30 bis 60 Tonnen Kohlendioxid aus der Luft. Gesunde humusreiche Böden sind in der Lage, Überschwemmungen abzupuffern und die Folgen von Dürren zu begrenzen.

Seit Jahrzehnten nehmen die Böden wegen ständiger Übernutzung und Erosion an Fruchtbarkeit ab. Alarmiert durch die stete Abnahme wächst die Zahl engagierter Landwirte, die Humus gezielt wieder aufbauen wollen. Auf einem der ältesten Biobetriebe Deutschlands errichtete Friedrich Wenz eine Forschungs- und Versuchsstation für Regenerative Landwirtschaft.

Um die Methode weiterzuverbreiten, hat der Agrarexperte sogar seine Arbeit in der Industrie aufgegeben. Sein Ziel ist es, die Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaftsbetriebe zu stärken. Deshalb organisiert und moderiert er Veranstaltungen zum Thema.

Beim Regenerativen Landbau wird der Boden permanent bedeckt gehalten. Kleinstorganismen wie Bakterien bis hin zu Pilzen und Würmern werden gezielt gefüttert und gefördert. Auf das Pflügen wird dabei bewusst verzichtet. Denn der Pflug kehrt das Unterste nach oben und zerstört das Bodengefüge. Bei der Aussaat wird ein Unterbodenlockerer hinter den Trecker gespannt, dessen gekrümmte Zinken weit in den Boden hineinreichen, um diesen leicht anzuheben. In die kleinen horizontalen Risse, die im Gefüge entstehen, dringen die Pflanzenwurzeln später schnell ein.

Durch kleine Düsen, die mit den Zinken verbunden sind, wird ein milchsauer vergorenes Pflanzenferment in die entstehenden Hohlräume gespritzt. Der Saft besteht aus Brennnesselblättern, Beinwell und anderen Heilkräutern, die der Biobauer von Böschungen und Wegrändern erntet. Das Ferment regt das Bodenleben an und bereitet es auf künftige Pflanzenwurzeln vor. Mit demselben Arbeitsgang wird das Saatgut eingesät.

Kompost-Tee als Starthilfe

Der Termin für die Aussaat bei Soja ist Ende April, bei Mais ist er Anfang Mai. Geht die Saat auf, wird auf die Jungpflanzen eine nährstoffreiche Brühe ausgebracht. Dafür wird etwas Kompost in Wasser gelöst, Melasse hinzugegeben. Das Ganze wird 24 Stunden aktiv belüftet. Die Mikroorganismen im Kompost vermehren sich explosionsartig.

Die Spritzung regt die Photosynthese in den Pflanzen an und verleiht ihnen einen enormen Schub. Auf diese Weise produzieren sie zum Beispiel mehr Zucker, den sie über den Pflanzensaft als Futter an die Bakterien im Wurzelbereich im Tausch gegen Nährstoffe abgeben. Dieser Tee werde im Frühjahr auch auf das Wintergetreide oder nach einem Hagelschaden gespritzt, weiß der Experte.

Sind die Pflanzen hoch genug, wird zwischen die Reihen eine Gras-Klee-Mischung eingesät. Gras wächst auch im Wintergetreide mit - im Schatten der Hauptkulturen. Der Acker, der nach der Ernte offen daliegen würde, ist so bereits nach zwei Wochen grün. Die Untersaat schützt den Boden vor Erosion und lockert ihn durch die Wurzeln auf. Über die Photosynthese werden Kohlenstoffverbindungen wie Zucker in den Boden eingelagert. Vor der nächsten Aussaat wird der Bewuchs mit einer Fräse flach abgeschält.

Die Pflanzenreste werden mit Erde vermischt. Anschließend verbleiben sie zwei Wochen auf dem Acker, wo sie verrotten. Der Verrottungsprozess wiederum wird unterstützt durch eine Spritzung aus Pflanzenferment. Diese Flächenrotte sei eine wichtige Maßnahme, um Humus aufzubauen, erklärt Wenz im Interview mit der Zeitschrift Schrot&Korn.

Weil sich die Biologie im Boden stets ändert, werde auch der Unkrautdruck reduziert. Unkraut könnte beim pfluglosen Anbau sonst zum Problem werden.

Agroforst: Ackerbau mit Baumreihen

Etwa 1400 Betriebe - konventionell und Bio - haben Friedrich Wenz und zwei weitere Kollegen inzwischen beraten. So entstand rund um die Lebensgemeinschaft Schloss Tempelhof in Baden-Württemberg ein Netzwerk an jungen Landwirten und Gärtnern, die sich die aufbauende Landwirtschaft als Ziel setzten - oft in Verbindung mit solidarischer Landwirtschaft und Direktvermarktung.

