"Gegneranalyse": Zu einer "Fallstudie" über die Nachdenkseiten

Politologe Markus Linden kommt in Arbeit zum Onlineportal zu wenig schmeichelhaften Resultaten. Methodik lässt Autor jedoch schlecht dastehen. Umfeld der Studie wirft Fragen auf.

Im Rahmen des Projektes "Gegneranalyse" vom "Zentrum Liberale Moderne" liegt eine erste Fallstudie vor. Das 2017 von den (ehemaligen) Grünen-Politikern Marieluise Beck und Ralf Fücks gegründete "Zentrum Liberale Moderne" wird nach eigenen Angaben unterstützt vom Bundesfamilienministerium, von der Bundeszentrale für politische Bildung und vom Bundesprogramm "Demokratie leben!".

In jenem Text widmet sich der Autor Markus Linden, der laut Universität Trier dort als außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft tätig ist, dem Medium Nachdenkseiten. Hier soll aus einer kommunikationswissenschaftlichen Sicht diese Fallstudie kurz diskutiert werden.

Laut Linden zeigt sein Text, dass es sich bei den Nachdenkseiten (Abkürzung: NDS) um ein "stark ideologisiertes, undifferenziert argumentierendes Medium" handele, welches "radikale Widerständigkeit" postuliere und "als Scharnier für verschwörungstheoretisches Denken" fungiere. Bei bestimmten Themen reihe sich die Plattform "bewusst in eine fundamentaloppositionelle Querfront ein." Man folge bei den Nachdenkseiten einer "Destruktionslogik", die aber als kritische Dekonstruktion ausgegeben werde.

Das Onlineportal bleibe dabei jedoch, schreibt Linden, politisch "klassisch links" verortbar, was z.B. Abgrenzungen zu "Fremdenfeindlichkeit" (sic!) oder aber die Wirtschaftspolitik betreffe. Es verbreite "die Ideologie" meist nicht mit klaren "Fake News", sondern "mittels einer auf Halbwahrheiten und instrumenteller Pauschalkritik fußenden Methodik". Journalistische Grundansprüche würden dabei verfehlt, schreibt Linden, ohne das näher zu belegen oder zu begründen.

Diese zumindest oft fehlenden Belege oder auch fehlenden sachlichen Begründungen erscheinen insgesamt als ein Hauptmangel des Textes. In starker Verallgemeinerung heißt es ebenso ohne weitere Argumente: "Auf den Nachdenkseiten wird dementsprechend mit bloßen Unterstellungen gearbeitet". Im Verbund mit anderen so genannten "Alternativmedien" betrieben die Nachdenkseiten vor allem das, was sie vorgeblich kritisierten: "einseitige Meinungsmache".

Angesichts vieler deutlicher und stark negativ wertender Formulierungen nicht nur in der Vorab-Zusammenfassung des Textes von Linden bleibt die Frage, inwieweit seine eigene Publikation als einseitig kritisiert werden kann. Einleitend schreibt der Autor:

Die vor­lie­gende Fall­stu­die beleuch­tet das Portal (…) in Bezug auf die Frage, wo im Span­nungs­feld zwi­schen kri­tisch-inte­gra­ti­vem Auf­klä­rungs- und radi­ka­li­siert-des­in­te­gra­ti­vem Quer­front­me­dium die Nach­denk­sei­ten zu ver­or­ten sind.

Jedoch wird im Text schnell deutlich, dass Linden die Nachdenkseiten relativ klar und nahezu ausschließlich als Letzteres sieht. Eine von ihm sogenannte "Querfrontdiagnose" sei dabei und dafür "aus guten Gründen wieder en vogue". Linden beschreibt, ohne auf deren Herkunft näher einzugehen, eine "sprachliche Parallele" zu den sogenannten "Querdenkern", was ihm wiederum bereits "von möglichen inhaltlichen Schnittmengen" zu zeugen scheint.

Er nimmt die Nachdenkseiten als mittlerweile "ausdifferenziertes Medienportal" mit verschiedenen Kanälen und einer nicht unbeträchtlichen Reichweite zumindest insofern ernst, als er sie, eben als "Gegner", mit seinem Text auf seine Weise zu analysieren versucht.

