Herr, unser Gott, bewahre uns vor der Impfpflicht!

Pegida-„Weihnachtssingen“ in Dresden am 16.12.2018. Bild: Derbrauni, CC BY-SA 4.0

Wie Christen ihre politische Heimat in der rechten Szene finden. Und wie sich das politische Verhältnis in der Pandemie geändert hat (Teil 1)

Am Anfang dieses Jahres trat ein "Arbeitskreis Christliche Corona-Hilfe (ACCH)" mit einem "Gebetstag" an die Öffentlichkeit: Am 30. Januar sollten Christen und Gemeinden, sozusagen in einer konzertanten Aktion, gemeinsam gegen die Impfpflicht beten. – Nach der Abstimmung im Bundestag am 7. April priesen sie Gott.

Im Jahr 2013 wurde die AfD gegründet. Zwei Jahre später entstand die Bundesvereinigung "Christen in der AfD".

Nur zwei Beispiele für die Verknüpfung von Christen und rechter Szene bzw. Christen und Coronaleugner-Szene.

Inzwischen vermengen sich diese drei Szenen auch bei zahlreichen Montagsdemonstrationen mit zeitweilig zehntausenden Teilnehmern. Wem nützt eigentlich der Kontakt: Profitieren Coronaleugner und Rechte von Christen? Oder ist es umgekehrt und Christen nutzen diese Szenen aus? Warum überhaupt entstehen solche Verbindungen? Worin bestehen die jeweiligen Schnittmengen? Und was bedeutet das für unsere Gesellschaft?

Quellen und Methode dieser Untersuchung

Vor allem im evangelikalen Onlinemagazin idea findet man viel Material. Idea begann als Informationsdienst der Evangelischen Allianz, einem Dachverband für Evangelikale, "idea" ist ein Akronym. Das Medium hat von Anfang an exklusiv über die Evangelikale Bewegung berichtet und dürfte sie dadurch zusammengehalten haben (siehe Quellen am Ende des Beitrags: Bauer 643). Heute ist es DAS Sprachrohr für konservative Christen, auch wenn es in diesen Kreisen nicht unumstritten ist.

Am 25. Mai 2022 ergab die Suche des Stichworts "Corona" 2.391 Ergebnisse, das Stichwort "AfD" 1.075, "rechtsextrem" 581 und "Pegida" 111 Treffer – die Themen sind in den Augen von Redaktion und Lesern durchaus gewichtig.

Weitere Quellen sind das nicht ganz so konservative christliche Onlinemagazin Pro und Internetauftritte diverser Gruppen aus dem evangelikalen Bereich wie der Arbeitskreis Christliche Coronahilfe, die eingangs zitierte ACCH.

Ziemlich viel Sekundärliteratur gerade zur evangelikalen Bewegung stammt von Freikirchlern, die etwa die Geschichte ihrer Gemeinschaft erforschen, und ist teilweise eher als Quelle denn als Sekundärliteratur zu betrachten; Ausnahmen sind die Habilitationsschrift von Gisa Bauer und die Dissertation von Katja Guske – allerdings erschien die Habilitationsschrift im Jahr 2012 und behandelt die Zeit bis 1989 und die Dissertation stammt aus dem Jahr 2013, daher geht es gar nicht um Coronaleugner und um die rechte Szene eher am Rand. Sekundärquellen zu diesen Verbindungen gibt es nicht allzu viel: Beim heutigen Thema kennen sich etwa die Publizistin und promovierte Juristin Liane Bednarz und der habilitierte Theologe Martin Fritz aus, außerdem gibt es ein paar Aufsätze.

Man kann keinesfalls sagen, dass konservative, selbst evangelikale oder fundamentalistische Christen per se dem rechten Gedankengut und der Leugnung von Corona zuneigen.

Aber es gibt eben solche Schnittmengen. Es ist allerdings schwierig, das Phänomen mit Zahlen zu fassen: Das liegt an unterschiedlichen Definitionen und an den mangelnden Umfragen: Wie viele Menschen bezeichnen sich als Christen, was verstehen sie darunter, und wer von ihnen neigt rechten Positionen zu bzw. hält Corona für eine Art Grippe und verweigert die Impfung?

Zunächst also muss man das Phänomen operationalisierbar machen, also in Worte fassen und messbar machen. Begriffe wie konservativ, Freikirche, Evangelikale, Rechte etc. sind einigermaßen umstritten.

Definitionen der Akteure

Freikirchen: Dies ist kein geschützter Begriff. Vor einiger Zeig ging folgende Aussage durch die Medien: "Freikirchliche Protestanten stehen der AfD näher als Mitglieder der evangelischen Landeskirchen oder der katholischen Kirche." Der Baptistenpastor Peter Jörgensen (Jörgensen 2017:63) ging dem nach und schrieb, dass es für diese Behauptung lediglich eine Quelle gebe, an deren Klarheit Zweifel angebracht seien.

