Habecks Notreserve: Neben AKW Isar 2 ist auch Neckarwestheim 2 unsicher

Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 mit dem Abluftkamin. Foto (2008): Felix König/CC BY-SA 3.0

Atomkraft-Debatte treibt neue Blüten: Sicherheitsmängel bei den Einsatzreserve-AKW in Deutschland. In Frankreich will man Beschäftigte in AKWs höheren Strahlendosen aussetzen, um die Reaktoren ans Netz zu bekommen.

Es sieht nicht gut für den Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, aus. Seine Gasumlage, an der das Energieoligopol mitstricken durfte, um Gewinnprognosen abzusichern, steht mit der nun geplanten Verstaatlichung von Uniper auf der Kippe.

Dazu kommt ein zweiter Unsicherheitsbereich: Der Streckbetrieb bei Atomkraftwerken, den Habeck schließlich zur "Notreserve" umdefiniert hat. Auch bei dieser "Baustelle" wird dem Minister der Vorwurf fehlender Standhaftigkeit und Kenntnisse gemacht.

Dass die Grünen und Habeck in dieser Frage umkippen würden, war vorhersehbar. Wie bereits aufgezeigt, haben sich Habeck und seine Partei von der CSU, die fast ganz allein für den Energienotstand in Bayern verantwortlich ist, aufs Glatteis locken lassen. Und nun schlittern er und seine Partei darauf herum.

Dreh- und Angelpunkte für Habecks geplanten Reservebetrieb sind die Atomkraftwerke Isar 2 (Bayern) und Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg). Sie sollen noch bis Mitte April als Einsatzreserve bereitgehalten werden.

Das hat vor allem mit der geographischen Lage zu tun. Bayern hatte den Netzausbau verhindert. Nun soll über die beiden Meiler im Süden einer möglichen Stromknappheit in Bayern, aber auch in Frankreich begegnet werden. Im Nachbarland musste die Regierung die Bevölkerung schon auf einen Blackout vorbereiten.

Mit Betriebssicherheit und Kapazitäten hat das wenig zu tun. Eigentlich müssten beide Meiler vor einem Weiterbetrieb ohnehin erst einmal gründlich überprüft werden, wie es das Atomgesetz vorschreibt. Denn Sicherheitsüberprüfungen sind alle zehn Jahre notwendig.

Die sind in beiden Fällen aber seit drei Jahren überfällig. Man hat mit Blick auf die endgültige Abschaltung am Jahresende großzügig darauf verzichtet und man geht deshalb jetzt noch größere Risiken ein.

Gefährliche Risse

Wie nötig eine umfassende Überprüfung wäre, drängt sich in Neckarwestheim geradezu auf. Dort sind seit längerem schon mehrere Risse in den Dampferzeugern bekannt, die aber nie behoben wurden. Würde eines der vielen Rohre bersten, abreißen oder brechen, käme es zu einem großen Kühlmittelverlust, der bis zur Kernschmelze führen kann.

An dieser Stelle lässt aufmerken: Erst bei den periodischen Prüfungen wurden in Frankreich gefährliche Risse entdeckt, die zur Abschaltung von bisher zwölf Atommeilern geführt haben. Für die Notreserve in Deutschland will man für hochgefährliche Atomkraftwerke aber auf Sicherheitschecks verzichten, die jedem Autofahrer alle zwei Jahre aufgezwungen werden.

Beim Meiler Isar 2 wurde aktuell bekannt, dass es vermutlich noch weitere Sicherheitsmängel gibt: ein leckes Druckventil sorgt für Schlagzeilen, der Reservebetrieb wird in Frage gestellt. Dazu unten mehr.

Auch beim AKW Neckarwestheim 2 gibt es offenbar Probleme mit der Sicherheit. Die Atomkraftgegner von ausgestrahlt.de haben am gestrigen Mittwoch per Twitter mitgeteilt, dass die geplante Notreserve nicht nur an Isar 2 scheitern könnte, sondern auch an dem Meiler bei Heilbronn: "Über #RissReaktor #Neckarwestheim 2 wird vor Gericht verhandelt: Auch hier stehen die geplante Einsatzreserve und ein eventueller Weiterbetrieb auf der Kippe", so die Aktivisten von ausgestrahlt.de.

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim wird am 14. Dezember 2022 in Anwesenheit von Sachverständigen über die Betriebsgenehmigung des AKW Neckarwestheim-2 verhandeln. Hintergrund sind die gefährlichen Risse (Spannungsrisskorrosion), die sich seit Jahren in großer Zahl im Reaktor bilden. (...)

