USA: Die große Macht der "Religiösen Rechten"

Demonstration für das Recht auf Abtreibung: "Rise Up 4 Abortion Rights", Los Angeles, 9. April 2022. Foto: Conatw95/CC BY-SA 4.0

Hart erkämpfte feministische Werte sind unangreifbar? Wie die Evangelikalen den Kulturkampf über die Abtreibungsgesetze antreiben

Schenkt man dem kollektiven Aufschrei liberaler Medien und einigen Statistiken Glauben, entspricht die bevorstehende Entscheidung des US-Verfassungsgerichts, das Recht auf Abtreibung zur Angelegenheit der Bundesstaaten zu machen, nicht unbedingt dem Willen der Mehrheit der US-Bevölkerung.

Und so wirkt die Entscheidung aufgezwungen, von oben herab diktiert von einer konservativen Elite, die komplett den Bezug zur Bevölkerung verloren hat. Seit die Konservativen die Mehrheit im Supreme Court innehatten, war eine solche oder ähnliche Entscheidung gegen "Roe vs. Wade" abzusehen, und trotzdem ging ein Schock durch die US-amerikanische Öffentlichkeit. Hatten die Liberalen den Kulturkampf in den 1970ern nicht längst gewonnen?

Siehe Teil 1: USA: Kulturkampf um das Recht auf Abtreibung
und Teil 2: Abtreibung und Armut

Natürlich, der konservative "Backlash" unter der Reagan-Regierung reformierte nicht nur die konservative Bewegung, zerschlug, was vom "Labour Movement" übrig war und schwor die US-amerikanische Gesellschaft auf das neue, individualistischere und ungleich grausamere Zeitalter des Neoliberalismus ein. Nicht, dass die Demokraten etwas dagegen einzuwenden gehabt hätten.

US-amerikanische "Linke": Alle wichtigen Kämpfe verloren

Präsident Clinton führte Reagans "War on Drugs" munter fort, der vorwiegend dazu gedient haben dürfte, den Teil der Bevölkerung wegzusperren, die in dem neuen wirtschaftlichen System keinen Platz haben. Die US-amerikanische "Linke" hat also im Grunde alle wichtigen Kämpfe verloren und ihre Werte irgendwo entlang des Weges von der Demokratischen Partei entweder enttäuscht oder verkauft.

Dennoch glaubte man einen Tauschhandel eingegangen zu sein: Wenn an der materialistischen Basis des ökonomischen Systems nicht zu rütteln ist, so glaubte man doch, fortan den kulturellen Überbau der US-amerikanischen Gesellschaft dominieren zu dürfen.

Und so hielt man die hart erkämpfen feministischen Werte, wie das Recht auf Abtreibung, die so sehr ins Fundament der Gesellschaft gesickert zu sein schienen, für unangreifbar. Doch die Gegenseite schlief nicht. Schon fünf Jahre vor der historischen Entscheidung des Verfassungsgerichts (Roe vs. Wade) 1972, wurde das National Right to Life Committee – damals noch "Right to Life League" genannt, gegründet.

Die Vereinigung, die später für ihre "blood and gore" Bilder-Kampagne und besonders für den Propagandafilm "Silent Scream" bekannt wurde, war eigentlich von der "Nationalen Bischofs-Konferenz", ins Leben gerufen worden, machte sich aber nach 1972 mehr und mehr unabhängig.

Die "Anti-Abortion"-Bewegung

Heute wird die "Anti-Abortion" Bewegung größtenteils von einer anderen religiösen Kongregation getragen; den Evangelikalen, – einer zutiefst US-amerikanischen Version des Protestantismus.

Diese spezielle Sparte des Christentums, war nicht immer eine geschlossene politische Einheit. Die wiedergeborenen Christen waren zunächst nicht am weltlichen politischen Geschehen interessiert. Das änderte sich, als der Oberste Gerichtshof entschied, dass Schulen die Aufnahme von Schülern nicht mehr von deren Hautfarbe abhängig zu machen hätten.

Dieses Urteil, wiederum, veranlasste weiße Südstaatler dazu, Segregation Acadamies zu gründen. 1971 hoben die Steuerbehörden den Status der Gemeinnützigkeit von 111, oft religiösen, segregierten Privatschulen auf und verärgerten damit die Evangelikalen.

Anfänge einer konservativen politischen Bewegung

Diesen Moment nutzte Paul Weyrich, ein religiöser konservativer Aktivist, und Mitgründer der Heritage Foundation, um aus dem religiös angehauchten Rassismus politisches Kapital zu schlagen.

Weyrich erkannte, dass er die Anfänge einer konservativen politischen Bewegung vor sich hatte und so machten er und andere religiöse Anführer gezielt den Demokratischen Präsident Jimmy Carter für die Maßnahmen des IRS gegen segregierte Schulen verantwortlich – obwohl diese eigentlich von Präsident Nixon angeordnet worden waren.

Unter Weyrichs Führung, und mit der Hilfe des Francis A. Schaeffer, wurde die Debatte um die damals neuen Abtreibungsgesetze immer mehr zum politischen Grundpfeiler der Evangelikalen und der gesamten "Religiösen Rechten".

Diese neue politische Macht zeigte sich erstmals, als Ronald Reagan mithilfe dieser neuen konservativen religiösen Koalition in den Präsidentschaftswahlen 1980 den Sieg über Jimmy Carter davontrug.