Europa: Gas-Zufuhr wird knapper

Rohr der Nord-Stream-Pipeline, ausgestellt in Kotka, Finnland. Bild (Oktober 2017): Vuo/CC BY-SA 4.0

Die Ukraine schraubt mit eher fadenscheinigen Begründungen die Versorgung aus Russland herunter. Auch aus Algerien fließt weniger

Immer wieder wird gerade im besonders vom russischen Gas abhängigen Deutschland darüber spekuliert, was wohl passieren würde, wenn Russland den Gashahn nach Europa abdreht. Eingetreten ist dieses Szenario bisher nicht.

Bis dato ist, trotz der Kriegshandlungen in der Ukraine, das Gas auch zuverlässig über die Sojus-Pipeline in Richtung Westeuropa geflossen. Doch nun fällt insgesamt eine Liefermenge von fast 33 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag über diese Pipeline weg. Das soll etwa ein Drittel der täglich über die Ukraine nach Europa transportierbaren Höchstmenge sein.

Zu dem Vorgang wurde zum Teil höchst merkwürdig getitelt: "Russisches Gas für Europa: Kaum Auswirkungen durch Transit-Stopp", war die Überschrift der Tagesschau. Diese Überschrift lässt die Interpretation zu, dass Russland für den Transit-Stopp verantwortlich sein könnte.

n-tv titelte: "Ukraine muss Transit einstellen. Durch Luhansk strömt kein russisches Gas mehr." Hier wird eine Tatsachenbehauptung aufgestellt, die nicht überprüfbar ist.

Es wird schlicht die Version der Ukraine übernommen, dass das Land ab Mittwoch den Transit von russischem Gas im Gebiet Luhansk im Osten des Landes wegen angeblich "höherer Gewalt" einstellen müsse. Aufgrund der russischen Besatzung sei es unmöglich geworden, den Punkt Sochraniwka sowie die Verdichterstation Nowopskow zu kontrollieren, hieß es im Artikel.

Zum Glück ist die Darstellung in den großen Medien in diesem Fall nicht überall so geframt. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) bringt den Vorgang im Titel auf den Punkt: "Kiew dreht den Hahn zu." In der Unterüberschrift stellt die SZ heraus, dass es die Ukraine ist, die den "Gastransit durch die wichtige Sojus-Pipeline stoppt, weil sie durch von Russen besetztes Gebiet läuft."

Damit erhält man schon in den ersten Zeilen ein Bild davon, was hinter dem Vorgang steckt. Denn Fakt ist, dass die Ukraine den Gashahn zugedreht hat. Der ukrainische Netzbetreiber GTSOU erklärte in seiner Begründung, dass die "Aktivitäten der Besatzer" zur Unterbrechung des Gastransits durch den Anschlusspunkt Sochraniwka geführt hätten. So wird sogar in der Mitteilung von GTSOU schon angedeutet, dass die "höhere Gewalt" nur vorgeschoben sein dürfte.

Denn damit hat man eine einfache Möglichkeit, die Erfüllung bestehender Verträge zu umgehen. Das gilt besonders in einem umkämpften Gebiet, wo es sehr schwierig ist, die Realität unabhängig zu überprüfen.

"Höhere Gewalt"

Die GTSOU spricht auch von "Eingriffen der Besatzungsmächte" und auf "unerlaubte Gasentnahmen aus den Gastransitströmen", welche die Stabilität und Sicherheit des Netzes gefährden würden. Damit würden unter anderem Kraftwerke betrieben, meldete der ukrainische Gaskonzern Naftogaz.

Der Schaden belaufe sich auf rund eine Milliarde Euro im Monat. Kurios darf man es nennen, dass die Ukraine trotz ihrer Unterbrechung des Gastransits von Gazprom anmahnt, die für die Ukraine wichtigen Durchleitungsgebühren weiter, wie vereinbart, zu bezahlen.

Das ist aber kaum zu erwarten, zumal von russischer Seite die Vorgänge vehement dementiert werden. Das weltweit größte Erdgasförderunternehmen Gazprom erklärte, die Ukrainer hätten in Luhansk auch in den vergangenen Wochen völlig ungestört arbeiten können. Der Gazprom-Sprecher Sergej Kuprianow teilte per Telegram mit: "Gazprom hat keine Bestätigung über höhere Gewalt erhalten und sieht keine Hindernisse für die Fortsetzung der Arbeiten."

