"Das neue Evangelium" - Sauerländer Priester als Hitler-Propagandist

Der nationalsozialistische Kleriker Lorenz Pieper. Foto-Reproduktion: Peter Bürger (Original im Pieper-Nachlass, Abtei Königsmünster)

Vor hundert Jahren trat der Geistliche Dr. Lorenz Pieper (1875-1951) der NSDAP bei und agitierte wenig später in bayerischen Veranstaltungen für das Hakenkreuz – Kirche & Weltkrieg (Teil 12)

Kein anderer römisch-katholischer Kleriker in Deutschland hat nach bisherigem Forschungsstand so früh ein Parteibuch der Nationalsozialisten erhalten wie Dr. Lorenz Pieper (1875-1951) aus dem Hochsauerland. Er trat schon 1922 als Kaplan von Hüsten der NSDAP bei, wurde 1923 sogar für einige Monate Mitarbeiter Adolf Hitlers und hielt von München aus im schwarzen Priesterrock zahlreiche NS-Propagandavorträge.

Kurz vor der sogenannten Machtergreifung 1933 bekannte der gewaltbereite Antisemit:

Und naturgemäß wurde ich ein Soldat Hitlers. Es ist mein Stolz, dass ich gleich zu Anfang der Bewegung zu ihr stieß!

Bis hin zum bitteren Ende 1945 wird Lorenz Pieper dem "Führer" die Treue halten und die "Segnungen des Dritten Reichs" auch dann noch beschwören, als die US-Amerikaner schon vor der Kreisstadt Meschede stehen. Zu den Widersprüchen dieses Fanatikers gehört allerdings auch sein Widerstand als Seelsorger der Heilanstalt Warstein gegen die "Euthanasie"-Morde.

Werner Neuhaus und ich haben in diesem Sommer einen umfangreichen Forschungs- und Quellenband über den Weg dieses frühen Nationalsozialisten veröffentlicht: "Am Anfang war der Hass."

Das Buch ist nicht in der Reihe "Kirche & Weltkrieg" erschienen, die sonst fortlaufend in dieser Telepolis-Serie vorgestellt wird. Es gibt aber viele inhaltliche Bezüge zu diesem Geschichtsprojekt.

"Ich wohnte mit Hitler in einem Raum"

Bereits im März 1921 ist Lorenz Pieper Abonnent des "Völkischen Beobachters" der NSDAP, dessen Sprache er "erfrischend deutlich" nennt. Nach dem Besuch einer nationalsozialistischen Parteiveranstaltung in Hagen meldet er sich 1922 zur NSDAP und erhält die sehr niedrige Parteinummer 9470.

Seine Begeisterung für den "geborenen Volksführer Hitler" kennt keine Grenzen mehr. Ostern 1923 verlässt Pieper ohne Erlaubnis der Paderborner Bischofsbehörde seine Vikar-Stelle in Hüsten, um dem "Führer" in München propagandistisch zur Seite zu stehen. Sein Parteigenosse Eduard Schulte, Stadtarchivar von Münster, schreibt 1935 rückblickend darüber:

Unwiderstehlich hatte ihn die nationalsozialistische Weltanschauung in ihren Bann gezogen, hatte ihn der Drang zum Kampf in das braune Hauptquartier nach München getrieben. Wegen der rasenden Inflation konnte er sich das Reisegeld nur dadurch verschaffen, dass er wertvolle Teile seiner Sammlungen verkaufte.

In München fristete er auf die genügsamste Weise sein Dasein, nur um seine vaterländische Aufgabe zu erfüllen. Für den kleinen Kreis der Kämpfer um Hitler ward Pieper ein gewichtiger Gefolgsmann, ein wertvoller Mitarbeiter. Als Agitationsredner der NSDAP wirkte er in München und draußen in Bayern und Württemberg, zumeist im geistlichen Gewande, um die Gemeinschaftsmöglichkeit zwischen Nationalsozialismus und Kirche auch nach außen hin zu dokumentieren.

Sein Angriffsgeist gegen die Weimarer Zeitverhältnisse drückte sich auch darin aus, dass er, der Nichtsoldat, sich in einer Münchener Kaserne militärisch ausbilden ließ; er stand zur Reserve eines Freikorps.

