Spanien nimmt ukrainischen Exil-Journalisten fest

Anatoli Scharij. Archivfoto (Juni 2021): Ralf Streck

Der lange Arm des ultranationalistischen Asow-Regiments reicht bis nach Spanien, wo Anatoli Scharij bedroht und nun auf Basis politischer Anschuldigungen festgenommen wurde

Am Mittwoch, genau einen Tag nach dem Tag der Pressefreiheit, war es soweit: Die spanische Nationalpolizei griff in Katalonien auf Basis eines internationalen Haftbefehls aus Kiew in Tarragona zu. Anatoli Scharij, der Chef der Scharij-Partei, – die wie mehrere andere, meist linke Oppositionsparteien in der Ukraine inzwischen verboten ist (demokratiepolitisch "ein sehr schmaler Grat", wie die Frankfurter Rundschau kürzlich ausführte) – wurde am Mittwoch in Roda de Berà festgenommen, bestätigte gegenüber Telepolis dessen Anwalt Gonzalo Boye.

Anklage: "Hochverrat und Terrorismus"

Daraufhin wurde er zum Sondergericht Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof) in Madrid geschafft, das für schwerste Verbrechen wie Terrorismus zuständig ist. Denn neben Hochverrat wird ihm auch der absurde Vorwurf des Terrorismus gemacht, weil er Geheimdienstler einst als "dumme Schweine" bezeichnet hatte, wie er auch im Telepolis-Gespräch vor einem Jahr einräumte: "Wir brauchen Schutz von Spanien vor ukrainischen Rechtsextremen".

Auf Hochverrat allein steht eine Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren. Die Vorwürfe gegen ihn werden unter anderem damit begründet, dass der Video-Blogger Scharij 2013 und 2014 zum Konflikt im Donbass "verzerrte Informationen" veröffentlicht haben soll. Damit habe er "subversive" Aktivitäten Russlands unterstützt. Er soll Absprachen mit nicht genannten Vertreten eines "ausländischen Staates" getroffen und sich mit Vertretern "russischer Fernseh- und Radiounternehmen" getroffen haben, um "subversive Aktivitäten gegen die Ukraine im Informationsbereich" zu unterstützen.

Die Umstände konnten durch die vorgerichtliche Untersuchung "nicht festgestellt werden", heißt es aber vielsagend in einem Geheimdienstdokument, das Telepolis vorliegt.

Wer auch die andere Seite zu Wort kommen lässt, in der Ostukraine recherchiert, wird selbst zum Ziel massiver Angriffe, nicht nur in der Ukraine, sondern auch in der EU. Das zeigt auch der Fall des seit zwei Monaten in Polen einsitzenden baskischen Journalisten Pablo Gonzalez, der weiterhin keinen Kontakt zu seinem Anwalt und seiner Familie hat.

Auch in dem Fall sah man es in Kiew nicht gerne, dass auch er über den Krieg im Osten des Landes berichtet hat. Der tobt schon seit acht Jahren und hat angeblich 14.000 Todesopfer gefordert, was in Veröffentlichungen mit großer Reichweite selten, wenn überhaupt, noch zur Sprache kommt. Polen will Gonzalez wegen angeblicher "Spionage" für Russland anklagen, zuvor hatte ihn schon der Geheimdienst in der Ukraine festgenommen.

"Subversive Tätigkeit"

Scharij dagegen hat sich schuldig gemacht, dass er früher auch mit russischen Soldaten gesprochen und die Aufnahmen in Videos verwendet hat. Dabei gehört es zur journalistischen Pflicht, beide Seiten zu hören. Die galt schon damals in der Ukraine wenig und heute bekommt man in fast ganz Europa nur noch eine Seite zu hören.

Auch auf diese Interviews gründet sich der Vorwurf einer angeblichen "subversiven" prorussischen Tätigkeit, die zum Ziel habe, die "nationale Sicherheit zu untergraben" und die "Kampfmoral der Truppen" zu schwächen.

Die Verfolgung durch Asow-Kämpfer

Lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine verfolgten Asow-Kämpfer den Journalisten bis ins katalanische Exil in Tarragona, wo er nun kurzzeitig festgenommen wurde. Der Asow-Chef Andrij Bilezkyj fordert seit Jahren offen die "physische Vernichtung" der Mitglieder der 2019 gegründeten Partei Scharij. In einem Video fordert Bilezkyj, dessen Faschisten-Truppe lange vor dem Krieg in die Nationalgarde integriert wurde, unverblümt: "Tod dem Feind Anatoli".

Etwas voreilig haben die ukrainischen Behörden die Festnahme des Journalisten gefeiert. Die sei "ein weiterer Beweis dafür, dass Verräter früher oder später bestraft werden". Sie dankten der spanischen sozialdemokratischen Regierung für die Zusammenarbeit. Gefallen dürfte aber weder Asow noch dem Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dass sogar die spanische Justiz der Ukraine diese "Räuberpistole" offenbar nicht abkauft, wie dessen Anwalt Gonzalo Boye gegenüber Telepolis erklärt.

Wieder auf freiem Fuß

Scharijs Frau, Olga Bondarenko, hat gegenüber Telepolis bestätigt, dass der Journalist am Donnerstag wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist. Er muss sich nun alle 15 Tage bei den Behörden melden und darf Spanien nicht verlassen.

Scharij hatte noch am Tag der Pressefreiheit getwittert, dass er von einem Berater des ukrainischen Innenministeriums "bedroht" worden sei. "Er sagte mir, dass der ukrainische Geheimdienst mich in Europa finden würde und..." Einen Tag später wurde er festgenommen. Es gibt offensichtlich gute Drähte zwischen Kiew und Madrid. Den Berater bezeichnete er in einem empörten Tweet als "korrupten Dieb und Idiot". Sein "einziges Verbrechen" bestehe darin, dass er die "Diebe zu wenig entlarvt" habe.

Eine Auslieferung an die Ukraine hätte für Scharij bittere Folgen. "In der Ukraine würde ich nicht länger als einen Tag leben", erklärte der Video-Blogger, dessen Youtube-Kanal 2,5 Millionen Menschen abonniert haben, im Telepolis-Interview vor einem Jahr.

Fliehen musste der Journalist schon unter der Janukowytsch-Regierung unter anderem wegen seiner Korruptions-Enthüllungen. Zwischenzeitlich hatte er in Litauen einen Flüchtlingsstatus, der ihm aber auf Druck der Ukraine aberkannt wurde.