Sanktionen gegen Russland: Die Top Ten des Scheiterns

Gazprom-Anlage an der Moskwa. Bild: greg westfall, CC BY 2.0

Westlichen Sanktionen gegen Russland bieten Stoff zur Diskussion. Wirken sie oder wirken sie nicht? Dazu herrscht keine Einigkeit – zu Recht, wie die Top Ten von Telepolis zeigt

Der US-amerikanische Außenminister Antony Blinken meinte am Freitag, die gegen Russland verhängten Sanktionen träfen die Wirtschaft des Landes hart, auch wenn einige Auswirkungen sich noch eine Zeit lang nicht zeigen wollten. Die russische Regierung würde die Folgen bislang kaschieren.

Die Tageszeitung Die Welt zeichnete am Donnerstag ein interessantes Bild, welche Wirkungen die Sanktionen bislang in Russland zeigen:

Die Regale in den Supermärkten sind weitgehend voll, Restaurant und Cafés arbeiten im Normalbetrieb. Und auf den Straßen stauen sich die Autos wie eh und je. Aber nicht nur im Alltag herrscht Business as usual. Auch wirtschaftliche Kennziffern kommen besser daher als noch vor zwei, drei Monaten und sehen nicht mehr danach aus, dass das Land Krieg gegen die Ukraine führt und dafür mit beispiellosen Sanktionen von Westen belegt wurde.

Die Welt (23.06.2022)

Die Fastfood-Kette McDonald's ist wohl nur ein Beispiel für die westlichen Unternehmen, die Russland ganz oder teilweise verließen. McDonald’s verkaufte seine 800 Restaurant in Russland an einen ehemaligen Geschäftspartner. Nun firmieren sie unter einem neuen Markennamen – aber ansonsten hat sich nicht viel geändert, weil die Zutaten und Bestandteile der Burger lokal produziert werden.

Es verwundert deshalb auch nicht, dass es auch Länder gibt, die nicht weiter an der Sanktionsspirale drehen wollen. Ungarn zum Beispiel. Am Donnerstag, am Rande eines Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs, brachte es ein hochrangiger Berater des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban auf den Punkt:

Im Moment erleben wir, dass wir umso schlechter dran sind, je mehr Sanktionen wir akzeptieren. Und die Russen? Ja, es tut ihnen auch weh, aber sie überleben. Und was noch schlimmer ist, sie gehen in der Ukraine vor.

Reuters (23.06.2022)

Am Ende des Tages werde die Europäische Union wegen der eigenen wirtschaftlichen Probleme auf der Verliererseite des Krieges stehen, so die Befürchtung der Ungarn. Deshalb plädieren sie dafür, dass die EU aufhört, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, und stattdessen auf einen Waffenstillstand und Verhandlungen drängt.

Die Sanktionen wirken nicht wie geplant, und das liegt unter anderem daran, dass manche Länder schlicht keine Übersicht darüber haben, welche Firmen im Land direkt oder indirekt Russen gehören; dass der "Westen" aus Eigeninteresse inkonsequent ist; oder dass man sich verkalkuliert hat. Der wichtigste Grund ist aber wohl der, den die westlichen Länder nicht gern wahrhaben wollen: Sie sind nicht mehr die einzigen Akteure mit Einfluss in der Welt.

TOP 1: Kohlehandel über die Schweiz

Nach Beginn des Krieges in der Ukraine verhängte die Schweiz ein Embargo auf russische Kohle. Seit dem 27. April sind die Einfuhr, der Verkauf und die Erbringung von Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit russischer Kohle in der Schweiz verboten. Ende August laufen dann die Übergangsbestimmungen aus.

Doch die Recherchen der Schweizer Organisation Public Eye legen nahe, dass die Behörden des Landes das Embargo nur schwer umsetzen können. Denn das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wisse bis heute noch nicht einmal, welche Firmen in der Schweiz ansässig sind und wem sie gehören.

Das Seco verfügt jedoch nicht über eine offizielle Zählung der Anzahl russischer Handelsunternehmen mit Sitz in der Schweiz. Auf Grundlage eines Berichts des Bundesamts für Statistik schätzt es die Zahl solcher "russisch kontrollierten" Unternehmen jedoch auf 14, wie es un bestätigte.

Public Eye

Die Recherchen von Public Eye zeigten allerdings, dass eine deutlich größere Zahl an Firmen in der Schweiz ihren Sitz haben. Im Handelsregister seien 240 Firmen eingetragen, "die mit Kohle, Koks oder festen fossilen Brennstoffen handeln, diese transportieren oder damit verbundene Finanzdienstleistungen anbieten". Und viele davon seien im Besitz russischer Oligarchen oder von reichen Geschäftsleuten aus Russland.

Die Schweizer Regierung hatte zwar die Sanktionen gegen Russland beschlossen, wollte aber die Oligarchen nicht verschrecken, wie der Fall der Sibirischen Kohleenergiegesellschaft (Suek) zeigt. Deren Handelssitz wurde seit 2004 im Kanton Zug domiziliert und sie gehört dem russischen Oligarchen Andrei Melnitschenko.

Am Tag, bevor die Sanktionen gegen ihn in Kraft traten, machte er kurzerhand seine Ehefrau zur Eigentümerin – mit Genehmigung der Seco und dem Verweis auf den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Schweiz. Inzwischen wurde Melnitschenkos Ehefrau auch sanktioniert, was die Seco von der Verlegenheit befreite, zu überwachen, dass sie ihrem Ehemann kein Geld zukommen lässt.

Über die Schweiz verkaufen die russischen Bergbaukonzerne jedes Jahr über 225 Millionen Tonnen Kohle in die gesamte Welt. Knapp 68 Prozent des europäischen Kohlebedarfs werden demnach durch russische Lieferanten gedeckt.