Idylle mit braunen Flecken: Strategien völkischer Siedler

In strukturschwachen Gebieten kaufen völkische Siedler günstig Land. Symbolbild: Foto Fitti / CC-BY-SA-3.0

Ein bisschen Heimat, ein bisschen Handwerk, ein bisschen "Zurück zur Natur"? Was in manchen Fällen wirklich dahinter steckt, ist nicht harmlos. (Teil 1)

Rechte Landnahme durch Völkische Siedler ist ein brennend aktuelles Thema. Laut Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke versuchen rechtsextreme und völkische Gruppierungen und Parteien seit Längerem, im ländlichen Raum Fuß zu fassen. Der Bundesregierung sind insbesondere in den nord- und ostdeutschen Ländern Siedlungsschwerpunkte von Rechtsextremisten bekannt.

So richtig ist Thema noch nicht in Politik und Medien angekommen, aber einige Institutionen wie die Bundeszentrale für politische Bildung, die Evangelische Akademie der Nordkirche, die Heinrich Böll Stiftung, das Bundesamt für Naturschutz und die Amadeo Antonio Stiftung, kümmern sich darum; und die Journalisten Andrea Röpke und Andreas Speit haben im November 2021 mit "Völkische Landnahme. Alte Sippen, junge Siedler, Rechte Ökos" eine gründliche Bestandsaufnahme der Szene vorgelegt.

Außerdem hat Bernhard Schlink im Oktober 2021 den Roman "Die Enkelin" veröffentlicht: Ein alternder Buchhändler findet heraus, dass seine verstorbene Ehefrau eine Tochter hatte. Diese lebt nun in einer völkischen Gemeinschaft und erzieht ihre eigene Tochter im rechtsextremen Gedankengut. Bemerkenswert auch die im Jahr 2017 erschienene Autobiographie von Heidi Benneckenstein, "Ein deutsches Mädchen". Benneckenstein war unter Alt- und Neonazis aufgewachsen und mit 19 Jahren ausgestiegen.

Zwei Themen sind besonders interessant: Das Verhalten solcher Siedler gegenüber der nicht-völkischen Dorfgemeinschaft und die teils religiöse beziehungsweise esoterische Begründung ihrer Ideologie(n).

Laut Röpke und Speit bestehen inzwischen in "nahezu allen Bundesländern Ansiedlungen von Rechten, die gemeinsam ihre Kinder erziehen, sich vor Ort ökonomisch, sozial und politisch vernetzen".

Aus Gemeinschaft und Vernetzung folgt aber nicht für alle derselbe Lebensstil: Die Menschen in manchen Siedlungsprojekten leben eher abgeschottet, fast sektenhaft, andere dagegen suchen Anschluss an bestehende Dorfgemeinschaften, um eine Art kulturelle Hegemonie im ländlichen Raum zu erlangen.

In vielen solcher Gemeinschaften geht es nicht nur um Politik, sondern auch um das Jenseits. Viele lehnen aber gerade das Christentum ganz explizit ab und haben demgegenüber einen Hang zur Esoterik. Wobei man natürlich ohnehin fragen muss, ob Völkisch-Rechtsradikale nicht ganz grundsätzlich mit ihrer Verherrlichung von Blut und Boden, Volk und Heimat einen Hang zur Esoterik haben – ist Esoterik vielleicht sogar eine notwendige Bedingung für Völkisches Denken, geht es gar nicht ohne?

Drei Weltanschauungsgemeinschaften sollen hier beispielhaft vorgestellt werden.

Der Artamanen-Orden

Die Artamanen sind eine ziemlich alte Gemeinschaft. Die Bewegung formierte sich im Jahr 1924, gründete sich formal 1926 und wurde 1934 aufgelöst. Bis dahin hatte sie etwa 25.000 Mitglieder. Artamenen setzten die Natur gegen die Stadt, 1930 hieß es in den Artam-Blättern:

Vaterland – wir haben heute ein Sklavenland, ein Kerkerland. Land – wer denkt heute noch vom Land, vom heiligen Boden, vom verheilen Blute hier in dieser entwurzelten, entrassten, stadtversteinten Zeit.


Zitiert in: Nils M. Franke / Die Natur des rechtsextremistischen Lebensstils – Eine kritische Analyse

In den Städten mischte sich die Bevölkerung und die "Rassen" verschwanden, die Artamanen dagegen wollten "heiles Blut" auf "heiligem Boden", das schien ihnen nur auf dem Land möglich. Dort aber fürchteten sie sich vor polnischen Landarbeitern auf ostdeutschen Gütern.

