Über Medienvertrauen und Friedensberichterstattung

Haus den Rundfunks in Berlin – von hier aus antwortet der RBB, wenn man insistiert. Bild: Kazuyanagae, CC BY-SA 4.0

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk Berlin-Brandenburg zwischen kleiner Anfrage und größeren Problemen – ein Fallbeispiel zu Wahrnehmungen im Journalismus.

Die öffentlich-rechtlichen Medien hierzulande bedürfen dringend progressiver Begleitung und konstruktiver Kritik. Und zwar als historische Errungenschaft im Sinne von Demokratisierung und Sozialstaatlichkeit, hinsichtlich relativer Unabhängigkeit von Wirtschaftseinflüssen, bezogen auch auf vergleichsweise Staatsferne und immerhin möglichen Pluralismus. Denn das einst scheinbar unerschütterliche Vertrauen nicht zuletzt in öffentlich-rechtliche Medien in der Bundesrepublik ist längst nicht mehr selbstverständlich, wie ich in früheren Beiträgen skizziert habe:

Zu diesem Thema hier ein persönlicher Erfahrungsbericht, der aber (hoffentlich) soziale Lern-Potentiale aufzeigt - auch, weil ich dazu noch den langjährigen MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker befragt habe (s.u.).

In Berlins Mitte gab es am 2. Juli 2022 Proteste des Bündnisses "Zivile Zeitenwende" mit zwei Kundgebungen und einer Demonstration dazwischen, das Motto lautete "Wir zahlen nicht für Eure Kriege". Auch ich war dabei, zumindest während des ersten Teiles der mehrstündigen Veranstaltung. Danach musste ich unterwegs sein als Vortragender im Rahmen der "Langen Nacht der Wissenschaften" und wollte am Ende des Tages, spätabends, doch noch erfahren, was der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) zu der Anti-Aufrüstungs-Demo zu berichten hatte.

Ich schaute im Online-Angebot des RBB nach und war doch sehr überrascht, zu dem Thema so gar nichts zu finden. Dass ich als Teilnehmer die Veranstaltung nicht geträumt hatte, zeigten mir Fassungen einer entsprechenden dpa-Meldung zum Beispiel beim MDR und in zahlreichen anderen etablierten Medien.

Aber schlicht nichts (mehr zu finden) beim RBB? Merkwürdig! Mit einem Tag Abstand beschloss ich, der Sache nachzugehen, und schrieb an das Team von RBB24-Online und an die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger folgende erste Mail:

Sehr geehrte Frau Schlesinger, sehr geehrtes Team von RBB24,

als Mediennutzer, Wissenschaftler und Journalist frage ich mich und Sie: Warum gibt es im gesamten Angebot von RBB24 anscheinend keinerlei Nachricht, in welcher Form auch immer, über die Demonstration "Wir zahlen nicht für Euren Krieg" am Samstagnachmittag in der Berliner Mitte (Bebelplatz - Unter den Linden - Schiffbauerdamm – Bebelplatz).

Beim Ereignis waren (leider) kaum Medienvertreter*innen zu sehen, aber es gab gestern ja zumindest eine dpa-Meldung zum Ereignis, die sich unter anderem beim MDR (sic!), beim Tagesspiegel oder bei der Frankfurter Rundschau findet. Ich erwarte vom öffentlich-rechtlichen Programm in den beiden Bundesländern, in denen ich lebe und arbeite, dass ein solches Ereignis - das sich ja 1.) auf das Thema Nr. 1 derzeit bezieht und 2.) eine bestimmte, von der Regierungslinie deutlich abweichende, zugleich aber komplett legale und legitime Position artikuliert, die in vielen etablierten Medien leider kaum bis gar nicht stattfindet) - zumindest im Rückblick kurz vermeldet wird.

Dabei ist, wie Sie ganz sicher genau wie ich wissen, einerseits ein binnenplurales Meinungsspektrum ebenso Teil gerade des öffentlich-rechtlichen Grundversorgungsauftrages, wie andererseits die Artikulation möglichst aller gesellschaftlich relevanten Tendenzen ein Aspekt der öffentlichen Aufgabe journalistischer Medien hierzulande ist.

Gerade vor diesem doppelten Hintergrund frage ich mich, wie es zum kompletten Negieren dieses Ereignisses kam, bei immerhin zwischen 1.400 (so die Polizei laut dpa) und 4.000 (so die Veranstalter laut dpa) Teilnehmenden.

Hoffe, Ihnen erschließt sich meine Frage. Ich finde unsere öffentlich-rechtlichen Medien wichtig, und noch wichtiger finde ich, dass sie besser werden.

In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit freundlichem Gruß (...)

Danach tat sich zehn Tage lang gar nichts. Das würde sich wohl kein Telefon- oder Stromanbieter trauen – dort bekommen wir in der Regel zumindest eine automatische Antwort, mit einer Vorgangsnummer und einem Zeithorizont für eine persönliche Antwort in der Sache.

MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker, der dem Gremium in Leipzig seit 1997 angehört, derzeit entsandt vom DJV Sachsen (als Vertreter einer "gesellschaftlich relevanten Gruppe", die je nach Entscheid der jeweiligen Parlamente repräsentiert sein sollen in den Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Anstalten, gleichsam als deren soziales Aufsichtsgremium), äußert sich dazu im Gespräch mit dem Autoren wie folgt:

Ich sehe hier eher eine "organisierte Verantwortungslosigkeit". Nicht die Frage und die Fragesteller stehen im Vordergrund, sondern die Organisationsstrukturen in den Kommunikationsabteilungen der Sender.

Diese haben zum einen zu wenig Personal. Dies führt dazu, dass zu viele Anfragen zu standardisiert behandelt werden, so dass Antworten nicht zu den Fragen passen. Zum anderen fehlen offensichtlich technische Tools, um den Standards moderner "Kunden"-Kommunikation gerecht zu werden, wodurch u.a. immer mal wieder Anfragen verloren gehen.

Dadurch entsteht der Eindruck, dass (den öffentlich-rechtlichen Sendern, d.A.) die Beitragszahlerinnen und -zahler egal sind. Das ist fatal. "Code of Conducts", die veröffentlicht und auch extern evaluiert werden, wären ein gutes Signal in die Öffentlichkeit.