Kritik an deutschen Medien: Sie vermeiden Hintergründe

Aktuelle Studie untersucht Berichterstattung über den Bundeswehreinsatz in Mali. Medien beschränken sich auf Agenturberichte und staatliche Propaganda. Hintergrundrecherchen gibt es kaum.

Der deutsche Journalismus ist in der Krise und die Otto-Brenner-Stiftung steckt mit einer aktuellen Studie einmal mehr den Finger in die Wunde. Die Stiftung untersuchte die Berichterstattung zu den Einsätzen der Bundeswehr in Mali und der Sahel-Region.

Dabei mahnt sie dringend eine Professionalisierung der journalistischen Arbeit an. Und das scheint auch dringend geboten zu sein, wie die Ergebnisse der Studie zeigen. So ist von "übervereinfachter Realitätswahrnehmungen" in den deutschen Medien die Rede oder davon, dass sie keine eigenständigen Recherchen unternehmen, oder dass vor allem die afrikanische Sichtweise weitgehend ausgeblendet wird.

Hintergrund der Studie ist, dass der Bundestag jährlich über die Verlängerung der Mandate der Bundeswehr streitet; aber in der Öffentlichkeit kaum eine ernsthafte Debatte darüber stattfindet. In der Studie heißt es schließlich, dass man "vom Mediensystem einen deutlich ernsthafteren Umgang mit dem Thema Krieg und Kriegseinsätze" fordere.

Die historische Niederlage des Westens in Afghanistan, die Irak- und Libyen-Desaster, Syrien, der Stellvertreterkrieg im Jemen und nicht zuletzt der aktuell eskalierte Russland-Ukraine-Krieg geben mehr als genug Anlass für Redaktionen, ihre Krisen- und Kriegsberichterstattung zu professionalisieren.

"Mediale Routinen und Ignoranz?"

Untersucht wurde nun, wie sich die Geschehnisse in der Sahel-Region, aber auch die Debatten im Bundestag und die Abstimmungen über die Verlängerungen im letzten Jahr in den führenden deutschen Massenmedien niederschlugen. Für die Studie wurden Berichte aus den Leitmedien Zeit Online, FAZ.NET und tagesschau.de im Zeitraum vom 5. April 2021 bis 4. Juni 2021 herangezogen. Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse wurden dann mit Experten aus Mali, Niger und Deutschland diskutiert.

Experten: Es fehlt an Hintergrundinformationen

Was im Bundestag zu den Einsätzen in Mali und der Sahel-Region diskutiert wurde, spielte demnach überhaupt keine Rolle. Es wurde lediglich festgestellt, der Bundestag habe die Verlängerung abgenickt.

Dagegen zeigt sich der Einfluss der Nachrichtenagenturen. Denn etwa 60 Prozent aller Berichte seien eins-zu-eins von den Agenturen übernommen worden oder basierten auf Material von Agenturen. Eine besondere Rolle spielten dabei die französische AFP und die deutsche Presseagentur dpa.

Zwar stammten immerhin 40 Prozent der Berichte von Korrespondenten, doch die berichteten nicht von Mali aus. Sie arbeiteten von den Standorten Kapstadt, Paris, Berlin und Rabat und waren damit zwischen 2.400 und 6.000 Kilometer vom Geschehen entfernt. Keines der Medien habe es für nötig befunden, Reportagen aus der Sahel-Region zu bringen oder komplexere Recherchen durchzuführen oder investigative Beiträge zu platzieren.

Die Quellen der Berichterstattung sei demnach auch sehr eingeschränkt: "Mit weitem Abstand dominieren hochrangige französische und deutsche Regierungsvertreter, gefolgt von malischen Militärs sowie hochrangigen EU- und UN-Vertretern", heißt es in der Studie.

Auffällig sei, dass knapp 60 Prozent aller Quellen nicht afrikanisch sind und ganze afrikanische Gruppen von Quellen "nur in raren Einzelfällen zu Wort" kommen. Damit sind afrikanische Wissenschaftler, Geschäftsleute, Religionsvertreter oder Künstler gemeint. Hilfsorganisationen spielten nur eine marginale Rolle und die vermeintlichen Terroristen und verschiedenen bewaffneten Gruppen würden so gut wie überhaupt nicht abgebildet, sondern kämen nur als "bedrohlicher Subkontext" vor.

Afrikanische Experten mahnen an, dass den Militäreinsätzen in der Sahelzone in Deutschland "höchstes Interesse" zukommen sollte. Unabhängige Journalisten und Redaktionen müssten bei Fragen von Krieg und Frieden deutlich mehr leisten. Dass unter den analysierten Artikel keiner dabei war, der von einem afrikanischen Autor stammte, wertete einer der Experten als "Verachtung" und Affront.

Frames und Propaganda in der Berichterstattung

Es zeige sich, so einer der afrikanischen Experten, dass sich die Berichterstattung in immer gleichen Frames bewege.

Journalismus hätte jedoch die Aufgabe, diese permanent zu hinterfragen, was nur ginge, wenn man sich nicht fortwährend auf Propaganda und Verlautbarungen von Regierungen, deren Militärs und internationalen Organisationen stütze. Dass ganze Gruppen von wichtigen Quellen wie afrikanische Experten, Geschäftsleute, Intellektuelle, Künstler und Religionsvertreter so gut wie nicht zu Wort kommen, "tut weh" und sei "inakzeptabel".

Die Studie führt einen emeritierten deutschen Afrikanistik-Professor an, der erklärte, "dass die Mandatsverlängerungen im journalistischen Feld offensichtlich ‚für einen Routinevorgang‘ gehalten würden". Und das sei falsch: Selbst die Regierungsfraktionen hätten im letzten Jahr Sahel-Papiere erarbeitet, ebenso das Auswärtige Amt. Auch die Entscheidungen im Bundestag seien keine Routine gewesen.

Vor diesem Hintergrund weist die Otto-Brenner-Stiftung auf die Bedeutung des Themas Frieden im deutschen Grundgesetz hin. Für einen richtigen Umgang mit Truppenentsendungen und für deren Bewertung seien parlamentarische Debatten und massenmediale Diskurse grundlegend. Doch die deutschen Medien informierten die Bürger nicht "hintergründig", weder über das eine noch über das andere. Von der Förderung eines gesellschaftlichen Diskurses könne deshalb keine Rede sein.