Inflation: Zwei von drei Haushalten werden kaum über die Runden kommen

Im Herbst könnte die Inflation in Deutschland zweistellig werden, was sie das letzte Mal vor 70 Jahren war. Um über die Runden zu kommen, müssen dann viele Haushalte ihre Rücklagen angreifen.

Die Inflation bringt viele Menschen in Deutschland an ihre finanziellen Grenzen und vor diesem Hintergrund dürften die Herbstmonate für sie eine besondere Herausforderung werden. Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, geht davon aus, dass die Teuerungsrate dann zweistellig werden könnte.

In der Rheinischen Post machte Nagel die historische Dimension dieser Entwicklung deutlich: "Zweistellige Inflationsraten wurden in Deutschland das letzte Mal vor über siebzig Jahren gemessen". Im vierten Quartal 1951 lag sie demnach bei elf Prozent.

In ihrem aktuellen Monatsbericht geht die Deutsche Bundesbank davon aus, dass die Inflation ab September deutlich steigen dürfte. Ein Grund dafür ist das Auslaufen des Tankrabatts und des Neun-Euro-Tickets.

Der vorübergehende Verzicht auf die Steuern auf Kraftstoffe hat die steigenden Ölpreise überdeckt. Nun schlagen sie wieder voll durch. Hinzu kommt die Abwertung des Euros gegenüber dem US-Dollar, welche die Energiepreise weiter steigen lässt.

Als weitere Faktoren für den Anstieg der Inflation nennt die Deutsche Bundesbank: den gesetzlichen Mindestlohn, der ab Oktober auf zwölf Euro angehoben wird und für einen "zusätzlichen Kostendruck" sorgt; und die Gasumlage, die ab Oktober eingeführt wird.

Sparen ist für viele nicht möglich

Für einen Großteil der Bevölkerung könnte das weitere Steigen der Inflation schwerwiegende Folgen haben. "Wir rechnen damit, dass wegen der deutlichen Preissteigerung perspektivisch bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte – oder mehr – monatlich für die reine Lebenshaltung werden einsetzen müssen", sagte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), Helmut Schleweis, der Welt am Sonntag (WamS).

Nach dieser Einschätzung würde sich die Zahl derer vervierfachen, die nicht in der Lage sind, Geld zurückzulegen. Laut Sparkassen-Vermögensbarometer vermochten das vor einem Jahr lediglich 15 Prozent nicht.

Im Herbst und Winter dürfte sich nach Ansicht der Sparkassen die Situation von Haushalten mit kleinen und mittleren Einkommen verschärfen. Die angespannte Lage zeige sich bereits beim Überziehen des Girokontos. Wer den sogenannten Dispositionskredit nutze, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken, der schöpfe den Rahmen im Durchschnitt inzwischen "deutlich weiter aus".

Auch die Volks- und Raiffeisenbanken beobachten demnach, dass ihre Kunden einen geringeren finanziellen Spielraum haben. Andreas Martin, Vorstand des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), sagte der Zeitung: "Die hohe Inflation entzieht den Verbrauchern Kaufkraft, dadurch sinkt die Sparfähigkeit".

Noch würden aber viele von der Coronapandemie profitieren: Weil es kaum die Möglichkeit zum Konsum gab, konnten sie sparen – und von den Ersparnissen können sie jetzt zehren. "Der Spitzenwert der Sparquote lag bei rund 16 Prozent im Jahr 2020, für 2022 erwarten wir eine Rückkehr auf das Vorkrisenniveau von elf Prozent", so Martin.

Sich das Alltägliche nicht mehr leisten können, auf Konsum verzichten und nicht sparen können – das wird auch im nächsten Jahr das Leben vieler Menschen begleiten. Der Präsident der Deutschen Bundesbank gibt keine Entwarnung. "Das Thema Inflation wird 2023 nicht verschwinden", so Nagel; aber die Teuerungsrate dürfte dann mit sechs Prozent niedriger sein als in diesem Jahr.

Bundesregierung uneinig über Entlastungen für Bürger

Angesichts dieser Lage müsste die Bundesregierung handeln und die Bürger entlasten. Doch wie das Problem angegangen werden soll, darüber gehen die Meinung in der Regierungskoalition auseinander.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) dringt zum Beispiel darauf, dass ein neues Entlastungspaket gezielt einkommensschwachen Haushalten zugutekommen solle. Der Blick müsse auf diejenigen gerichtet werden, die es besonders benötigten, "natürlich die Transferempfänger, aber das geht ja auch weit in die untere Mittelschicht hinein", sagte sie am Samstag im Deutschlandfunk.

Katja Mast (SPD), Erste Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion im Bundestag, kritisierte in der Bild-Zeitung Aussagen von Finanzminister Christian Lindner (FDP), wonach er spezielle Hilfen für ältere Menschen ablehne. Rentner müssten zu den Adressaten eines neuen Entlastungspaketes gehören, sagte sie.

Lindner hatte seinerseits in der Rheinischen Post argumentiert, Rentner profitierten bereits von gestiegenen Renten, Sonderzahlungen in der Grundsicherung, einem Heizkostenzuschuss, der abgeschafften EEG-Umlage und dem geplanten Ausgleich der kalten Progression.