Eduard Schulte

Vikar Hubert Fernholz hat Piepers eigene Darstellung hierzu – in der gemeinsamen Zeit der Warsteiner Anstaltsseelsorge – 1987 folgendermaßen wiedergegeben:

Ich ging nach München, ohne jemandem etwas zu sagen, und wohnte mit Hitler in einem Raum. Da haben wir das Parteiprogramm ausgearbeitet. Bis mich die Jesuiten aufspürten und meine Adresse nach Paderborn gaben. Paderborn drohte mit Suspension und Hitler sagte: Einen suspendierten Priester kann ich nicht gebrauchen.

Im Herbst, kurze Zeit vor Hitlers Münchener Putschversuch vom 8./9. November 1923, muss Pieper also den Kampfplatz verlassen. Der Führer der NSDAP bedankt sich 1923 bei seinem geistlichen Mitstreiter mit einem Porträtfoto, das seine persönliche Widmung "Herrn Dr. Lorenz Pieper in aufrichtiger Verehrung, Adolf Hitler" trägt; eine weiteres Bildgabe folgt 1928.

In einem Brief vom 12. Januar 1939 an Oberregierungsrat Fritzsche im Reichspropagandaministerium schreibt L. Pieper selbst später vom "Führer‚ den ich seit 1923‚ seitdem ich bei ihm angestellt war, persönlich kenne".

Den Forschungen von Derek Hastings zufolge, so referiert Antonia Leugers, "war eine signifikante Zahl von katholischen Priestern und Laien als frühe Propagandisten bis zum Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 an Aufstieg und steigendem Zulauf für die NSDAP durch zielgruppenorientierte Sonderpublikationen und Publikationen in der Parteipresse, spezielle Propagandareden und liturgische Feierangebote für NS-Interessierte im katholisch sozialisierten Umfeld Münchens von Bedeutung. Die Frage, ob ein Katholik Nationalsozialist sein könne, wurde eigens thematisiert, um Vorbehalte abzubauen."

In diesem Kontext passte der reformkatholisch ambitionierte und papstkritische Lorenz Pieper, der selbst sein Verhältnis zu Hitler fast als ein enges beschrieben hat, bestens zur "katholischen NS-Szene" in München. Die Stadt – und höchstwahrscheinlich auch einige Akteure – kannte er schon durch sein dortiges Promotionsstudium 1902/1903.

Die nationalsozialistischen Kleriker Joseph Roth (1897-1941) aus München, links, und Lorenz Pieper (1875-1951) aus dem Sauerland, in der Mitte, bei einem Treffen "brauner Priester", vermutlich im Jahr 1933. Foto-Reproduktion: Peter Bürger (Original im Pieper-Nachlass, Abtei Königsmünster)

In einer heißen Phase der NSDAP-Parteientwicklung hat er als Kleriker bedeutsame Beihilfe geleistet. Dr. theol. Bernhard Bendfeld teilte 1989 sogar mit: Dr. Pieper "soll in München den Kopf des Völkischen Beobachters entworfen haben".

Der Franziskaner Erhard Schlund, ein früher Beobachter der genannten Szene, referiert in einem schon 1923 geschriebenen Kapitel "Der Münchener Nationalsozialismus und die Religion":

Der Miesbacher Anzeiger und mit ihm der Völkische Beobachter (vom 4.5.1923) stellen mit Freude fest, dass der ehemalige Sekretär des Volksvereins für das katholische Deutschland … Dr. Lorenz Pieper … "in eherner Konsequenz der von ihm seit Beginn seiner politischen Tätigkeit vertretenen positiv christlich-deutschen Weltanschauung zur nationalsozialistischen Bewegung gehört.

Erhard Schlund OFM (1923)

Am nachhaltigsten hat der sauerländische Linkskatholik und Pazifist Josef Rüther (1881-1972) schon Ende 1923 mit einer in Zentrumszeitungen wiederholt nachgedruckten Germania-Artikelserie "Die völkische Bewegung als Abfall vom Christentum" für Aufklärung über rechtsextremistische Katholiken gesorgt; der "Deutsche Gott" der Sauerlanddichterin Maria Kahle wird von ihm darin ebenso angeführt wie die Hitler-Gefolgschaft von Priestern wie Joseph Roth (Bayern) und Lorenz Pieper (Sauerland).