Dem wollten sie begegnen, indem sie zunächst selbst Hilfsarbeiter werden und dann Höfe übernehmen und damit die Grenze sichern wollten. Dabei wurden sie von der preußischen Regierung und von Adligen unterstützt, bis im Jahr 1929 etwa 2000 "Artamanen" auf 300 Gütern arbeiteten.

Ein junger Mann konnte zwei Jahre arbeiten und durfte sich dann gegebenenfalls Artamane nennen. Dann musste er sein Leben lang Mitglied bleiben und konnte nur vom Bund selbst ausgeschlossen werden. Er bekam einen Hof, den er vererben durfte und musste jedes Jahr 120 Reichsmark abgeben. Davon wurde neues Land gekauft.

Bis Mitte der 1930er-Jahre bewirtschafteten Artamanen sechs landwirtschaftliche Großbetriebe mit insgesamt 1600 Hektar Land in Form von 71 kleinbürgerlichen Hofstellen. Ein Gut namens Koppelow war das größte mit 750 Hektar und 25 Hofstellen. Schon 1934 wurde ein Teil der Artamanen in den von der SS extra geförderten Landdienst der Hitlerjugend übernommen, der andere Teil kam zum Reichsbauernführer Walter Darrés.

Schon Armin Mohler hat in "Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932: ein Handbuch" über die Artamanen geschrieben. Man kann Mohler sicher einiges vorhalten, aber er dürfte das Phänomen treffend beschrieben haben, in jedem Fall ist seine Perspektive kurz nach Kriegsende interessant. Er zählt die Artamanen zu den so genannten "Bündischen" wie etwa die "Deutsche Freischar" oder "Adler und Falken". Er schreibt, in Bünden finde sich "die Jugend aus eigenem Antrieb und unter einer den eigenen Reihen entstammenden Führerschaft zusammen, um sich ein eigengewerbliches Leben außerhalb der zu festen Formen erstarrten Welt der Erwachsenen zu schaffen".

Wenn die Bündischen auch nicht unmittelbar in die Politik eingreifen, so üben sie doch mittelbar von unsern fünf Gruppen die relativ stärkste Wirkung innerhalb der politischen Wirklichkeit aus.


Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932: ein Handbuch; in einem Band. 4. Auflage Darmstadt 1994

Ende der 1920er-Jahre sollen die verschiedenen Bünde 50.000 bis 60.000 Mitglieder gehabt haben. Zwar scheint das als wenig gegenüber den Massenparteien. Aber:

Ein erheblicher Teil der Bündischen gehört jedoch einer Elite an, die später manche Führungsaufgaben übernimmt und eine gewisse 'bündische' Prägung auch in völlig veränderter Umgebung nie ganz verliert. Die 'bündische Jugend' ist in Deutschland der Zwischenkriegszeit eine der wenigen Gemeinschaftsformen, die einen Typus zu prägen vermögen.

Die explosive Kraft, welche dem Bündischen innewohnt, ist nicht leicht zu umschreiben. Sie entspringt dem Gefühl und findet nie endgültige Festlegung in einem Programm oder einem Versuch philosophischer Grundlegung.


Mohler , S. 153 f.

Mohler sieht die Auflösung und Überführung solcher Bünde in die Hitlerjugend als einen Schlag des nationalsozialistischen Staates gegen diese Bünde. Das ist sicherlich eine Interpretationssache. So waren nämlich Rudolf Höß und Heinrich Himmler Artamanen. Höß baute das Vernichtungslager Auschwitz auf und leitete es, Himmler war einer der Hauptverantwortlichen des Holocaust.

Außerdem hat der Bund sich nicht völlig aufgelöst. Anfang der 1960er-Jahre, vor der Gründung der NPD, sollte ein neuer Artamanenbund als Arbeitsdienst entstehen. Das klappte nicht, aber im Jahr 1965 bildete sich der "Freundeskreis der Artamanen", erst ehemalige Mitglieder, dann wuchs der Kreis auf etwa 700 Menschen an, und ab 1989 konnte man ja wieder im Osten neu siedeln. Ein paar Familien zogen in die Nähe von Koppelow, kauften einen alten Artamanenhof, bewirtschafteten ihn mit ökologischer Landwirtschaft, und übten alte Berufe aus wie Kunstschmiede oder Buchbinder.

