Pandemischer Hass: Worte wie Angriffswaffen

Hassreden begleiten die Geschichte der Menschheit. In jeder Epoche trugen sie substanziell dazu bei, dass gesellschaftliche Verwerfungen und sogar Kriege entstanden. Über ein Jahrtausendphänomen.

Nach jeder Gewalttat die immer gleiche Frage: Wie konnte es so weit kommen? Eine berechtigte Frage nach Ursachen und Motiven, doch mit beträchtlicher Vermeidungsstrategie im Gepäck. Der mit dieser Frage umschiffte unangenehme Befund hinsichtlich unserer Lebenswirklichkeit lautet: Es war schon immer so. Hasssprache und Gewalt waren von jeher in einer verhängnisvollen Mesalliance miteinander verbunden.

Seit Individuen und Gruppen begannen, den Umgang miteinander einzuüben und zu pflegen, bildete sich auch die affektgeladene Sprache des Hasses aus. Diese stand nicht nur im Zentrum antiker Imperien, sondern durchtränkt auch die Demokratien der Gegenwart mit ihrem gesellschaftlich zersetzenden Gift.

Hassreden waren und sind diskursive Begleiter des politischen Handelns, doch erst an markanten Wendepunkten und in Krisen, wie etwa Pandemien und Kriegen, werden sie virulent. Zunächst sind es weite und verschlungene Sprachwege, auf denen die rhetorische Sprachgewalt allmählich beginnt, in Gewalt durch Sprache umzuschlagen. Dann beginnen die verbalen Distanzen, jene von der Vereinfachung zum Vorurteil und vom Angstbild zur Feindbildrhetorik, kürzer und erratischer zu werden.

Das Archaische der Sprache

Der latente Hass, durch Sprache gleichsam aufgeweckt und in hasserfüllten Sprachentgleisungen manifest, bleibt jedoch nicht in der Dimension des Textes stehen. Am Höhepunkt der Hassrede können die Grenzen des Diskursraumes zu jener Dimension hin durchbrochen werden, in der das Archaische aus der Sprache hervorbricht und die Tat das Wort überschreitet.

Dieser qualitative Sprung vom Wort zur Tat basiert auf Vorgängen von sich gegenseitig verstärkenden Sprechakten, auf kumulativen Effekten semantischer Auf- und Überladungen sowie aus diesen ableitbaren Handlungsanweisungen. In einem dergestalt aufbereiteten Diskurs reicht der sprichwörtliche Funke aus, um von der geistigen Brandstiftung zur Katastrophe eines realen Flächenbrandes zu gelangen. Erst dann setzt kollektives Erschrecken ein, samt reflexartigem Fragen, wie es dazu kommen konnte.

Bereits Demokrit wusste: "Das Wort ist der Schatten der Tat." Ein Schatten, der je nach Lichteinfall hinter der Tat zurückbleibt oder dieser vorauseilt. Hassreden haben Vorbereiterfunktion, die zwar an stabilen gesellschaftlichen Strukturen abprallen, jedoch entlang der vulnerablen Bruchlinien einer Gesellschaft massiven Schaden anrichten.

An den verwundbarsten Stellen der Cleavages (Konfliktlinien) verrichtet die Sprache des Hasses ihr zerstörerisches Werk, indem sie etwa schutzbedürftige Gruppen noch weiter verletzt. Wie ein Virus nistet sie sich in jenen Bruchstellen ein, wo das niedrigste gesellschaftliche Immunitätsniveau herrscht.

Grammatik der Gewalt

Auf diffuse Weise richtet sich Hatespeech zwar auch gegen das sogenannte Establishment und die gesellschaftlich Starken, in erster Linie praktiziert sie jedoch Ausschließung und lenkt ihre negative Intensität gegen bereits Ausgegrenzte und fundamental Andere. Deren Bemühen um Anerkennung wird durch Verbalradikalismen brachial durchkreuzt.

Die stereotypisierende, herabwürdigende Grammatik und Syntax der Gewalt stellen dann als Sprachhandlung den Entzug von Wertschätzung dar, gefolgt vom Aberkennen von Identität und dem Infragestellen von Authentizität. An solchen vulnerablen Punkten greift die Hasssprache an und gefährdet das Verhältnis der verbal attackierten Individuen zum je eigenen Selbst; von der Selbstachtung über das Selbstverständnis bis hin zum Identitätsbewusstsein.

Die durch Hasssprache hervorgerufenen Verletzungen, Demütigungen und Stigmatisierungen ziehen vielfach schwere Schädigungen des Selbstverhältnisses nach sich. Und im drastischen Fall, wie kürzlich bei einer österreichischen Ärztin, den Tod.

Wenn das Performative anhebt und der Hass zu sprechen beginnt, besteht für feinhörige Adressaten von Hassbotschaften akute Verletzungsgefahr, denn "Worte sind auch Taten" (Ludwig Wittgenstein). Die Destabilisierung der filigranen Anerkennungsverhältnisse ist das Primärziel der Hasssprache, in allen ihren analogen und digitalen Ausformungen, den Regeln einer Ökonomie der Gewalt folgend.

Zusätzliche Sprachbedrohungen entstehen im weiten Bereich der Social Media, in denen die Sprache zunehmend in die Armut der Verkürzung verfällt. Diskussionen degenerieren zu kurzen Scheingefechten. Im Zentrum des Shitstorms dominieren das Niedrige, das Vulgäre und das Fanatische den Diskurs.

Kaum ein Rassismus erscheint zu obszön, um nicht geteilt zu werden, kaum ein Gerücht zu abstrus, um nicht Eingang in einen Kurztext zu finden. Große Teile der Gesellschaft drohen, mitten im digitalen Fortschreiten zu resignieren und der Vulgarität das Siegespodest zu überlassen.

Bedauerlicherweise gedeiht die Hassrede auch im Nahebereich des Politischen prächtig. Besonders Staaten mit autoritären und illiberalen Regierungen oszillieren zwischen sprachlichen Sonderdeformationen, offenen Lügen und plebiszitärer Demagogie. Die kultivierte Gegenrede und das Argument wirken gegen schneidende Hatespeech langatmig und mühsam, erklärend und begründend. Dieser wirkungspsychologische Nachteil macht den Verbalradikalismus und seine Eskalation zur Hassrede für bestimmte Politcharaktere, von Budapest bis Brasilia und Kürze vielleicht wieder Washington, so attraktiv.