Früher Infokrieg: Unternehmen Barbarossa

Unbekannter Gefreiter des Infanterie-Regiments 125 irgendwo an der Ostfront, wahrscheinlich in Südrussland oder der Ukraine um 1941. Nachkoloriertes Foto: Julius Jääskeläinen/CC BY 2.0

Heute vor 81 Jahren setzte Deutschland den Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion in Bewegung – Politik, Militärs, Medien und Wissenschaftsbetrieb bevorzugten ideologische "Expertisen" ohne Wirklichkeitsgehalt.

Adolf Hitler hatte bereits in seinem Buch "Mein Kampf" einen "Germanenzug" hin zum "Land im Osten" angekündigt und wandelte in den Fußstapfen der wilhelminischen "Ostlandreiter". Den deutschen Generälen kündigte er am 3. Februar 1933 vertraulich einen zukünftigen Kampf um "Lebensraum im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung" an.

Die ökonomische Seite des Unternehmens trat wenige Jahre später besonders deutlich in seiner Rede vor der Deutschen Arbeitsfront hervor: "Wenn der Ural mit seinen unermesslichen Rohstoffschätzen, Sibirien mit seinen reichen Wäldern und die Ukraine mit ihren unermesslichen Getreideflächen in Deutschland lägen, würde dies unter nationalsozialistischer Führung im Überfluss schwimmen." Mehr als genug Reichtum also für jeden Deutschen …

Am 22. Juni 1941 setzte die deutsche Regierung drei Millionen Soldaten, eine halbe Million Pferde, 600.000 Kraftfahrzeuge und 3350 gepanzerte Fahrzeuge zwecks Überfall der Sowjetunion in Bewegung. Auf Seiten der UdSSR mussten etwa 27 Millionen Menschen infolge dieses Lebensraum-, Ressourcen- und Rassenkrieges ihr Leben lassen.

Der Wehrmacht waren schon Monate zuvor jene "Verbrecherbefehle" bekannt, aus denen klar hervorging, dass ihr Vernichtungsfeldzug gen Osten mit dem Vorsatz verbunden war, den größten Völkermord der gesamten Geschichte ins Werk zu setzen.

Telepolis-Artikel zum deutschen Vernichtungskrieg im Osten:

"Germanen versus Slawen". Der größte Genozid der Geschichte: "Antislawismus" als Völkermord-Ideologie hinter dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten.

Soweit die Hirne tragen. "Unternehmen Barbarossa": Der Vernichtungskrieg gegen die UdSSR. Schlüsselereignis und Anfang einer Geschichte, die bis heute nicht zu Ende ist.

Deutschlands Wilder Westen: Die Historiker und das Unfassbare. "Unternehmen Barbarossa" - Der deutsche Vernichtungskrieg gegen Russland (Teil 2)

Die späteren Mordopferzahlen wurden im Frühjahr 1941 schon durchaus realitätsnah berechnet. Himmler hatte bereits im Januar proklamiert, 30 Millionen Menschen hätten im Osten zu verschwinden.

Ansonsten zogen die deutschen Kriegsakteure vor allem "Expertisen" von ideologischen Dienstleistern zu Rate, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun hatten.

Der von Hans-Erik Volkmann herausgegebene Sammelband "Das Russlandbild im Dritten Reich" (1994) beleuchtet ein weites Feld von geschichtspolitischen Legenden, "völkerpsychologischem" Geschwätz, militärstrategischen Wunschphantasien und nationalpolitisch konformen Voten von Scharlatanen oder Opportunisten, die sich als "Russlandkenner" ausgaben.

Wissenschaftliche Standards und ein kritisches Bewusstsein im Gefolge der Aufklärung standen nicht hoch in Kurs. Demut bezüglich der Grenzen des eigenen Wissens auch nicht. Als "wahr" galt, was der Nation bzw. dem Regime bzw. dem eigenen Lager von Nutzen sein konnte.

Über die ab 1933 umgestellten Schulbuch-Inhalte hatte man bereits einen beträchtlichen Teil der im Osten als "Menschenmaterial" eingesetzten jungen Soldaten richtig gepolt bzw. mit der richtigen Sehbrille versehen. Die Medien berichteten, was "Führer" und Volk gerne hörten. Wenn es die jeweilige Lage erforderte, scheute man auch vor einander widersprechenden Botschaften über den "tönernen Koloss Russland" (harmlos) bzw. die "jüdisch-bolschewistische Bestie" (gefährlich) nicht zurück.

Das alles funktionierte bis zur "Schlacht von Stalingrad" ganz gut. Die entsprechenden filmischen Öffentlichkeitsstrategien der deutschen Wochenschau sind in einer Arbeit dokumentiert. Das Publikum sah auf der Leinwand in gut durchdachten Film-Collagen die ferne Welt da draußen, "wie sie wirklich ist".

Die zahllosen Schreiber glaubten am Ende selbst, was sie in einer langen Kette von Kopiervorgängen von anderen abschrieben: Deutschland rettete im Zuge eines ganz uneigenützigen Kreuzzuges die Welt vor dem Bösen. Der gemeine Mann hatte sich mit eigenen Augen in der Wochenschau davon überzeugen können, dass die Regierung aus guten Gründen zum totalen Krieg mobilisierte.

Menschen glauben gerne: dass Politiker sich von unabhängigen Wissenschaftlern beraten lassen, selbst etwas von der Welt verstehen und ehrenwerte Ziele verfolgen; dass Militärs ihre Planungen und Prognosen nur auf der Basis von geprüften Fakten verfertigen; dass Annahmen, die fast jedermann im Lande teilt, nicht falsch sein können; dass ein Teufel, der auf alle Plakatwände gemalt ist, wirklich der Urheber von allem Leid auf der Welt sein muss…

Am Ende, wenn es zu spät ist, will jeder es anders gewusst haben.

Literaturhinweise

Hans-Erich Volkmann (Hg.), Das Russlandbild im Dritten Reich. 2, unveränderte Auflage. Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 1994.

Bianka Pietrow-Ennker: Die Sowjetunion in der Propaganda des Dritten Reiches. Das Beispiel der Wochenschau. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 46 (1989), S. 79-120.
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