Wie der Neoliberalismus unseren Alltag durchdringt

Viele Menschen für sich gewinnen, Konsequenzen des Tuns nicht verantworten. Bild: piqsels.com

Wenn sich die politische Linke zu westlichen Werten bekennt, wird deren neoliberaler Gehalt vielfach übersehen. So bleibt unklar, wer politischer Verbündeter ist, wer Gegner (Teil 2)

Der Neoliberalismus-Begriff hat im Zuge wachsender Systemkritik ein negatives Image erhalten. Dies war zum Zeitpunkt seiner Prägung während der 60er-Jahre in Anlehnung an den Ordoliberalismus, der staatliche Eingriffe in die Wirtschaft befürwortete, noch nicht der Fall. Heute wird mit dem Ausdruck eine Politik der Deregulierung, Privatisierung und Zurückdrängung des öffentlichen Einflusses verbunden, die seit den 80er-Jahren mit dem Machtantritt Margaret Thatchers und Ronald Reagans einsetzte.

Neoliberale Wirtschaftspolitik ist auf einen Abbau administrativer Hemmnisse gerichtet. Im zwischenstaatlichen Verkehr wird die Realisierung der "vier Freiheiten" angestrebt, womit die Liberalisierung des Austausches von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften gemeint ist. Das erklärte Ziel ist die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums, was zumindest in der Anfangsphase durch eine verbesserte Allokation von Ressourcen erreicht wurde.

Zugleich fand eine Machtverschiebung zugunsten der Wirtschafts- und Finanzelite statt, in deren Folge die Einkommens- und Vermögensunterschiede beträchtlich zugenommen haben. Dies verursachte einen tendenziellen Nachfrageschwund bei den Endverbrauchern, der sich negativ auf die Investitionstätigkeit und das Wachstum auswirkte. Unausweichliche Folgen waren die Zunahme der privaten und öffentlichen Verschuldung, der Abbau sozialer Leistungen und ein sinkender Lebensstandard bei immer mehr Bürgern.

Im ersten Teil wurde die Frage aufgeworfen, weshalb sich die Linke westlichen Wertvorstellungen unterwirft, obwohl ihre politischen Kernziele nur bedingt mit diesen vereinbar sind. Dieser zweite Teil illustriert den neoliberalen Gehalt westlicher Wertesysteme und untersucht, wie er sich historisch etablieren konnte. Im dritten und letzten Teil wird der wachsende Widerstand gegen das neoliberal geprägte Werteverständnis thematisiert und eine Neuorientierung linker Politik vorgeschlagen.

Angetrieben durch die neuen Herausforderungen dringt der Neoliberalismus immer stärker in das alltägliche Leben ein. Wie sich eine jahrzehntelange Indoktrination durch neoliberale Vorgaben in den zwischenmenschlichen Umgangsformen niederschlägt, illustrieren Nina Horaczek und Walter Ötsch in ihrem neuen Buch Wir wollen unsere Zukunft zurück:

Bestimmte Eigenschaften sind für das berufliche Weiterkommen heute unabdingbar. Am wichtigsten ist es, sich gut ausdrücken zu können, denn man muss so viele Menschen wie möglich für sich gewinnen. Der Kontakt kann dabei nur oberflächlich sein, das fällt nicht weiter auf. Schließlich trifft dies heutzutage auf die meisten zwischenmenschlichen Kontakte zu.

Des weiteren muss man sich und die eigenen Fähigkeiten "gut verkaufen" können – man kennt viele Leute, verfügt über jede Menge Erfahrung und hat erst vor kurzem ein größeres Projekt beendet.

Wenn sich später herausstellt, dass das meiste davon heiße Luft war, ist dies lediglich der Ausweis für eine andere nützliche Eigenschaft: Man ist in der Lage, überzeugend zu lügen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Deshalb übernimmt man auch nie Verantwortung für sein Verhalten. Außerdem ist man flexibel und impulsiv, immer auf der Suche nach neuen Anreizen und Herausforderungen. In der Praxis führt das zu riskantem Verhalten, aber keine Sorge – nicht man selbst wird hinterher die Scherben zusammenkehren müssen.

Ein weiteres empfehlenswertes Werk, das sich mit der Umwälzung des Alltagslebens durch neoliberale Einflüsse befasst, trägt den Titel Unterwerfung als Freiheit – Leben im Neoliberalismus von Patrick Schreiner.

Anstelle der üblichen Fixierung auf den Wirtschaftssektor thematisiert Schreiner in seiner Neoliberalismus-Kritik die Neuorganisation von Arbeitstätigkeiten, die Schaffung von Leitbildern in Kultur und Sport und das veränderte Konsumverhalten. Er gelangt zu dem Schluss (S. 108):

Der Neoliberalismus will die ganze Persönlichkeit, die ganze Person mit Haut, Hirn und Haaren. Er erfasst das private, das öffentliche und das berufliche Leben. Der ideale Mensch im Neoliberalismus lebt die neoliberale Moral, entwickelt sie weiter und begeistert andere von ihr. Er weiß sie anzuwenden auf Situationen und Entscheidungen im Alltag wie auch im Politischen. Er ist aus sich heraus marktkonform, unternehmerisch und auf sich selbst bezogen. Er zeigt sich anpassungsbereit und flexibel aus innerem Antrieb.

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