Holocaust-Relativierung: Ukraine-Botschafter Melnyk muss nun doch Posten räumen (Update)

Bandera, Melnyk. Bilder: Heinrich-Böll-Stiftung, CC BY-SA 2.0/ Wikipedia

Verteidigung des Faschisten Stepan Bandera in Interview hatte für Entsetzen gesorgt. Nun zieht Kiew Reißleine. Kehrt Melnyk noch dieses Jahr nach Kiew zurück?

Nachdem er die Rolle des ukrainischen Faschisten und Kriegsverbrechers Stepan Bandera im Zweiten Weltkrieg und im Holocaust verharmlost hat, soll der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk von seinem in Berlin Posten abberufen werden. Das berichteten zu Wochenbeginn die Boulevardzeitung Bild und Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf ukrainische Quellen.

Der 46-Jährige hatte zuletzt durch Beschimpfungen und verbale Angriffe auf deutsche Politiker von sich reden gemacht. Der jüngste Skandal folgte auf ein Interview mit dem Journalisten Thilo Jung, in dem er Bandera verteidigte.

"Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen", so Melnyk, es gebe für entsprechende Vorwürfe keine Belege. Wer die Kritik an dem Faschistenführer aufgreife, folge einem russischen Narrativ, auf das auch deutsche, polnische und israelische Historiker hereingefallen seien.

Das Außenministerium in Kiew distanzierte sich daraufhin von dem Diplomaten. Bei Melnyks Aussagen handele es sich um seine persönliche Meinung, die "nicht die Position des Außenministeriums der Ukraine widerspiegelt".

Zuvor hatte das benachbarte Polen die Aussagen des umstrittenen Botschafters als absolut inakzeptabel bezeichnet. Kritik kam auch von israelischer Seite. Melnyk selbst lehnte nach Agenturangaben weitere Stellungnahmen zu seinem jüngsten Fehltritt ab.

Nach den Berichten der beiden genannten Zeitungen könnte der 46-Jährige noch im Herbst seinen Posten räumen. Einen Karriereknick bedeutet das offenbar aber nicht. Im Gespräch sei die Benennung Melnyks zum Vize-Außenminister.

Antisemitismusbeauftragter meldet sich zu Wort

Nach Melnyks umstrittenen Interview hatte auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat die Äußerungen des Botschafters als „problematisch“ bezeichnet. Tatsächlich handele es sich bei Bandera um eine "äußerst umstrittene Persönlichkeit", so Klein, der die Ukraine zu einem raschen Beitritt zur International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) aufforderte. Bislang hatte Kiew das abgelehnt.

Melnyk hatte den ukrainischen Faschisten Stepan Bandera (1909-1959) in einem Gespräch mit dem Journalisten Tilo Jung verteidigt und behauptet: "Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen." Es gebe für entsprechende Vorwürfe keine Belege. Wer die Vorwürfe gegen den Faschisten Bandera aufgreife, folge einem russischen Narrativ, auf das auch deutsche, polnische und israelische Historiker hereingefallen seien.

Als Jung seinem Interviewpartner ein Flugblatt der faschistischen und antisemitischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) vorlas, auf dem unter anderem zur Ermordung von Juden aufgerufen wurde, entgegnete Melnyk: "Ich werde dir heute nicht sagen, dass ich mich davon distanziere. Und das war's!"

Bandera (1909-1959) war Vordenker des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Die Milizen hatten ihre Hochburg im Westen der Ukraine, waren vorwiegend 1943 für ethnische Säuberungen verantwortlich und ermordeten Zehntausende polnische Zivilisten – ein klares Kriegsverbrechen, für das er lange nicht zur Verantwortung gezogen wurde.

Bandera floh nach dem Ende des Krieges in die Bundesrepublik, 1959 wurde er von einem Agenten des sowjetischen Geheimdienstes KGB in München mit Blausäure ermordet.

Keine Folgen für Verteidigung von Faschisten

Melnyk ist mehrfach durch seine vehemente Verteidigung des Faschisten und Massenmörders aufgefallen. Seine auf Bandera bezogene Holocaustleugnung hat ihn bislang keine größeren Probleme beschert. Auch jetzt verwies das Auswärtige Amt lediglich auf die Erklärung des Außenministeriums in Kiew, ohne selbst Stellung zu nehmen.

In der Erklärung aus Kiew wird indes nicht erklärt, welche die offizielle Haltung ist, nachdem in den vergangenen Jahren im Einflussbereich Kiews zahlreiche Straßen, Plätze und sogar Sportstadien nach dem Faschisten und Massenmörder Bandera benannt worden sind.

Die historische Einordnung von Bandera und seiner OUN ist unter Historikern Konsens. Der Geschichtsforscher Grzegorz Rossoliński-Liebe hat Bandera dem transnationalen Faschismus zugeordnet. Selbst wenn die OUN ihren Faschismus aus nationalen Gründen zeitweilig zu tarnen verstand, habe sie sich als eine faschistische Bewegung und ihren europäischen Pendants zugehörig gesehen, schrieb er 2017 in einem Aufsatz für die Bundeszentrale für politische Bildung:

Bandera wollte als ihr Führer einen faschistischen Kollaborationsstaat im von den Nationalsozialisten kontrollierten "Neuen Europa" errichten. Die "Säuberung" des Staates von Juden, Polen, Russen und anderen ethnischen und politischen "Feinden" war ein fester Bestandteil des politischen Programms der OUN, das die Bewegung zumindest in der Westukraine teilweise realisierte. Der ukrainische Fall – ähnlich wie der kroatische, slowakische oder rumänische – zeigt, dass der radikale Nationalismus in keinerlei Gegensatz zum Faschismus stand, sondern mit ihm verschmolz beziehungsweise ein fester Bestandteil dessen war.

Grzegorz Rossoliński-Liebe

Nach den Äußerungen Melnyks kritisierte der polnische Vize-Außenminister Marcin Przydacz die Haltung des Diplomaten als "absolut inakzeptabel". Allerdings interessiere ihn "mehr die Position der ukrainischen Regierung als die von Einzelpersonen". Die Distanzierung des ukrainischen Außenministeriums sei für ihn ausreichend.