Gründe für Erfolg der Seite werden nicht hinterfragt

Allerdings scheint sich der Autor kaum zu fragen, woher – jenseits von etwaigen Verschwörungsannahmen – die auch von ihm nicht bestrittene Wirksamkeit dieses Portals kommen mag – also, inwiefern es einen sozialen (und womöglich ja gesellschaftlich geschaffenen) Resonanzboden für diese Art von Medienangeboten zu geben scheint. Stattdessen steht Lindens klar "angebotsorientierte" Modellierung von "Querfront" immer wieder im Fokus des Textes:

Eine solche "Querfront" sei insbesondere im Zuge der Ukrainekrise 2013/2014 zunächst zusammengekommen (und dann im Kontext der sogenannten "Flüchtlingskrise" 2015/2016 vorläufig wieder auseinandergebrochen), um, so Linden "die Position der russischen Regierung mittels verschwörungstheoretischer Agitation, dargebotener politischer Naivität oder aus ideologischem Kalkül zu unterstützen." Was versteht der Autor unter diesem Terminus "Querfront"?

Quer­front bezeich­net hier ein Feld radi­ka­ler Sys­tem­ab­leh­nung, in dem sich rechts­ra­di­kale, links­ra­di­kale und ander­wei­tig ableh­nungs­ideo­lo­gisch gesinnte Akteu­rIn­nen publi­zis­tisch, orga­ni­sa­to­risch und vor allem argu­men­ta­tiv zusam­men­tun, um die Grund­la­gen des poli­ti­schen Systems und seine Insti­tu­tio­nen mittels einer oft an realen Pro­ble­men anset­zen­den, aber dann stark über­zeich­ne­ten Kritik zu delegitimieren.

Markus Linden

Inwiefern angesichts solcher Formulierungen wiederum Parallelen zum – vom Inlandsgeheimdienst seit 2021 neu formulierten – "Phänomenbereich Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zu rekonstruieren wären, bliebe spannend.

Insgesamt wird aber vor allem nicht deutlich, was genau der Autor unter "radikal" versteht und inwieweit etwaige "Radikalität" negativ zu beurteilen wäre. Inwiefern womöglich zwischen "radikal" und "extrem" (oder "extremistisch") zu differenzieren wäre, bleibt ebenfalls unklar. Auch werden Lindens durchgehende ausdrückliche Kurzschließungen von "linksradikal" und "rechtsradikal" viel mehr vorausgesetzt, als diese angemessen zu begründen.

Linden wirft im Sinne seines "Querfront"-Modells in erster Linie dem NDS-Herausgeber Albrecht Müller vor, dieser distanziere sich nicht hinreichend von umstrittenen Publizist:innen wie Daniele Ganser oder Ken Jebsen.

Das Thema "Corona" sei mittlerweile neben "Medienpauschalkritik" und einer "Anti-Nato-pro-Putin-Positionierung" gemeinsamer Nenner jenes "von links kommenden und nach rechts partiell offenen Teils radikal-systemkritischer Querfrontakteure." Was seines Erachtens legitime oder sinnvolle, "integrative" oder "konstruktive" Systemkritik wäre, lässt der Autor aber (leider) offen.

In den knapp 20 Jahren ihres Bestehens haben sich die Nachdenkseiten laut Linden in Richtung "immer pauschalerer Medien- und Elitenkritik" bewegt. Dass gerade in diesen beiden Bereichen Veröffentlichungen der NDS auch deutlich polemisch-zuspitzend wirken, erschließt sich als Befund.

Dennoch bleibt fraglich, inwiefern die Beiträge insgesamt wiederum relativ pauschal als z.B. "linksradikal" o.ä. bezeichnet werden sollten, da tatsächlich "radikale" (also: grundsätzliche, an die Wurzel der sozio-ökonomischen Verhältnisse gehende) wirtschaftliche

Forderungen (wie u.a. Vergesellschaftungen wichtiger Produktionsmittel) von den Nachdenkseiten kaum formuliert werden (Linden schreibt selbst, in dieser Hinsicht gehe es Herausgeber Albrecht Müller um kaum mehr als eine "keynesianische Wirtschaftsauffassung", also klassisch sozialdemokratische Positionen.)