Oder in Kombination mit Agroforst: Bäume und andere mehrjährige holzige Kulturen werden auf eine landwirtschaftlich genutzte Fläche gepflanzt, um die positiven Wechselwirkungen zwischen beiden Komponenten zu nutzen. Die Fläche unter den Bäumen kann dabei entweder für garten- und ackerbauliche Kulturen oder als Weidefläche genutzt werden - oder aus einer Kombination aus beidem.

Über Hecken und Bäume bzw. über schattenspendende Weiden oder Pappeln, zwischen denen Getreide wächst, kommen Humus und Photosyntheseprodukte wie Zucker in den Boden. Ihre Wurzeln erschließen tiefere Bodenschichten für den Nährstofftransport. Je nach örtlichen Gegebenheiten werden schmale Baumreihen gepflanzt, sodass zwischen den Reihen Ackerpflanzen kultiviert werden können.

Durch Laubfall, abgestorbene Feinwurzeln und Wurzelausscheidungen wird über den Humus verstärkt Kohlenstoff eingelagert. Langfristig verbessert sich die Bodenqualität. Über geschlossene Nährstoffkreisläufe zwischen Ackerkulturen und Holzgewächsen erhöht sich zudem die Fruchtbarkeit. Pflanzen, Bäume und Tiere passen sich langfristig optimal an die standorttypischen Bedingungen an.

Der Boden wird widerstandsfähiger gegenüber Dürreperioden, Erosion und starken Niederschlägen. Neben erhöhter Wasserspeicherfähigkeit verbessert sich über die Verdunstung auch das Mikroklima.

Je nach Breite der Baumstreifen werden zwischen fünf und zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche bepflanzt. Der entgangene Ertrag auf dem Acker wird durch eine Vielzahl von Vorteilen der Baumstreifen ausgeglichen und sogar noch übertroffen: Die Bäume liefern Bau- und Brennholz. Über die Früchte, die von Obst- oder Nussbäumen geerntet werden, entsteht eine zusätzliche Wertschöpfung. Durch periodischen Rückschnitt der Pflanzen und Bäume wird der Boden zusätzlich mit organischer Substanz gedüngt.

Alles in allem lässt sich die Produktivität - dank der effizienteren Nutzung von Licht und Nährstoffen - im Verhältnis zur jeweils einmaligen Nutzung einer vergleichbaren Fläche um 20 bis 60 Prozent steigern.

Beyond Farming und multifunktionale Landnutzung

Seit 2019 hilft die Bodenretter-Initiative Followfood Landwirten dabei, auf regenerativen Landbau umzustellen - zum Beispiel den Naturland-Betrieb Gut&Bösel im Osten Brandenburgs: Der Modellbetrieb zeigt, wie sandige und humusarme Böden durch vielfältige Maßnahmen fruchtbar gemacht werden. Jahrzehntelang ging es der Landwirtschaft um maximale Erträge, erklärt Benedikt Bösel im Interview mit dem SWR.

Inzwischen sind die Böden, die diese Erträge hervorbringen, nahezu kaputt gewirtschaftet. Klimawandel, Raubbau und ausgelaugte Böden haben aktuelle Systeme keine Zukunft, glaubt der ehemalige Banker, der das Gut 2016 von seinen Eltern mit 1000 Hektar Agrarfläche und 2000 Hektar Kiefernwälder übernahm. Brandenburg gehört zu den trockensten Gegenden Deutschlands.

Auf den extrem sandigen und trockenen Böden, die das Wasser nur schlecht halten, lässt sich nur schlecht Humus aufbauen. Nach vier Dürrejahren beschloss der Jungunternehmer, die Art der Bewirtschaftung zu ändern. Denn reine Kiefernwälder sind anfälliger für Schädlinge und Brände.

Syntropische Landwirtschaft

Begleitet und unterstützt von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde begann er mit dem Umbau seines Waldes: So wurden auf einer Versuchsfläche alle Kiefern gefällt, auf einer anderen nur ein Teil entnommen. Die gefällten Stämme werden in Reihen angeordnet als Schutz für neue Pflanzen.