Der deutsche Verfassungsschutz beobachtete die Artamanen bis zu Beginn der Nuller Jahre. Im Jahr 2005, so Röpke und Speit, habe die Junge Freiheit über den Zuzug einiger Artamanen in die Gegend von Teterow und Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern berichtet, heute seien sie vor Ort angekommen, sähen aus wie alternative Aussteiger, seien in regionalen Bio- und Ökoproduktnetzwerken aktiv, übten alte und oft seltene Handwerke aus, und in der sachsen-anhaltischen Provinz gebe es ein "Versandhaus Artam" und eine Stickerei "Artam".

Die Artgemeinschaft

Die "Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." (AG-GGG)." ist nach eigenen Angaben "die größte heidnische Gemeinschaft Deutschlands" und zählt auch Mitglieder in "anderen germanischen Völkern". Sie wurde 1951 gegründet und schloss sich 1965 zusammen mit der schon 1928 gegründeten Nordischen Glaubensgemeinschaft e.V., die sich 1954 in Nordisch-religiöse Gemeinschaft umbenannt hatte.

Sie bezeichnet sich als heidnisch, aber schon die Namen weisen auf zweierlei hin, erstens Esoterik und zweitens Rassismus. Beides geht auch aus der Website hervor. Ebenso wie Antisemitismus. Einige Zitate:

Germanischen Heiden gebietet das Sittengesetz in uns 'gleichgeartete Gattenwahl', weil es die beste Gewähr für ein harmonisches Leben zu zweit und die Geburt gleichgearteter Kinder ist.

Heidnische Familien sind […] oftmals 'kinderlieb' und, wenn es die Umstände erlauben, auch 'kinderreich' – was unseren Einfluss in unserem Volk eines Tages erheblich verbessern wird.

Folglich ist auch 'der Gott', der aus den jüdischen Büchern abgeleitet wird, keine geschichtliche Tatsache als Sprecher eines 'Wortes' – sondern er ist ein Gedankengebilde der jüdischen seeleenhaltung [sic]. 'Jahweh' (so heißt der Gott der Juden) ist also keine Wirklichkeit, sondern nur die Antwort auf die Frage: Wie stellt sich der Jude die Welt vor, wie schaut er sie an? 'Jahweh' ist die jüdische Weltanschauung!

Und deshalb ist auch 'der Gott' des Christianismus nichts anderes als "jüdische Weltanschauung" – weil geschichtlich unwiderleglich bewiesen ist, daß der Christianismus sich vom Judentum grundsätzlich in garnichts unterscheidet, sonder nur 'Judentum für Nichtjuden' ist.

Probleme […], die dem Heidentum und unserer ganzen Menschenart vom Christentum, vom Judentum und neuerdings vom Islam mit seinen aggressiven Ausbreitungstendenzen in unserem Land bereitet wurden und zunehmend werden.

Schon diese wenigen Zitate zeigen Antisemitismus, Islamhass, Anti-Christianismus, Rassismus sowie den Glauben, dass man zu einer überlegenen Rasse gehöre und sich einst durchsetzen werde.

Die Anastasia-Bewegung

Die Abgeordneten der Partei Die Linke schrieben in der obengenannten Anfrage an die Bundesregierung, der Kreml hofiere die Anastasia-Bewegung offiziell als "Familienlandsitzbewegung", und es scheine gute und intensive Kontakte zwischen Anhängern und Mitgliedern der Artgemeinschaft und der Anastasia Bewegung zu geben.

Diese Bewegung geht zurück auf den russischen Autor Wladimir Megre. Dieser hat eine zehnbändige Romanreihe verfasst – Protagonistin ist eine Frau namens Anastasia. Sie stammt aus der russischen Taiga und lebt allein in der Natur. Sie ist allwissend, kann heilen, alle Sprachen sprechen und mit Tieren kommunizieren, und sie hat übersinnliche Fähigkeiten. Und sie offenbart Herrn Megre die wahren Hintergründe des Weltgeschehens. Außerdem offenbart sie ihm, wie man "rein" werden kann: Jede Familie soll in Autarkie auf ihrem eigenen Familienlandsitz leben.

