"Gegneranalyse" und Zentrum Liberale Moderne: Die Presse als Feind?

Arbeit zu Watchblog "Nachdenkseiten" wirft Fragen auf. Papier des Projektes "Gegneranalyse" mit Schwächen. Zentrale Akteure vermeiden Kritik durch Trick. Kommentar und Analyse.

Eine seltsame Faszination geht von den sogenannten alternativen Medien aus, jenen Akteuren der zeitgenössischen Presselandschaft also, die sich wahlweise als Ersatz oder Ergänzung des medialen Mainstreams verstehen. Private, halbstaatliche und staatliche Netzwerke befassen sich inzwischen mit diesem Medienphänomen; arbeiten sich geradezu an ihm ab.

Oft geschieht das, ohne dass Ursachen oder gar Lösung der medialen Polarisierung hinterfragt werden. Dazu trägt auch bei, dass in beiden Mediensphären viel übereinander und wenig miteinander gesprochen wird.

So auch in einem Papier über das Portal Nachdenkseiten, das bezeichnenderweise im Rahmen eines Projektes mit dem Titel "Gegneranalyse" erschienen ist. Dessen Macher wollen ihre Namenswahl "sportlich" verstanden wissen, weil "etwa Fußballmannschaften vor Spielen ihren Gegner analysieren" – stellen sich dann aber allein aufs Feld.

So bleibt unklar, ob es um eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Nachdenkseiten und anderen geht, oder ob das, was als "Gegneranalyse" daherkommt, nicht als "Feindbeobachtung" und, in gewisser Weise, als Echo des "Lügenpresse"-Geschreis verstanden werden muss.

Dabei ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Nachdenkseiten – so wie mit auch anderen Redaktionen – angebracht. Darauf weisen schon die Brüche in der Geschichte dieses Projektes hin, etwa der Abschied von Mitbegründer Wolfgang Lieb im Jahr 2015. Lieb nahm damals nach zwölf Jahren den Hut, weil, wie er schrieb, "Rationalität und Vernunft bei allem Nachdruck in der Argumentation meines Erachtens eine angemessene kritische Distanz verlangen" und "die Anerkennung eigener Begrenztheit undifferenzierte und einseitige Schuldzuschreibungen verbietet".

Und im Interview mit Telepolis sagte der verbleibende Redaktionschef Albrecht Müller, man vermeide das pauschale Urteil einer medialen "Gleichschaltung" – um den historisch vorbelasteten Terminus in der gleichen Antwort umgehend wieder zu benutzen. Darüber und über journalistische Standards sollte man immer sprechen, diskutieren und, wenn nötig, streiten. Die Frage steht aber im Raum, ob dies das Anliegen des Projektes "Gegneranalyse" ist.

Schon publizistisches Umfeld wirft Fragen auf

Autor Markus Linden, der an der Universität Trier angestellt ist, erhebt diesen Anspruch, um ihn wenige Zeilen später ad absurdum zu führen. Doch schon ohne einen Blick auf Argumentation und Methodik des Politologen wirft das publizistische Umfeld Fragen auf.

Das Projekt "Gegneranalyse", das weitere Fallstudien erstellen will, ist bei der Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne angesiedelt, die dezidiert transatlantische Positionen vertritt. Es handelt sich mithin um eine politische Struktur, die sich – was immer das heißen mag – der "Verteidigung und Erneuerung der liberalen Moderne" verschrieben hat.

Das Zentrum Liberale Moderne wiederum steht unter Leitung des ehemaligen Grünen-Politikers Ralf Fücks, der als politischer Akteur in Erscheinung tritt.

Finanziert wird die "Gegneranalyse" vom Familienministerium, dem politischen Bundesprogramm "Demokratie leben" und der Bundeszentrale für politische Bildung.

Man könnte erwarten, dass der Autor einer wissenschaftlichen Analyse in diesem Umfeld besonders strenge Kriterien anlegt. Doch davon sieht Markus Linden mit erstaunlicher Chuzpe ab.

Anfang Juni veröffentlichte Linden einen Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem er sich kritisch mit seiner Fachkollegin Ulrike Guérot auseinandersetzt. Sein Text kritisiert zu Recht "polemische Kritik" der Autorin an der Corona-Pandemie-Politik, um ihr, nicht minder polemisch, im gleichen Atemzug ein "gestörtes Verhältnis zur Wahrheit" zu attestieren.

So entsteht kaum der Eindruck, Linden gehe es um eine fachliche Auseinandersetzung. Am Ende seines FAZ-Gastbeitrags führt er gar ein Studentenparlament an, um ein Auftrittsverbot für Guérot gutzuheißen.

Linden stellt politische Forderungen und argumentiert selektiv. Dass deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine Deutschland zur Kriegspartei machten, sei "von Völkerrechtlern der Universität widerlegt", zitiert er; freilich ohne zu erwähnen, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags mit Blick auf die parallele Ausbildung an den Waffensystemen zu einem anderen Schluss gekommen ist. All das ist so wenig ehrlich wie journalistisch oder gar wissenschaftlich. Es ist eben Lindens Meinung.

