Run auf Algerien-Gas in Europa?

Gas-Krise: Wie ein gemeinsames Vorgehen der EU wegen Spanien verhindert wird und Italien kluge Gas-Politik betreibt - Deutschlands Chancen

Im Europaparlament wurde die vergangene Woche eine merkwürdige Entscheidung gefällt. Der Titel der Presseerklärung dazu war noch merkwürdiger: "Parlament billigt Pläne zur Auffüllung der Gasspeicher vor dem Winter", wird darin ausgeführt.

Beschlossen wurde, dass die Gasspeicher bis zum 1. November 2022 "zu mindestens 80 Prozent gefüllt" sein müssen, um die "Bevölkerung und Unternehmen" zu schützen, "falls die Gasversorgung unterbrochen wird". Sorgen soll dafür "eine neue Verordnung, auf die sich die Ministerinnen und Minister der EU schon geeinigt haben".

Wie das geschehen soll, dazu erfährt man wenig. Schon auf eine gemeinsame Beschaffung, wie sie Belgien gefordert hatte, konnte man sich in Brüssel nicht einigen. Das hat gute Gründe, wie wir am Beispiel Algerien sehen werden, wo eine absurde spanische Politik zum Beispiel ein gemeinsames Vorgehen verhindert.

"Bis August dieses Jahres will die Kommission Leitlinien veröffentlichen, wie die EU-Staaten gemeinsam Gas beschaffen können", wird wolkig in der Erklärung schließlich ausgeführt. Diese "freiwillige Regelung" soll dann greifen, "wenn sich mindestens zwei Mitgliedstaaten darauf einigen."

In Deutschland hat angesichts der schwieriger werdenden Lage Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gerade die zweite Alarmstufe ausgerufen. Die erste sogenannte Frühwarnstufe rief er schon im März aus. Die Bundesregierung will die Gasspeicher bis November sogar auf 90 Prozent füllen. Da aus der russischen Pipeline Nord-Stream 1 gerade deutlich weniger Gas nach Deutschland fließt, ist das aber zweifelhaft.

Wartungsarbeiten von Nord Stream 1 und Risiken

Im Juli wird für Wartungsarbeiten zudem tagelang gar kein Gas mehr durch die Röhre fließen, denn das geht während der Arbeiten nicht, wie auch die Bundesnetzagentur feststellt. Es besteht angesichts der Eskalation, unter anderem durch die Lieferung von immer schwereren Waffen an die Ukraine, sogar die Aussicht, dass Russland nach Wartungsarbeiten gar kein Gas mehr nach Deutschland liefert. Die Liste der Länder, denen Russland den Gashahn schon abgedreht hat, wird länger und länger.

Doch schon jetzt warnt die Bundesnetzagentur, da die Gasflüsse aus der Nord Stream 1 auf etwa 40 Prozent der Maximalleistung gedrosselt wurden:

"Sollten die russischen Gaslieferungen über die Nord-Stream-1-Leitung weiterhin auf diesem niedrigen Niveau verharren, ist ein Speicherstand von 90 Prozent bis November kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar."

"Stand heute haben wir ein Problem"

Schon jetzt sei von der Lieferreduktion die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder wie zum Beispiel Frankreich, Österreich und Tschechien betroffen. Der Präsident der Agentur spricht von einer "dramatischen" Lage. "Ich bin dankbar für jeden Vorschlag, wie wir den Gasverbrauch im nächsten Winter herunterkriegen", erklärt Klaus Müller einigermaßen ratlos. "Stand heute haben wir ein Problem."

Dass es neben Deutschland auch in anderen Ländern sehr eng wird, wenn Russland tatsächlich den Gashahn komplett abdreht, ist klar. In Frankreich wird schon wegen dem Ausfall des altersschwachen Atomparks längst mit Blackouts gerechnet, die Gasknappheit kommt noch dazu und verschärft die "Katastrophe".

