Mit Vollgas in die Stagflation

Die deutsche Wirtschaft stagniert schon, die Probleme der US-Wirtschaft werden als "technische Rezession" lackiert und die britische Notenbank stimmt das Königreich auf eine zähe Rezession ein.

Nun ist es wieder einmal so weit: Auch Deutschland befindet sich wieder einmal auf Rezessionskurs. Das "Bruttoinlandsprodukt stagniert im 2. Quartal 2022", hat das Statistische Bundesamt (Destatis) gerade mitgeteilt und das ist noch die gute Nachricht, denn in Zukunft wird es schrumpfen.

"Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) war im 2. Quartal 2022 gegenüber dem 1. Quartal 2022 – preis-, saison- und kalenderbereinigt – unverändert (0,0 %)." Damit fügt sich Deutschland in die Reihe der Staaten ein, deren Wirtschaften schon schrumpfen oder noch stagnieren.

Und, um es schon hier vorwegzunehmen, wir sprechen hier über den Zeitraum zwischen April und Juni, also über einen Zeitraum, in dem weiter Geldschwemme im Euroraum geherrscht hat und die Zinsen noch immer bei null Prozent lagen. Wie Telepolis-Leser wissen, hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen erst kürzlich zum ersten Mal seit 14 Jahren erhöht. Das geschah also gut sechs Wochen nach Beendigung des 2. Quartals. Erst dann wurde die Nullzinspolitik zaghaft aufgegeben.

"Weiter so" mit der Geldschwemme

Die Geldschwemme geht trotz allem weiter. Die Geldmärkte werden durch Ankäufe von Staatsanleihen weiterhin von der EZB geflutet, um einer neu aufkeimenden Schuldenkrise zu begegnen. Damit wird die angebliche Inflationsbekämpfung umgehend wieder von der Frankfurter Lagarde-EZB konterkariert und damit praktisch fast unwirksam.

So zeigt sich, dass die starke Rezessionstendenz längst da war, ohne dass Kredite durch erhöhte Leitzinsen verteuert wurden. Man musste kein Experte sein, um eine Rezession, die angesichts hoher Inflationsraten zur Stagflation wird, vorhersagen zu können, wie an dieser Stelle im Oktober 2021: Das Gespenst der Stagflation ist zurück. Dass sich der gefährliche Sturm nun definitiv zusammenbraut, war ab dem Frühjahr absehbar.

Die schlechte Nachricht

Es wird, das ist die schlechte Nachricht für Deutschland und die Eurozone, demnächst ungemütlich, weil die EZB viel zu lange die Straffung der Geldpolitik verschlafen hat oder verschlafen wollte, um die extrem ausufernden Verschuldungen der Staaten zum Teil weginflationieren zu können.

Deshalb trifft die kommende Rezession nun auf eine hohe Inflationsrate. Die gibt die europäische Statistikbehörde Eurostat im Euroraum für Juli schon mit 8,9 Prozent an. In Deutschland haben Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket zuletzt dafür gesorgt, dass die Teuerung wieder unterdurchschnittlich war. Sie ist langsamer von 8,2 auf 8,5 Prozent gestiegen.

Lassen wir uns von der Destatis-Zahl von angeblich 7,5 Prozent nicht verwirren, denn die deutschen Statistiker benutzen mit dem "Verbrauchpreisindex" (VPI) einen noch aufgehübschteren Index als den etwas vergleichbareren "Harmonisierten Verbraucherpreisindex" (HVPI), den Eurostat verwendet. Die Unterschiede haben wir schon mehrfach herausgearbeitet.

Klar ist, wie am Beispiel Großbritannien aufgezeigt, dass die reale Inflation für Menschen mit geringem Einkommen bereits zweistellig ist. Denn sie müssen einen besonders großen Anteil ihres Geldes für Energie und Lebensmittel ausgeben, bei denen die Preise im Jahresvergleich sogar um bis zu 42 Prozent gestiegen sind.

Die Löhne

Da die Löhne in den vergangenen Jahren aber kaum gestiegen sind, entzieht die hohe Inflation den Verbrauchern immer mehr Kaufkraft, nachdem Sparer schon durch die Nullzinsphase schleichend enteignet wurden. Dass die Kaufkraft sinkt, musste sogar Destatis schon für das erste Quartal 2022 einräumen.

