Streit über Atomenergie: Politik führt Scheindebatte

Union und FDP fordern längere Laufzeiten für deutsche Atomkraftwerke und poltern gegen den "fachlichen Blödsinn" der Bundesregierung.

Im Windschatten der Gaskrise flammt in Deutschland eine Diskussion wieder auf, die eigentlich erledigt ist: der Ausstieg aus dem Atomausstieg. Politiker aus Union und FDP fordern eine Kurskorrektur in der Energiepolitik und entfesseln eine Scheindebatte – aber das mit Nachdruck.

Anlass der Debatte sind die Pläne der Bundesregierung, Gaskraftwerke vom Stromnetz zu nehmen. Damit soll der Verbrauch in Deutschland gesenkt werden und das eingesparte Gas soll für den Winter gespeichert werden.

An ihrer Stelle sollen Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt und wieder hochgefahren werden. Vorübergehend sollen sie die drohende Versorgungslücke schließen. Doch Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Medien meinen nun, man solle auch die Laufzeiten der Atommeiler verlängern.

"Auf Atomkraft als Energieträger in der akuten Situation zu verzichten, lässt sich den Bürgern kaum vermitteln", sagte zum Beispiel Lars Feld, der frühere Chef der Wirtschaftsweisen und heutige Wirtschaftsberater von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Schließlich würde sich ein Verzicht auf Atomkraft in höheren Preisen für andere Energieträger niederschlagen.

Lindner nahm seinen Rat offenbar an und stellte am Dienstag klar, dass es bei der Forderung nicht um eine vorübergehende Lösung gehe. Beim Tag der Industrie in Berlin sagte er, es gehe nicht um einen Winter, der überbrückt werden müsse, sondern um die nächsten drei bis fünf Jahre. Deshalb fordere er eine "offene Debatte".

Söder poltert und bekommt Retourkutsche

Beim Tag der Industrie hat sich auch CDU-Chef Friedrich Merz für längere Laufzeiten der drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland ausgesprochen. Dies sei technisch möglich und juristisch vertretbar, meinte er. Konkreter wurde er allerdings nicht.

Bayers Ministerpräsident Markus Söder (CSU) polterte in bekannter Weise gegen die Bundesregierung. SPD und Grüne wollten aus "reiner Sturheit" am Atomausstieg festhalten, behauptete er. Am Montag sagte er bei einer Pressekonferenz, es sei "fachlicher Blödsinn", wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) behaupte, nicht genug Brennstäbe für den weiteren Betrieb der Atommeiler zu bekommen.

Von den Grünen kam sogleich die Retourkutsche. Ihr Parteivorsitzender, Omid Nouripour, sagte am Montag, er würde es Söder "empfehlen, einmal mit den Zuständigen auch in den Betrieben zu sprechen, bevor er wirklich jenseits aller Fakten Vorschläge macht". Was Söder mache, sei "eindeutig ideologisch und, ehrlich gesagt, hanebüchen".

Die AKW-Betreiber hätten so geplant, dass die Brennstäbe nur bis zum Jahresende reichen, hatte Scholz zuvor zu bedenken gegeben. Neue Brennstäbe zu besorgen, würde voraussichtlich zwölf bis 18 Monate dauern.

Mit dieser Aussage stand er auch nicht allein. "Kurzfristig gibt es keine Ersatzbrennelemente am Markt", hatte auch der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Michael Kruse, gesagt.

Als weiteres Problem kommt hinzu, dass Russland der Hauptlieferant der Brennstäbe ist und man die Abhängigkeit von ihm aus bekannten Gründen reduzieren möchte.

Hohe wirtschaftliche Risiken bei längeren Laufzeiten

Der Münchner Merkur hatte am Dienstag außerdem berichtet, das Bundeswirtschaftsministerium habe Anfang des Jahres den möglichen Weiterbetrieb der Meiler geprüft. In einem Prüfvermerk vom 8. März heißt es demnach, "dass eine Verlängerung der Laufzeiten nur einen sehr begrenzten Beitrag" zur Lösung des Problems von Versorgungsengpässen leisten würde.

Ein längerer Betrieb der Atomkraftwerke wäre zudem mit "sehr hohen wirtschaftlichen, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken" verbunden. Obendrein müsse man die Laufzeiten mindestens für drei bis fünf Jahre verlängern, um den Aufwand zu rechtfertigen. Man geht aber davon aus, dass bis 2028 "andere Möglichkeiten" zur Verfügung stünden, um eine ausreichende Stromversorgung zu gewährleisten.

Angesichts des Verlaufs der Debatte sollte die Frage erlaubt sein, ob die Parteien einfach nur aneinander vorbeireden oder ob das Spektakel betrieben wird, um sich zu inszenieren. Mit Blick auf den kommenden Winter dürfte beides den Bürgern nicht helfen.

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