Krieg gegen Mensch und Natur

Staub aufwirbeln bei Tschernobyl? Damit dürften sich russische Soldaten auch selbst gefährdet haben. Foto: Wendelin Jacober / CC0 1.0

Kurz- und langfristige Verwüstung am Beispiel Ukraine: Im Krieg sterben nicht nur tausende von Menschen, er hinterlässt auch in der Umwelt tiefgreifende Schäden

Odessa, 3. April: In den frühen Morgenstunden schlagen mehrere Raketen in Treibstofflager ein. Explosionen und riesige Rauchschwaden sind die Folge.

9. Mai 2022: Eine Lagerhalle, ein Einkaufszentrum und mehrere Wohnhäuser gehen nach dem Beschuss mit russischen Hyperschallraketen Flammen auf. Russische Truppen versuchen, die Infrastruktur zu zerstören und die Zivilisten aus der Stadt zu vertreiben. Als strategisch wichtige Hafenstadt soll Odessa bald unter russischer Kontrolle gebracht werden, erklärt Militärexperte Carlo Masala im Interview mit dem Nachrichtensender der Welt.

In mittlerweile stillgelegten Silos, die zwischen Wohn- und Bürogebäuden stehen, produzierte das Unternehmen Odessa Port Plant noch im Februar Düngemittel und Chemikalien für die Lebensmittelindustrie. Im Falle eines Angriffs könnte hier eingelagertes Ammoniumnitrat durch herumfliegende Schrapnelle, Granaten oder Raketen eine ähnliche Explosion auslösen, befürchtet die taz am 20. März 2022.

Am Abend des 1. Mai kam es auch in einer russischen Munitionsfabrik in Perm nahe dem Ural zu einer massiven Explosion, die mehrere Todesopfer und Verletzte forderte. Fotos zeigen brennende Gebäude und riesige schwarze Qualmwolken über dem Gelände.

In der Schießpulverfabrik wurden Komponenten für Grad- und Smerch-Raketen sowie Luftverteidigungssysteme herstellt. Ein Sabotageakt, so die Vermutung. Bereits Ende April war in einem der Öldepots im russischen Brjansk, nur etwa 100 Meilen von der ukrainischen Grenze entfernt, ein Feuer ausgebrochen. Auch hier zeigen Bilder rund 100 Meter hohe schwarze Rauchsäulen.

Am 3. Mai wurden Städte in mehreren Regionen der Ukraine mit russischen Raketen angegriffen. Ein Angriff auf Lwiw führte den Behörden zu Folge zu Stromausfällen. Drei Umspannwerke waren beschädigt worden. Weil die Pumpen mangels Elektrizität ausfielen, gab es Probleme mit der Wasserversorgung.

Bereits Anfang März wurde die Millionenstadt Charkiv mit Streumunition beschossen. Ganze Stadtteile wurden zerstört, die Universität inbegriffen. Beim Angriff auf Mariupol seien von der russischen Armee Artillerie, Mehrfachraketenwerfersysteme, Flugzeuge, Raketen eingesetzt worden, hieß es. https://taz.de/Krieg-in-der-Ukraine/!5838917/ In dem Kiewer Vorort Buchansky brannte die Fabrik eines Dämmschaumherstellers, an anderer Stelle ein Autozulieferer, in Chernihiv brannte ein Baumarkt.

Angriffe verursachen Feinstaubemissionen und giftige Dämpfe

Ob Beschuss von Stahlwerken, Drohnenangriffe auf Waffen- und Munitionsdepots, auf Treibstofflager oder auf Schiffe, auch der Abschuss ballistischer Raketen - der Krieg in Osteuropa gefährdet nicht nur unmittelbar Menschenleben, es lauern auch erhebliche Umweltgefahren für Mensch und Natur.

Denn moderne Waffen verursachen nicht nur gigantische Explosionen und sind nicht nur wegen ihrer direkten Wirkung gefährlich, sie enthalten auch eine Menge Chemikalien. Werden Städte militärisch angegriffen, steigen die Feinstaubbelastungen. Wo Fabriken beschossen werden, mischen sich zusätzlich giftige Schwermetalle mit Staub und Ruß.

Denn wenn hohe Flammen aus Raketen oder beschossenen Objekten lodern, entwickeln sich gigantische Rauchwolken. Die giftigen Gase und Rußpartikel infiltrieren die Atemluft und verschmutzen das Trinkwasser. Dies ist an sich schon extrem giftig. Zusätzlich aber schädigen die Feinstaubpartikel das Immunsystem.

Langfristig können die kleinen Partikel Lungenkrebs verursachen und die Lebenserwartung um Jahre verkürzen. Kohlendioxid-Emissionen und Feinstaubbelastung durch Qualmwolken, ausgelöst durch zahllose Brände, addieren sich zu einer einzigen Umweltkatastrophe. Noch im Umkreis von Hundert Kilometern atmen die Anwohner Dämpfe von Baustoffen und Chemikalien wie Beton und Asbest in hohen Konzentrationen ein.