Nach dem Debakel um das AKW Isar-2, das mit Lecks und fehlender Startfähigkeit kämpft, steht nun beim AKW Neckarwestheim-2 die Betriebsgenehmigung an sich in Frage.

ausgestrahlt.de, Presseerklärung

Man hofft auf einen Erfolg der Klage, da der Betreiber EnBW keine Sicherheitsnachweise dafür habe erbringen können, die ein Bersten, Abriss oder einen Bruch der von Rissen durchzogenen Rohre sicher ausschließen würden. Komme die Klage damit durch, müsse das Umweltministerium den weiteren Betrieb des Riss-Reaktors unterbinden.

"Eine verlässliche Planung eines wie auch immer gearteten Betriebs des AKW Neckarwestheim‑2 in diesem Winter ist damit nicht möglich. Das Wirtschaftsministerium sollte daraus die Konsequenzen ziehen und alle Pläne für eine 'Einsatzreserve' oder einen Weiterbetrieb des Reaktors fallen lassen", fordern Armin Simon von der Anti-Atom-Organisation und Franz Wagner vom Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN) Habeck zum Handeln auf.

Ausgestrahlt.de hatte auch darauf hingewiesen, dass das lecke Druckventil von Isar 2, das für Aufmerksamkeit gesorgt hat, tatsächlich schon das zweite defekte Ventil in diesem Jahr ist:

"Schon im Januar trat ein Ventil-Leck in Isar-2 auf, Eon nahm den Reaktor damals vom Netz."

Umso mehr werfe der Umgang mit dem aktuellen Vorfall Fragen auf: "Um welche Ventile handelt es sich oder ist sogar dasselbe Bauteil betroffen? Wann wurde das aktuelle Leck entdeckt? Kann ein systematischer Fehler und ein Versagen des Alterungsmanagements ausgeschlossen werden?"

Gefordert wird vom Betreiber Eon, dass er die Öffentlichkeit nun endlich umfassend informieren und endlich den tatsächlichen Zustand des Reaktors offenlegen müsse.

Ein langer Brief von Preussen-Elektra

Dass es besser wäre, die Todgeburt der Notreserve so schnell wie möglich zu beerdigen, zeigt ein aufschlussreicher Artikel in der Süddeutschen Zeitung (SZ) auf, der die Widersprüche beim Betreiber deutlich macht.

Ausgeführt wird, dass sich der Chef von Preussen-Elektra, Guido Knott, plötzlich Ende August per Brief an Berlin gewendet habe, um zu erklären, dass in einer "Notsituation" bei "erkennbaren Mangellagen für Strom und Gas" der Atommeiler Isar 2 bereitstehe, um auch über das geplante Abschaltdatum hinaus Strom zu liefern.

Das verwunderte aber sehr, wie der SZ-Artikel ausführt: Die Spitzen des Wirtschafts- und Umweltministerium hatten sich demnach im März bei mit den Chefs der vier Atomkraftbetreiber bei einer Telefonkonferenz zusammengeschaltet. Es ging um eine "mögliche Verlängerung der Atomlaufzeiten".

Auch Eon-Chef Leo Birnbaum zum Beispiel dabei gewesen, da Preussen-Elektra eine Eon-Tochter ist, sei Birnbaum Chef von Guido Knott. In einem "final abgestimmten Protokoll" sollen die Konzernchefs vor allem Bedenken geäußert haben, wie die Zeitung berichtet.

"Die Idee etwa, die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke noch in einem 'Streckbetrieb' über den Dezember hinaus zu nutzen, verwerfen die Bosse."

Aus dem abgestimmten Protokoll wird klar, dass die Bosse "keinen Mehrwert" erkennen konnten. Sollte länger Atomstrom produziert werden, müsse man vorher weniger erzeugen. "Der Netto-Effekt wäre nahezu null", stellten sie damals noch fest. Sie machten aber zudem darauf aufmerksam, dass man entweder Sicherheitsabstriche hinnehmen, für die sie nicht haftbar gemacht werden wollten, oder nachrüsten müsste.

Im August schreibt Knott dann aber nach Berlin, dass das Atomkraftwerk "bis zum Jahresende mit nahezu voller Leistung" betrieben werden könne und auch danach reiche der Brennstoff noch bis Ende März, "bei langsam absinkender Leistung".