In den 1990er-Jahren hat sich auf die Ideale beziehungsweise die Ideologie dieser Buchreihe in Russland die Anastasia-Bewegung formiert, seit ein paar Jahren findet sie auch in Deutschland Anhänger. Sie versuchen vor allem in Ostdeutschland, günstiges Land zu kaufen, Familienlandsitze und Schulen zu gründen. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei gibt es 600 bis 800 Angehörige der Bewegung in Deutschland.

Laut Röpke und Speit gibt es in Deutschland inzwischen zwölf Anastasia-Gruppen, die sich unter verschiedenen Namen vernetzt haben, mindestens zwei von ihnen – "Goldenes Grabow" und "Weda Elysia" aus Sachsen-Anhalt – verfügten über Kontakte ins völkische Lager.

Weda Elysia hat eine eigene Website, auf der sie sich als eine "Gärtnerhof-Kleinsiedlung für FamilienStammesLandsitze im Harz" bezeichnet. Die Weda Elysia Heimatstiftung hat nach eigenen Angaben vor ein paar Jahren die damals abrissreife "Dorfschenke" und den dazugehörigen Baugrund "in Obhut" genommen.

Zu ihr gehört ein Verein namens Lindenquell, der in seiner Selbstdarstellung schreibt: "Ziel des Lindenquell Vereins ist ein achtsames Miteinander und Füreinander auf kultureller und gemeinschaftlicher Ebene in Zusammenarbeit mit der Dorfgemeinschaft Wienrode und darüber hinaus. Zu diesem Zweck betreibt der Lindenquell Verein das Haus Lindenquell und baut dieses als kulturelles Zentrum auf."

Weiter heißt es dort: "Der Lindenquell Verein ist politisch unabhängig und frei. Er unterliegt ausschließlich seiner eigenen Verwaltungsordnung."

Aber irgendetwas ist seltsam und lässt stocken. Zuerst fällt nur auf, dass alle Frauen Röcke oder Kleider tragen. Und im Webshop kann man nicht nur Lebensmittel, handwerkliche Produkte und Bücher darüber kaufen, wie man Nahrung anbaut und haltbar macht, sondern auch Anastasia-Bücher und CDs. Aber wenn man das Faltblatt für die Anfrage einer Mitgliedschaft herunterlädt, sieht man etwas andere Vereinsziele als auf jenen Internetseiten, die auf den ersten oder zweiten Blick zugänglich sind:

Die Vereinsziele werden insbesondere umgesetzt durch:

Förderung der Brauchtumspflege (Volkstanz und -gesang)

Förderung von Theater, Kunst, Kultur und Sport

Förderung eines umfassenden altersübergreifenden Bildungsangebotes

Förderung von traditionellem Handwerk

Förderung regionaler kleinbäuerlicher Landwirtschaft und der Versorgung mit regionalen und gesunden Lebensmitteln

Im Faltblatt heißt es:

Was fördert der Heimatverein Lindenquell e.V.? Diese Themenfelder sind unsere Herzensanliegen:

Heimatbewusstsein und Traditionsbelebung

Gemeinschaftssinn und Brauchtumspflege

Bildung, Kultur und altes Handwerk

Familie, Jugend und Gesundheit

Weiterhin ist dort zu lesen:

Der Heimatverein Lindenquell e.V. betrachtet sich als Schaffensraum für jene Mitbürger, die, wie wir, in Selbstbestimmung die heimatlichen Traditionen, das Brauchtum, unsere deutschen Werte und Tugenden wieder pflegen und beleben möchten.

Wir möchten die Kräfte und den Willen jener bündeln, die erkannt haben, daß die derzeitige Konsumgesellschaft uns betäubt und entfremdet. Wir sehen es als unsere generative Pflicht, daß auch die Jugend wieder unsere jahrtausendealte heimatliche Kultur und die daraus gewachsenen Werte unseres Volkes schätzen lernen kann.

Heimatbewusstsein, Selbstbestimmung, deutsche Werte und Tugenden, Kräfte und Willen bündeln – da dürfte sich um "Dog-Whistle-Politics" handeln: Eine Hundepfeife klingt auf einer Frequenz, die der Mensch nicht hört. Aber der Hund hört sie. Dementsprechend bezeichnet eine Hundepfeifen-Politik eine Aussage oder Handlung, die harmlos scheint, aber für eingeweihte Kreise eine andere Bedeutung hat. Es ist eine codierte Sprache. Umwelt- und Naturschutz, Kultur, Handwerk und Brauchtum sind Bereiche, in denen rechte Weltanschauungsgemeinschaften eine solche Politik betreiben.