Nach Scholz-Telefonat: Internationales Rotes Kreuz widerspricht Wladimir Putin

Ukrainische Soldaten. Die Genfer Konventionen gelten wenig. Bild: armyinform.com.ua

Themen des Tages: Wie bewertet das Rote Kreuz Putins Darstellung zum Zugang zu Kriegsgefangenen? Telepolis hat nachgefragt. Wie der Geheimdienst seine (Diskurs-)Macht ausdehnt. Und welchen Angriffskrieg Berlin übersieht.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Nach dem Telefonat zwischen Scholz und Putin am Dienstag unterschieden sich die Erinnerungen an das Gesagte. Und manches war schlichtweg unwahr, wie Telepolis auf Nachfrage herausfand.

2. Wer in Deutschland gegen steigende Energiepreise auf die Straße geht, sollte sich vielleicht erst einmal das Okay von Inlandsgeheimdienst einholen.

3. Und Berlin mag zu einem Aggressor im Kaukasus, der das Nachbarland überfällt, derzeit nichts weiter sagen.

Doch der Reihe nach.

ICRC: Brauchen Zugang zu tausenden Kriegsgefangenen

Es war ja mehr eine Fleißarbeit denn ein journalistisches Werk: Am gestrigen Mittwoch hat Telepolis die Stellungnahmen aus Berlin und Moskau zum 90-minütigen Telefonat zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Russlands Präsident Wladimir Putin dokumentiert. Nun aber doch noch eine kurze Einordnung, denn der Teufel steckt linguistisch und völkerrechtlich in Detail.

Da war zunächst Scholz, der über seinen Sprecher Steffen Hebestreit unter anderem erklären ließ, er, also Scholz, habe im Telefonat mit Putin betont, "dass etwaige weitere russische Annexionsschritte nicht unbeantwortet blieben und keinesfalls anerkannt würden". Heißt jetzt was? Dass die bisherigen Annexionen okay gehen?

So also stellt das Bundespresseamt – in der Vergangenheit Teil des ägyptischen Spionagenetzwerks und derzeit unter anderem Finanzier eines altgrünen Ehepaars – seinen obersten Dienstherren dar. Böse Zungen würden mutmaßen, dass Putin da mitgeschrieben hat. Solchen Spekulationen macht sich Telepolis, um mal die Lieblingsformulierung des beruflich glücklosen Herrn Hebestreit zu bemühen, ausdrücklich nicht zu eigen.

Schlichtweg unwahr aber war eine Behauptung Wladimir Putins. O-Ton Kreml: "Auf eine Frage des Bundeskanzlers antwortete Wladimir Putin, dass Russland im Gegensatz zu Kiew dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz Zugang zu Kriegsgefangenen gewährt."

Wir haben dazu mal mein ICRC in Genf nachgefragt und konnten die Darstellung des Kremls leicht entkräften: "Bislang konnten wir nur Hunderte von Kriegsgefangenen auf beiden Seiten des internationalen bewaffneten Konflikts in der Ukraine besuchen, aber wir wissen, dass es noch Tausende gibt, zu denen wir Zugang brauchen", sagte ICRC-Regionalsprecher Matthew Morris auf Telepolis-Nachfrage.

Will heißen: Auch die Ukraine lässt die humanitären Beobachter zu Kriegsgefangenen vor, verweigert aber, ebenso wie Russland, einen ständigen und freien Zugang zu allen gegnerischen Kombattanten in ihrer Gewalt. Ein klarer Verstoß gegen die Genfer Konventionen. Dazu weiter Morris gegenüber Telepolis:

Wir werden weiterhin Zugang zu allen Kriegsgefangenen fordern, geleitet von unserer humanitären Verpflichtung und unserem Mandat gemäß den Genfer Konventionen. Wir bieten auch weiterhin unsere Unterstützung als neutraler Vermittler an, um Vereinbarungen humanitärer Art zwischen den Parteien zu erleichtern. Im Einklang mit unserem Mandat und unseren Arbeitsmodalitäten tun wir all dies auf bilaterale und vertrauliche Weise.

Die Bedeutung der Rolle des ICRC bei der Wiederzusammenführung getrennter Familien war noch nie so deutlich wie heute. Seit Februar haben wir mehr als 3.200 Familien mit Nachrichten über ihre Angehörigen versorgt. Diese Arbeit gibt den Familien Hoffnung und ist eine unbedingte humanitäre Verpflichtung.

Matthew Morris, ICRC