Im Auftrag von idea habe das Meinungsforschungsinstitut Insa-Consulere – das der AfD eng verbunden sei – im Herbst 2016 eine Online-Befragung durchgeführt, derzufolge unter Katholiken 12,5 Prozent die AfD wählten, unter landeskirchlichen Protestanten gut acht Prozent, aber in den evangelischen Freikirchen fast 17 Prozent.

Daran kritisiert Jörgensen, dass Freikirche ein Gattungsbegriff für mehr oder minder alles sei, was nicht zur Volkskirche gehöre. Allerdings spricht auch Jörgensen von einer "AfD-nahen idea-Szene" (71), die ziemlich mächtig zu sein scheint und betont demgegenüber die Offenheit der Vereinigung evangelischer Freikirchen, zu der auch seine Freikirche, die Baptisten, gehören.

Er hat nicht unrecht, aber es gibt einen üblichen Sprachgebrauch: Freikirchen sind etablierte Gemeinschaften; neuere und kleinere Gruppierungen bezeichnet man als "neureligiöse Gemeinschaften".

Konservative Christen: (Bednarz 2017: 16 und 2018:7): Katholiken, die etwa die Frauenordination ablehnen und den Zölibat und eine strenge Kirchenhierarchie befürworten und bibeltreue Protestanten, die sich vorrangig im evangelikalen Milieu – Freikirchen oder die entsprechenden Kreise der Landeskirchen der EKD – finden)

Evangelikale Christen: Auch für diesen Begriff gibt es keine offizielle Definition. Bednarz (2018: 7) ist recht pragmatisch und bezeichnet als "evangelikales Milieu" Mitglieder von Freikirchen oder Angehörige der entsprechenden Kreise der Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), verortet sie "besonders häufig in den pietistisch geprägten Regionen im Südwesten, aber auch in schwäbischen Gebieten in Bayern, im 'Bibelgürtel' rund um Dresden, in der Gegend um Wuppertal sowie im Siegerland und in Nordhessen."

Verschiedene Autoren bezeichnen sich selbst als evangelikal und haben darüber Bücher geschrieben. Ihnen ist gemeinsam erstens der persönliche Glaube an einen persönlichen Gott, meist verbunden mit einem Bekehrungserlebnis und der Entscheidung für die Nachfolge Jesu mit hohem ethischem Anspruch, zweitens Bibeltreue und drittens die Überzeugung, dass allein der christliche Glaube zum Heil führe.

Im Sprachgebrauch sind Evangelikale eine Teilmenge der konservativen Christen, mit Betonung nicht nur auf konservativen Werten, sondern auf besonderer Bibeltreue. Bauer (Bauer 2012: 61) beziffert sie in Deutschland auf zwischen 1,3 und 2,5 Millionen.

Fundamentalismus ist ein abwertender Begriff, landläufig versteht man darunter wiederum eine besonders strenggläubige Teilmenge der Evangelikalen mit Glauben an die Verbalinspiration der Bibel.

Die Grenze zwischen konservativen und rechten Christen ist umstritten.

Der Theologe Martin Fritz (Fritz 2021: 96) sieht einen fließenden Übergang, weil erstens die Grenze zwischen konservativen und neurechten Positionen soziologisch nicht zwischen, sondern innerhalb gewisser Kreise verläuft (katholischer Traditionalismus, protestantischer Evangelikalismus einschließlich pfingstchristliche Spielarten), zweitens, weil manche Menschen sich vom Konservatismus zum Rechtspopulismus entwickeln, oft mit einer allmählichen Radikalisierung, und drittens, weil sich manche neurechten Akteure als konservativ beschreiben, nur sei eben die Gesamtgesellschaft massiv nach links gerückt.

Bednarz (Bednarz 2018:16 und Klein 2020) trennt dagegen scharf. Ihrer Beobachtung nach ist das vormals recht geschlossene konservativ-christliche Menü gespalten. Es gebe zwar Rechtskonservative, die "lediglich" Vorstellungen der moderaten neurechten Szene übernommen hätten, aber nur selten völkisch-rechtsradikale Haltungen zeigten. (11)

Aber es verlaufe eine Trennlinie, und zwar bei den Themen Abtreibung, Gender und Islam. Die Trennlinie verlaufe dort, "wo sachliche Kritik in undifferenzierte Ablehnung übergeht und, was hier besonders oft der Fall ist, hysterischen Tönen und Desinformationen Platz macht." (68f.)

Sie beobachte zudem seit fast 30 Jahren Verschwörungstheorien in bestimmten evangelikalen Milieus, die auch von Rechten vertreten würden, von einer großen Weltverschwörung, in der dann alle Völker und Kulturen aufgelöst würden.

Zum Abschluss noch Coronaleugner: Ich fasse der Einfachheit halber in dieser Gruppe die Menschen zusammen, die sich nicht impfen lassen, keine Masken tragen, und gegen staatliche Maßnahmen demonstrieren.