Obwohl in Wiesbaden mit einer stark aufgehübschten VPI-Inflation gerechnet wird, seien die Reallöhne im Vergleich zum Vorjahresquartal zurückgegangen, so die Statistikbehörde. Real ist der Wert längst deutlich höher und der Kaufkraftverlust nimmt angesichts einer immer weiter steigenden Inflation weiter an Fahrt auf.

So muss man sich wahrlich nicht wundern, wenn der Konsum in Deutschland deutlich zurückgeht. Es ist deshalb falsch, wenn die Schweizer Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet, dass sich "die Konsumenten inzwischen deutlich zurückhalten". Nein, den Konsumenten halten sich nicht zurück, ihnen fehlt schlicht inzwischen das Geld für den Konsum.

Auch deshalb verweisen wir hier immer wieder darauf, dass hohe Tarifabschlüsse in der Stagflation eine stabilisierende Wirkung auf die Wirtschaft haben. Die 1970er Jahre haben gezeigt, wie abstrus das Gerede von einer Lohn-Preis-Spirale ist. Deshalb waren zum Beispiel die Lohnforderung der Lufthansa-Beschäftigten richtig und es war der Konzern, der zunächst mit der Unnachgiebigkeit den Streik provozierte und sich und der Wirtschaft Schaden zugefügt und die Passagiere verärgert hat.

Wie geht es weiter mit der Inflation?

Klar ist für die breite Masse der Bevölkerung aber auch, dass angesichts der absurden Geldpolitik der EZB bestenfalls eine Stabilisierung der Inflation auf hohem Niveau zu erwarten ist, weshalb angesichts von hohen Energierechnungen im Winter längst auf die Konsumbremse getreten wird. Dazu kommt die beschlossene Gas-Umlage, die weiter für große Unsicherheit sorgt, da wieder einmal zur Firmenrettung angetreten wird.

Leider ist aber sogar zu erwarten, dass sie Inflation noch deutlich ansteigt, weil die EZB weiter keine klare Politik zur Inflationsbekämpfung einleitet. Das führt auch weiter zu negativen Wechselkurseffekten, wie wir sie zum Beispiel hier beschrieben haben. Denn Energie wird in US-Dollar bezahlt.

Ein schwacher Euro verteuert nämlich Energie sogar dann weiter, wenn Öl- oder Gaspreise stagnieren oder leicht sinken. Es war schon länger absehbar, dass der Euroraum mit dieser Politik der Realitätsverweigerung in die Stagflation rauschen würde.

Richtig stellt die NZZ aber fest, dass ein fallender Konsum meist in eine Rezession mündet. Angesichts der Tatsache, dass die Umsätze im Einzelhandel im Juni sogar um 8,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat so stark eingebrochen sind, wie es nie zuvor festgestellt worden war, zeigt dies das enorme Rezessionspotential in Deutschland an. Destatis stellt mit 1,6 Prozent (preisbereinigt) auch den "größten Rückgang zum Vorjahresmonat seit Beginn der Zeitreihe 1994" fest.

Hier sei erneut betont: Auch das sind Zahlen aus dem Juni, also bevor Mitte Juli die EZB die Zinsen erhöht hat. Auch diese sehr negative Entwicklung in der deutschen Wirtschaft kann nicht auf die zaghafte Zinserhöhung der EZB geschoben werden, auch wenn wir das in der Zukunft mit großer Sicherheit allüberall hören werden.

Die NZZ wirft einen vergleichenden Blick auf die Schweiz: "Corona, der Ukraine Krieg und die drohende Energieknappheit scheinen hierzulande die Menschen nicht daran zu hindern, ihr Geld weiterhin auszugeben." So verweist die Zeitung darauf, dass die Einzelhandelsumsätze sich im Juni gegenüber dem Vorjahresmonat real sogar um 1,2 Prozent erhöht haben und nicht um fast neun Prozent eingebrochen sind.

Dass die vermutlich wenig mit den der obigen Aufzählung zu tun hat, sondern viel mit der Inflation und der abstrusen EZB-Politik, sagt die NZZ aber nicht. Es ist schon fast lustig, wenn die Eidgenossen von einer "unverändert hohen" Inflation sprechen, die stagnierende 3,4 Prozent beträgt.

Dazu trägt ein starker Schweizer Franken genauso bei wie ein anderer Energiemix mit viel erneuerbarer Energie. Interessant ist aber auch, dass sich Nahrungsmittel in der Schweiz nur um rund zwei Prozent verteuert haben, weil die Einkäufe im Ausland über den starken Franken ebenfalls günstiger ausfallen. Auch der Euro wäre stärker, würde die EZB eine andere Geldpolitik machen.