Von der Verantwortung der Kunst

Banksy-Streetart in Bethlehem. Bild: Michael Rose, CC BY-NC-ND 2.0

Weshalb Steinmeier sich auf der Documenta Fifteen Kunst hätte ansehen sollen, statt zu reden. Ein Kommentar.

Bundespräsident Steinmeier begann seine Rede zur Eröffnung der Documenta Fifteen in Kassel mit dem Bekenntnis: "Ich war mir in den vergangenen Wochen nicht sicher, ob ich heute hier sein würde."

Ein Besuch der Documenta lohnt sich immer, insbesondere dieser 15. Aber er hätte schweigen und einen Rundgang machen sollen. Dann hätte er sein Manuskript, welches ihm irgendwer im Präsidialamt zusammengeschrieben hat, in der Tasche lassen müssen, um sich nicht derart zu blamieren, wie er es jetzt getan hat.

Denn keines seiner Vorurteile, die eine dubiose Antifagruppe in Kassel in die Welt gesetzt hat, fände er bestätigt. Nirgends in der Ausstellung wird die Staatlichkeit Israels angegriffen oder die Existenz in Frage gestellt. Selbst die Künstlergruppe "The Question of Funding" aus Ramallah, an der sich die allgemeinen Vorurteile festmachen, kritisiert zwar die Besatzung und die Gewalt in den besetzten Gebieten, hat die Staatlichkeit Israels aber nicht in Frage gestellt.

Doch wo leben Sie, Herr Bundespräsident?

Sie sagen: "Die Anerkennung Israels ist bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte." Das mag so sein. Aber auch Sie wissen, dass niemand in der Welt, kein Staat, kein Mensch, verpflichtet ist, Israel anzuerkennen. Schon gar nicht einen ausschließlich jüdischen Staat, weswegen Indonesien z.B. Israel nicht anerkannt hat.

Wollen Sie alle Künstlergruppen, zu Gast in Deutschland, in unser Erinnerungsdogma zwängen und ihre Kunst dem Holocaust-Test unterziehen?

Die US-amerikanische Philosophin Susan Neiman vom Einsteinforum meint, es sei in unseren Versöhnungsbemühungen etwas durcheinander gegangen: "Was sich in den letzten zwei Jahren gezeigt hat, ist eine schiefgelaufene Sühne."

Und ihr Kollege Peter Beinart in den USA erklärt dazu: "Sie ist aus dem Ruder gelaufen, weil es der israelischen Regierung in Zusammenarbeit mit der deutschen Rechten erlaubt wurde, zu definieren, wie die Deutschen für ihre völkermörderische, antisemitische Vergangenheit büßen sollen".

Sie betonen: "Die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Kunst sind Wesenskern unserer Verfassung." Aber: "Ein Boykott Israels kommt einer Existenzverweigerung gleich", und damit "ist die Grenze überschritten".

Machen Sie sich auf den Weg nach Gaza, dort werden Sie sehen, wer wen boykottiert und mit welchen Folgen. Hat Ihnen niemand erzählt, dass die weltweit unterstützte BDS-Bewegung der Palästinenser nur ein Ziel hat, die israelische Politik zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen? Eine Aufgabe, um die sich die deutsche Bundesregierung jahrzehntelang herumgedrückt hat.

Sie verkündigen auf ihrem letzten Besuch in Israel: "Die Position der deutschen Regierung ist, dass der Internationale Strafgerichtshof keine Zuständigkeit in diesem Fall hat, weil es keinen palästinensischen Staat gibt." Es geht um mögliche Kriegsverbrechen in dem Überfall auf Gaza im Jahr 2014 und der Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten.

Die deutsche Regierung hat das Römische Statut von 1998 unterzeichnet, welches sie verpflichtet, den Gerichtshof zu unterstützen. Sie aber helfen dem möglichen Kriegsverbrecher, sich der strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen.

Ihnen fällt auf, dass "auf dieser bedeutenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst wohl keine jüdischen Künstlerinnen und Künstler aus Israel vertreten sind". Gleichzeitig räumen Sie ein: "Es gehört zum Prinzip dieser Weltkunstschau, dass jede Ausstellung unabhängig kuratiert wird." "Aber", nehmen Sie das sogleich zurück: "Die Verantwortung bleibt ja. Verantwortung lässt sich nicht outsourcen."

Welche Verantwortung und wessen Verantwortung? Warum lädt man eine Künstlergruppe aus Indonesien zur Kuratierung einer Weltausstellung ein – keiner deutschen Ausstellung –, um sie unseren muffigen Erinnerungsquerelen zu unterwerfen?