Handelskriege und militärische Eskalation: Die Summe des Vermeidbaren

Ein Beispiel: Deutschland hätte sich und ganz Europa viel ersparen können. Foto: Michael Coghlan / A Radical Then and Now Shot / CC-BY-SA-2.0

Die Bilanz der gewaltsamen Tode und Zerstörungen, die in der Weltgeschichte vermeidbar gewesen wären, ist erdrückend

"Die Weltgeschichte ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre." Dieser nachdenkenswerte Satz wird in Deutschland neben Bertrand Russel meistens Konrad Adenauer zugeschrieben, dem ersten Kanzler der jungen Bundesrepublik. Was Deutschland sich und Europa hätte ersparen können, wenn es die Hitler-Diktatur nicht zugelassen hätte, war nach der totalen Niederlage und Zerstörung der wichtigsten Städte natürlich eine müßige Frage.

Deutschland hatte mit dem Feuer gespielt und auch erhebliche Teile der Bevölkerung, die nicht unbedingt mit den Nationalsozialisten sympathisierten, hatten sich von den anfänglichen Blitzkriegserfolgen berauschen lassen. Diese Masseneuphorie ist heute kaum nachvollziehbar, sie ist aber auch in milderer Dosierung ein höchst gefährlicher kollektiver Geisteszustand und heute durch unkontrollierbare Desinformation noch gefährlicher als damals.

Von der kleinsten Rebellengruppe bis zu den größten Armeen unserer Tage spielt die notwendigerweise indoktrinierte Psychologie des einzelnen Soldaten wie der Führungsebenen eine entscheidende Rolle für Kampfkraft und Einsatzbereitschaft. Und falls Bertrand Russell die Vermeidbarkeiten der Weltgeschichte nicht so definiert hat, trifft er mit einem anderen Zitat den wunden Punkt der militärischen Motivierungs-Notwendigkeit zentral:

"Patrioten sprechen immer von der Notwendigkeit, für das Vaterland zu sterben, nicht aber von der Notwendigkeit, für das Vaterland zu töten." Während nach Aussetzung der Wehrpflicht nur noch wenige junge Deutsche freiwillig beide Notwendigkeiten ins Auge fassen, darf man bei einer Reihe großer Armeen davon ausgehen, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen dieser Länder den Dienst entweder als ehrenvoll oder aber als materiell attraktiv erscheinen lassen.

Goldgräberstimmung für Söldnerdienste

Die moderne Entwicklung, dass immer öfter gut bezahlte Söldnerdienste an zahlreichen Schauplätzen eingreifen, deutet darauf hin, dass Bertrand Russels moralische Differenzierung zwischen Sterben und Töten dabei weniger eine Rolle spielt als Profit- und Verdienstmöglichkeiten.

Nicht nur die russische Gruppe Wagner wird gut bezahlt, bei den britischen und amerikanischen "Private Military Companies" (PMCs) werden je nach Gefährlichkeit des Einsatzes bis zu 2000 US-Dollar pro Tag gezahlt. In Afghanistan waren über mehrere Jahre mehr Söldner im Einsatz als reguläre Soldaten und starben auch deutlich mehr als diese.

Nach einem nicht datierten Artikel im Spec Ops Magazine beschäftigen die PMCs zusammen mehr als 625.000 Personen, ein Milliardengeschäft, denn für die nationale Sicherheit fließen Steuermittel immer leichter als etwa für Bildung.

"Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln." Diese oft zitierte Definition des preußischen Generals Carl von Clausewitz lenkt allzu leicht von den wichtigen Einschränkungen seines 1832 erschienen Buches "Vom Kriege" ab. Es geht Clausewitz nämlich sehr wohl um die Verhältnismäßigkeit zwischen Einsatz, Opfern, Schäden und Gewinn, nämlich die eigentlich wichtigste Frage, ob ein verlustreicher Krieg zur Durchsetzung politischer Ziele gerechtfertigt werden kann.

Seit Urzeiten haben Kriegsvorbereitungen und Drohszenarien ausgereicht, um politische oder wirtschaftliche Ziele gegenüber schwächeren Staaten durchzusetzen. Die möglicherweise "elegantere" Erpressungsmethode kann dabei ein "Handelskrieg" sein, eine Bezeichnung, die in den zwei oder drei letzten Jahren ständig kommuniziert wird.

Wenn einem Handelskrieg allerdings durch Rüstungswettläufe auf beiden Seiten Nachdruck verliehen wird, wie das derzeit zwischen den USA und China und seit Februar mit Russland der Fall ist, sollten die Alarmglocken eigentlich lauter klingen. Muss man davon ausgehen, dass wirtschaftliche Nadelstiche immer stärker werden müssen, um noch wirksam zu sein, oder dass eine Sanktionsspirale am Ende doch militärische Gewalt auslöst?

Es ist erschreckend genug, daß die Frage einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen den beiden Supermächten immer wieder gestellt und diskutiert wird. Dabei geht es häufig genug um technische Details, welche Raketen wie weit fliegen und wie genau sie treffen können, wie viele U-Boote und Flugzeugträger notwendig sind, und viele ähnliche.

Aus dem Kalten Krieg werden Überlegungen aufgewärmt, welche Überlebenschancen welche Teile der Bevölkerung haben und ob allein die 1,4 Milliarden Chinesen den Ausschlag geben würden, weil militärisch nur ein Bruchteil von ihnen umgebracht werden kann. Da verselbständigen sich zusehends die technisch-militärischen Aspekte gegenüber der Priorität der politischen Ziele und der notwendigen Gewinn- und Verlustrechnung des Generals von Clausewitz.

Als Kolonialbesitz noch "selbstverständlich" war

Als ein bis heute warnendes Beispiel, wie leicht die politische Lage außer Kontrolle geraten kann, sei hier an die Beziehungen zwischen den USA und Japan Ende der 1930er-Jahre erinnert. Als die Japaner nach einem inszenierten Attentat 1931 in China einmarschierten und den Vasallenstaat Mandschukuo errichteten, war Kolonialbesitz in Europa, aber auch für die USA, noch eine Selbstverständlichkeit.

Aber die japanische Expansion bedrohte eben diese Selbstverständlichkeiten, in Burma und Malaya für die Briten, in Indochina für die Franzosen, in Indonesien für die Niederländer und in den Philippinen für die USA. Zur Erinnerung: US-Präsident Roosevelt bewilligte 1934 zwar die Unabhängigkeit der Philippinen, allerdings mit einer Übergangsperiode von zehn Jahren.

China, unterstützt von den USA, das dem Regime von Chiang Kai-Schek den Rücken stärkt, ruft wegen der Mandschurei-Annexion den Völkerbund an, der sie ohne weitere praktische Folgen verurteilt, was 1933 zum Austritt Japans führt. Die USA, weiterhin in den Philippinen engagiert, stehen diplomatisch für das Selbstbestimmungsrecht Chinas ein und erklären in der Hoover-Stimson Doktrin, dass Mandschukuo nicht anerkannt werden darf.