Einer Umleitung der ausfallenden Gaslieferung nach Europa erteilte Kuprianow eine Absage. Die Umleitung über Sudscha sei "technisch unmöglich", erklärte er zu dem Vorschlag aus der Ukraine.

Das scheint allerdings auch nur vorgeschoben zu sein, denn insgesamt operiere das ukrainische Netz noch lange nicht an seiner Kapazitätsgrenze, führte ein Pipeline-Experte an der Uni Erfurt in der SZ aus.

"Ironischerweise ist der Transit durch die Ukraine zuletzt noch gestiegen, trotz des Krieges."

Andreas Goldthau verweist darauf, dass Russland dafür auch brav die Durchleitungsgebühren entrichte. Er hält die Umleitung aus der Sojus-Pipeline auf den anderen Teil des "Brotherhood"-Systems für möglich, da es "noch genug Puffer im ukrainischen System" geben würde.

Offenbar ist es also Russland, das sich bisher trotz des Krieges an die Lieferverträge hält und vertragsgemäß, trotz der Sanktionen gegen das Land, die versprochenen Mengen liefert und trotz des Krieges sogar die Durchleitungsgebühren an die Ukraine bezahlt. Die Ausnahme stellt nur der Lieferstopp an Bulgarien und Polen dar, die sich weigern, die Lieferungen in Rubel zu begleichen.

Diese Forderung von Russland ist natürlich als Drohgebärde gegenüber Europa zu verstehen, dass man insgesamt auch die Zügel anziehen kann.

Politischer Druck

Es drängt sich bei dem Transit-Stopp durch die Ukraine der Eindruck auf, dass die Ukraine an einer Verschärfung der Energieknappheit in Europa arbeitet, um die Lage zu eskalieren und die Unterstützer immer tiefer in den Konflikt zu ziehen.

Dass dies gelingt, zeigt sich auch an der sich veränderten Haltung Deutschlands, das dem Druck der Ukraine nachgegeben hat. So werden nun auch schwere Waffen an die Ukraine geliefert und ukrainische Soldaten in Deutschland an der Bedienung der Panzerhaubitze 2000 ausgebildet.

Es ist kein Wunder, dass Russland am Tag nach Beginn der Ausbildung seinerseits nun an der Sanktionsschraube dreht. Das Land verbietet jetzt Geschäfte mit ehemaligen Gazprom-Töchtern im Ausland. Darunter ist auch der deutsche Ableger Gazprom Germania.

Kriegspartei Deutschland?

Deutschland beteiligt sich möglicherweise schon jetzt an einem Krieg gegen Russland – mit unabsehbaren Folgen. Denn die Ausbildung ukrainischer Soldaten an westlichen Waffen, die ins Kampfgebiet geliefert werden, kann völkerrechtlich eine Kriegsbeteiligung durch den Westen darstellen, geht aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hervor.

Es bestehe völkerrechtlich Konsens darüber, dass die westliche Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen nicht als Kriegseintritt gewertet wird – solange sich der Westen nicht an Kampfhandlungen beteiligt. Das gelte "unabhängig vom Umfang der Lieferungen" und auch unabhängig von der Frage, ob es sich um "offensive" oder "defensive" Waffen handelt.

"Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei beziehungsweise Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen", heißt es in dem Rechtsgutachten.

Doch zurück zur Energiefrage. Der Ausfall von einem Drittel des Gases, das über die Ukraine nach Westeuropa fließt, stellt für sich noch kein größeres Problem dar, da Russland weiter über die wichtigere Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 liefert. Deshalb sind auch die Möglichkeiten der Ukraine begrenzt, die Energiefrage von seiner Seite zu einer Katastrophe für Deutschland dramatisch zu eskalieren. Klar ist aber, dass schon jetzt weniger Gas nach Deutschland fließt.

Gaslieferungen nach Europa nehmen ab

Die fehlenden Mengen hätten sich kurzfristig aber durch Lieferungen aus Norwegen und den Niederlanden ausgleichen lassen, teilt die Bundesnetzagentur mit. Die Gasversorgung in Deutschland sei stabil, nicht einmal die Preise seien gestiegen, erklärte die Bonner Behörde.

Etwas anders würde das aussehen, wenn die Ukraine auch die restlichen zwei Drittel des Gases abdreht, das über sein Gebiet nach Westeuropa fließt. Und sollte sich Russland tatsächlich dazu durchringen, den Gashahn seinerseits abzustellen, dann wird die Lage nicht nur in Deutschland kritisch. Denn insgesamt nehmen Gaslieferungen nach Europa ab.