Hinzu kommt: Wenn Soldaten Wälder als Deckung nutzen, werden sie gemeinsam mit den dortigen Pflanzen und Tieren Opfer von Artillerie und Luftschlägen - mit verheerenden Folgen für die Natur. So hat das russische Militär in belarussischen Wäldern im Grenzgebiet zur Ukraine offensichtlich Minen und Sprengstoff eingelagert. Auch die ukrainische Armee dürfte weitläufig Strände vermint haben, um eine russische Landung zu verhindern. Landminen aber töten nicht nur wild lebende Säugetiere, vergiften auch Pflanzen und Böden.

Strafbare Handlung: Angriff auf Kernkraftwerke

Eoghan Darbyshire arbeitet für die britische Organisation Conflict and Environment Observatory (CEOBS). Seit Jahren dokumentiert er Umweltzerstörung innerhalb bzw. am Rande von kriegerischen Konflikten. Er will die Aufnahmen verifizieren und lokalisieren. Die Liste der gefundenen gefährlichen Umweltverschmutzungen sei lang, erklärt der Umweltwissenschaftler. Dies sei aber nur die Spitze des Eisbergs.

Zusätzlich verschärfen Russlands Angriffe auf Nuklearstandorte und Kraftwerke die Risiken erheblich. CEOBS etwa stuft die Besetzung des AKW Tschernobyl durch Russland als höchst gefährlich ein.

Auch wenn kein direkter Angriff erfolgte: Als russische Soldaten mit ihren Panzern durch die nahegelegenen Wälder fuhren, wirbelten sie jede Menge radioaktiven Staub auf. Zudem gehen die Soldaten selbst das Risiko einer radioaktiven Verstrahlung ein, indem sie wochenlang in verstrahlten Wäldern kampieren.

Auch der Beschuss auf das Kernkraftwerk in der ukrainischen Stadt Saporischschja durch russische Truppen Anfang März schürte Ängste vor einer nuklearen Katastrophe. Das Feuer, das nach dem Einschlag eines Projektils in einem Gebäude ausbrach, konnte zum Glück gelöscht werden. Wäre stattdessen ein Atomreaktor getroffen worden, wären die nuklearen Wolken bei entsprechendem Wind wohl bis nach Europa weitergezogen.

In der Ukraine gibt es insgesamt 15 einzelne Nuklearreaktoren, von denen vor dem Brand neun in Betrieb waren. Die Besetzung des Kernkraftwerks Saporischschja sei nicht nur ein terroristischer Akt, sondern auch die "Begehung eines Ökozides", erklärten die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft sowie der Sicherheitsdienst. Als ähnlich kriminell gilt Beschuss des Nationalen Wissenschaftlichen Zentrums für Physik und Technik in Charkiv, wo nukleare Elemente als Teil eines Forschungskernkraftwerks eingelagert sind.

Definiert wird ein Ökozid laut Artikel 441 des Strafgesetzbuches als "Massenvernichtung von Flora und Fauna, Vergiftung von Luft- oder Wasserressourcen sowie alle anderen Handlungen, die eine Umweltkatastrophe verursachen können". Und nicht nur in der Ukraine, auch von der russischen Gesetzgebung wird ein Ökozid unter Strafe gestellt.

Nach dem Krieg: Wiedergutmachung für Umweltschäden?

Bereits 2013 hat ein Gremium der Vereinten Nationen international verbindliche Rechtsgrundlagen für den Umweltschutz während kriegerischer Konflikte entwickelt. Es sieht vor, dass Staaten auf besetztem Territorium dafür Sorge tragen, dass keine Gefahr für die Gesundheit der dort lebenden Menschen durch Umweltschäden entsteht. Bei dennoch entstandenen Umweltschäden haben die betroffenen Staaten Anspruch auf Reparationszahlungen.

Sollte es jemals zu einer entsprechenden Strafverfolgung kommen, wäre es möglich, dass der obengenannte Artikel auf Handlungen des russischen Militärs angewendet wird. Auch wenn strafrechtliche Verantwortlichkeit und Wiedergutmachung angesichts anhaltender Gewalt weit entfernt scheinen - es gibt zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen, die die Angriffe in der Ukraine und ihre Auswirkungen auf die Umwelt dokumentieren.

Auf längere Sicht könnte die Einbeziehung von Umweltschäden in künftige Strafverfolgungsmaßnahmen den Kriegsopfern Hilfe und Wiedergutmachung zuteilwerden lassen, erklärt Rachel Killean in einer Analyse auf CEOBS.

Internationale Institutionen könnten die Beziehung zwischen Konflikten, Umweltschäden und menschlichem Leid besser erkennen und beheben. So könnten Gerichte die Täter zu entsprechenden Entschädigungen wie Umweltsanierungsprojekte verurteilen. Die Hoffnung auf Rechenschaftspflicht und Reparaturmaßnahmen in einer Zeit nach dem Ende des Krieges in der Ukraine hätte somit eine reale Aussicht auf Verwirklichung.