Die zeichnet sich seit Jahren beim Nachbar ab und spitzt sich Jahr für Jahr zu, weil an der absurden Atomstrategie festgehalten wird. Außer explodierenden Kosten für einen "Neubau", der schon seit 10 Jahren Strom liefern sollte, und immer neue ausfallende Kraftwerke bringt die nichts hervor. Der Strom muss derzeit erneut extrem teuer aus dem Ausland zugekauft werden.

Doch auch die Substitution durch Kohle und extrem dreckiges Fracking-Gas aus den USA wird nicht dazu führen, dass sich die Gasspeicher füllen. Bestenfalls kann, da die Flüssiggas-Lieferungen über Tanker eine sehr begrenzte Kapazität haben, darüber verhindert werden, dass die Füllstände in den europäischen Gasspeichern weiter sinken.

Die große Frage, auf die man weder in der EU-Kommission noch im EU-Parlament eine Antwort hat, ist, woher bitteschön das Gas zu kommen soll, mit denen die Speicher alsbald bis zu 80 oder 90 Prozent gefüllt werden sollen.

Madrid verbaut Möglichkeiten mit Trump-Politik

Spanien hatte bis vor kurzem noch einen verlässlichen Partner für seine Gasversorgung. Noch bis zum vergangenen Winter lieferte Algerien 40 Prozent des Gases, das in Spanien verbrannt wurde. Doch, wie Telepolis mehrfach berichtet hat, stößt die "tollpatschige" Politik der sozialdemokratischen Regierung, wie sogar das inoffizielle Parteiorgan El País festgestellt hat, dem ehemaligen Partner immer heftiger vor die Brust.

Dass sich die Sozialdemokraten auf die Seite Marokkos geschlagen haben, dessen Erpressung mit der Einwanderungsfrage in Madrid nachgegeben wurde, rächt sich jetzt fatal. Spanien ist kein bevorzugter Partner mehr, das Land muss nun deutlich höhere Preise zahlen. Algerien hat seine Lieferungen an Spanien immer weiter reduziert.

Wegen des Konflikts um die von Marokko völkerrechtswidrig besetzte Westsahara wurden schon Gaslieferungen im letzten November über die Maghreb-Europa-Pipeline eingestellt, damit nach Vertragsablauf sich Marokko nicht aus der Pipeline eigenmächtig bedienen kann.

Schon deshalb floss weniger Gas nach Portugal und Spanien. Das sollte teilweise über den Ausbau der Medgaz-Pipeline kompensiert werden. Die Röhre könnte zwar nun mehr Gas liefern, tut sie aber nicht, da Spanien nun auf Trump-Linie eingeschwenkt ist und faktisch gegen das Völkerrecht die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkennt.

Das lässt sich die Schutzmacht der Sahrauis in der Westsahara aber nicht bieten, weshalb die Lieferungen eher gekürzt als ausgebaut wurden. Zwischenzeitlich hatte Algerien sogar die Handelsbeziehungen zu Spanien ganz abgebrochen, was in Spanien zu besonders absurden Feststellungen führte.

Sündenbock Russland

Die Sozialdemokraten (PSOE) sind zur Selbstkritik unfähig. In der Westsahara-Frage haben sie sich sogar gegen den linkeren Koalitionspartner, alle linken Unterstützer und die gesamte rechte Opposition gestellt. Jetzt benötigt Madrid einen Sündenbock. Da bietet sich natürlich Russland an, um die eigenen Fehler zu übertünchen oder von ihnen abzulenken.

So verstieg sich die Wirtschaftsministerin Nadia Calviño zur Anschuldigung, dass Russland hinter einer angeblichen Blockade Algeriens stecke. Die Vize-Ministerpräsidentin, deren Aufstieg zur Eurogruppen-Chefin zum Glück verhindert wurde, erklärte in Catalunya Radio, dass Algerien sich immer mehr an die Position Russlands angepasst habe.

Es zeige sich seit geraumer Zeit, wie sich Algerien immer deutlicher Zeit und auf die russische Seite geschlagen habe: "Ich bin nicht so überrascht, dass wir jetzt sehen, wie dies in die Praxis umgesetzt wird", erklärte sie. Calviño sieht sich von EU-Kommission gestützt, die angeblich ihre Thesen mittrage.