Die publizistische Tätigkeit des Autors ist wichtig zu erwähnen, weil sie in direkter Linie zu dem Papier über die Nachdenkseiten führt. Linden verzichtet auch in diesem Meinungsstück auf eine kohärente Argumentation und Analytik, er versucht, dieses Defizit mit Querverweisen auf Gleichdenkende auszugleichen.

Im vorliegenden Fall ist das in erster Linie der Sozialwissenschaftler Wolfgang Storz, der sich 2015 für die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung mit dem Papier "Querfront – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerks" zu Wort gemeldet hatte. Dass diese Arbeit nach heftiger Kritik mehrfach überarbeitet wurde, und vor allem warum, erfährt man bei Linden nicht.

Es war die Medienwissenschaftlerin und Telepolis-Autorin Sabine Schiffer, deren fachliche Kritik damals zu der Überarbeitung geführt hat. Sie sieht eine Analogie zwischen beiden Arbeiten: Beide führten selektiv Beiträge und Verlinkungen an, um daraus qualitative Rückschlüsse über die untersuchten Medien und ihre Netzwerke zu ziehen.

Nun hat sich der Politikwissenschaftler Markus Linden von dem Sozialwissenschaftler Wolfgang Storz zu seinem Papier über die Nachdenkseiten interviewen lassen, was zu Schiffers Vorwurf eines "Zitierkartells" beiträgt.

Dabei wäre eine kritische Auseinandersetzung spannend. Telepolis hat sich nach einem Gespräch mit Albrecht Müller zweimal an Markus Linden gewandt – ohne Antwort. So bleibt im Unklaren, wie er seine harsche Kritik an dem Watchblog Nachdenkseiten als "Scharnier für verschwörungstheoretisches Denken" begründet. Schiffer schreibt:

Im Interview (..) gibt Linden in Sachen Methodik zu Protokoll: "Ich habe nicht quantitativ, sondern qualitativ gearbeitet. Es erfolgte also keine direkte Zählung und computergestützte Auswertung der Inhalte, sondern eine repräsentative Auswahl einschlägiger Beiträge, die ich inhaltsanalytisch ausgewertet habe." Wer auch nur ansatzweise etwas von Empirie versteht oder einfach logisch denken kann, müsste den Widerspruch auf Anhieb erkennen.

Sabine Schiffer

Vertrauen in Medien stärken, Polarisierung vermeiden

So bleibt als Zwischenbilanz: Autor Linden erweist seinem mutmaßlichen Anliegen, Vertrauen in die Medien zu stärken, einen Bärendienst. Dabei wäre ein Dialog über die allgemeine Medienkrise, deren Resultat sogenannte alternative Medien sind, dringend notwendig. Schließlich verweisen Umfragen – nicht nur in Bezug auf Deutschland – darauf, dass das Medienvertrauen stetig sinkt.

Tragen Papiere mit einem Vor-Framing oder einer Voreingenommenheit zur Vertrauensbildung bei? Das darf man bezweifeln. Stattdessen sind Akteure wie Storz und Linden Resultat und Motor einer zunehmenden Polarisierung in den Medien und damit in der Gesellschaft. Ihre Botschaften sind unmissverständlich: Dieses Portal darf man nicht mehr lesen! Dort darf man nicht mehr schreiben! Mit der darf man nicht mehr sprechen!

Die mehr oder weniger explizit geäußerten Forderungen der genannten Arbeiten sind Teil des Problems. Nicht der Lösung.

Das Projekt "Gegneranalyse" wird sich nun weitere Seiten vornehmen. Das Online-Portal Anti-Spiegel etwa. Oder die Seite Rubikon, über deren Krise auch Telepolis berichtet hatte, weil es mit der Auflösung des Redaktionsbeirats und einer öffentlichen Erklärung einen Grund zur Berichterstattung gab, das Thema also Nachrichtenwert hatte.

Was aber motiviert die Macher der "Gegneranalyse", wenn sie den Nachdenkseiten in einem nur als schludrig zu bezeichnenden Papier eine "radikale Systemopposition" attestieren – und sich dafür, um diese Terminologie aufzugreifen, vom System bezahlen lassen? Wie weit ist diese Arbeit von der des Inlandsgeheimdienstes entfernt, der im vergangenen Jahr eine "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zum beobachtungswürdigen Phänomen erklärt hat? Wie weit von Counter Propaganda Units der EU und Nato?

Es bleiben Fragen, die wir mit Markus Linden gerne geklärt hätten. Seine Bereitschaft zur Kommunikation scheint aber recht einseitig.

Lesen Sie auf der kommenden Seite den Kommentar von Sabine Schiffer zum Papier von Markus Linden über die Nachdenkseiten mit dem Titel "Vom Aufklärungs- zum Querfront-Medium?"