Dazwischen pflanzen die Mitarbeiter 7000 neue Bäume, insgesamt 30 verschiedene Arten - darunter Pappeln, Eichen, Buchen, Douglasien, aber auch Sanddorn, Liguster, Schlehen und Himbeeren - nach dem Prinzip der syntropischen Landwirtschaft. Das heißt, natürliche Prozesse des Ökosystems werden weitgehend in Einklang mit der landwirtschaftlichen Nutzung der Flächen unter Berücksichtigung der natürlichen Abfolge von Pflanzengemeinschaften gebracht: Natürlicherweise wird jede Brachfläche zuerst von Pionierpflanzen besiedelt, bevor nach und nach andere dazukommen.

Das möglichst diverse Baum-System soll sich am Ende selbst düngen, Wasser speichern und robuster werden gegenüber Wetterveränderungen. Wie auch immer sich das Klima verändert - mindestens eine Baumart wird dabei sein, die sich besser als die anderen an das neue Klima anpassen kann.

Ganzheitliches Weidemanagement

Die Ackerflächen, auf denen im Sommer Dinkel oder Hafer wächst, werden im Winter von einer Herde Rinder beweidet. Dazwischen werden Untersaaten oder Zwischenfrüchte wie Klee oder Gras eingesät. So liegt der Acker niemals brach. Mehrmals am Tag werden die Zäune weiter gesteckt, sodass wieder ein neues Stück Weide zur Verfügung steht.

Dabei fressen die Kühe die Gräser nicht bis zum Boden ab, sondern nur etwa 50 Prozent der vorhandenen Biomasse. Die Gräser reagieren auf diesen „Schock“ mit Wurzelwachstum. Dies wiederum wirkt sich positiv auf das Bodenleben aus. Treten die Kühe die Pflanzen in den Boden treten, profitieren die Bodenorganismen davon. Weil die Kühe häufig umgestellt werden und ihren Dung hinterlassen, hat das Gras wochenlang Zeit, sich zu erholen.

Über die Beweidung wird Kohlenstoff in Pflanzen und Boden gespeichert - und zwar 3,5 kg Kohlenstoff je produziertes Kilogramm, wie Studien ergaben. Wegen des Dungs und häufigem Umstellen der Tiere und hat das Gras genügend Zeit sich zu erholen. Zudem kann der Kohlenstoff im Boden gespeichert werden. Somit tragen die Kühe zu mehr Klimaschutz bei. Der Vorwurf, Kühe seien "Klimakiller", ist nicht haltbar.

Regenerative Landwirtschaft geht nicht ohne Öko

Die meisten Vertreter der regenerativen Landwirtschaft unterscheiden nicht zwischen "Bio" und konventionell. Denn, so lautet das Argument, konventionelle Äcker haben den Humusaufbau noch viel dringender nötig als biologisch bewirtschaftete. Möglichst viele Landwirte sollen mitgenommen werden. Im konventionellen Landbau allerdings funktionierte pfluglos bisher nur mit Herbiziden. Pestizide und Kunstdünger jedoch schaden dem Bodenleben.

"Bis 2030 werden 50 Prozent unserer wichtigsten Rohstoffe aus regenerativer Landwirtschaft stammen", kündigt etwa Nestlé an. Von Ökolandbau ist keine Rede. Was die Konzerne genau damit meinen, sei weder genau definiert noch überprüfbar, kritisiert Andrea Beste. Die Bodenwissenschaftlerin warnt vor Greenwashing, wie sie etwa OP2B betreibt.

Zu der im September 2019 von 19 Konzernen gegründeten Koalition für alternative Anbaumethoden gehören internationale Lebensmittelkonzerne wie Unilever, Nestlé, Danone genauso wie Yara, der weltweit größte Hersteller von Kunstdünger.

Die Agrarexpertin setzt sich dafür ein, dass Öko-Landbau als gesetzliche Mindestabsicherung an Nachhaltigkeit etabliert wird, mit regenerativer Landwirtschaft als Zusatzlabel obendrauf - ähnlich wie in den USA, wo der Begriff Regenerative Landwirtschaft vor 40 Jahren von Robert Rodale geprägt wurde. Sein Ziel war es, im Bio-Landbau die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen.

Seit 2017 gibt es in den USA die die Zertifizierung regenerative organic certified. Neben Bodenaufbau und mehr Tierwohl schließt die Initiative auch soziale Kriterien mit ein. Ein paar regenerative Maßnahmen umsetzen und Glyphosat sprühen, das sei keine regenerative Landwirtschaft, kritisiert Julius Palm. Der Mitarbeiter von Followfood setzt sich für die sozial-ökologische Zertifizierung nach US-amerikanischem Vorbild ein. Bio ist nur ein Anfang, ist er überzeugt, für die Gesundung unserer Ökosysteme allein reicht es nicht.

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