Bei einem Umbau des Kerns käme sogar ein Weiterbetrieb bis August in Betracht und der Umbau benötige nur einen "kurzen Betriebsstillstand". Er fügte sogar an, dass es sich um "Fehlbehauptungen" handele, "dass wir einen Weiterbetrieb nur bei reduzierten Sicherheitsansprüchen ermöglichen können." Das entbehre jeder Grundlage.

Widersprüche

Jetzt stellt sich die Frage, wann der Chef von Preussen-Elektra die Wahrheit umgebogen hat. Denn die Aussagen Ende August stehen im krassen Widerspruch zum Protokoll im März.

Es kommt aber noch besser, wie sich am lecken Ventil zeigen lässt. Nun bestätigt die Firma nämlich viel eher die Einschätzung vom März. Wolle man Isar 2 als Notreserve behalten, müsse der Meiler – wie im Januar schon einmal – nun schleunigst abgeschaltet werden, um die Reparatur noch im Oktober durchführen zu können.

Danach hätten die Brennelemente des Reaktorkerns "eine zu geringe Reaktivität, um die Anlage aus dem Stillstand heraus dann wieder hochzufahren". Von "nahezu voller Leistung" bis zum Jahresende kann also keine Rede sein, vielmehr dürften die deftigen Gewinne den Ausschlag für den Sinneswandel gegeben haben.

Der erzeugte Strom über den Jahreswechsel hinaus ließe sich nämlich teuer verkaufen. Auf die "windfall profits", also zusätzliche vom Himmel fallende Gewinne, will man offenbar nicht verzichten, die über das absurde Merit-Order-Preissystem auch bei der Preussen-Elektra entstehen würden.

"Unverantwortlicher Verfall der Sicherheitskultur in Bayern"

Um aber den Reaktor mit seinen Ventil- und mutmaßlichen Korrosionsproblemen nicht sofort herunterfahren zu müssen, hatte PreussenElektra den bayerischen Behörden und der Bundesregierung sicherheitshalber mitgeteilt, dass vor Ende 2022 eigentlich keine Reparatur notwendig sei, nur für einen möglichen Fortbetrieb im neuen Jahr.

"Um über den 31. Dezember 2022 hinaus für einen Leistungsbetrieb zur Verfügung zu stehen, muss laut PreussenElektra ein Stillstand mit einer Reparatur erfolgen", teilte das Bundesumweltministerium mit.

Auch dem Ministerium fällt der Widerspruch auf und es fügt deshalb süffisant an: "Bisher hatte der Betreiber immer ausgeführt, dass die Anlage bis Jahresende mit nahezu voller Leistung laufe."

Die neuen Angaben enthielten "einige wesentliche neue Fakten" im Vergleich zu jenen, die der Betreiber am 25. August gegenüber dem Bundesministerium für Wirtschaft gemacht habe, die in die Auswertung des Stresstests und seine Bewertung eingeflossen sind.

"Diese müssen nunmehr bei den Planungen für eine Verfügbarkeit des AKW zur Stromproduktion nach dem 31.12.2022 berücksichtigt werden", erklärt das Ministerium nun. Habeck sollte daraus die Konsequenzen ziehen und den Notbetrieb beerdigen.

Für den Atomphysiker Heinz Smital zeige der Vorgang "einen unverantwortlichen Verfall der Sicherheitskultur in Bayern". Mit Aussicht auf ein lohnendes Geschäft habe der Konzern zunächst behauptet, ein sicherer Betrieb sei bis zum Jahresende und darüber hinaus problemlos möglich.

Da ein reparaturbedingter und teurer Stillstand nötig werde, "bezeichnet die Betreiberfirma den Reaktorkern als so abgebrannt, dass ein Wieder-Anfahren des Reaktors ab November technisch nicht mehr möglich sei", twitterte er.

So erwiesen sich auch Aussagen des TÜV-Süd als falsch und für Smital bestätigen die Vorgänge den Eindruck, dass der bayrischen Landesregierung zuvor ein politisches Gefälligkeitsgutachten erstellt wurde, um den Weiterbetrieb zu ermöglichen.

Dass sie auf Nachfrage mauert, welche Personen für das Gutachten verantwortlich sind, weist ebenfalls in diese Richtung. Der Journalist Jürgen Döschner wollte vom Bayerischen Umweltministerium wissen, wer das besagte "Gutachten" über "einen unbedenklichen Weiterbetrieb" von Isar 2 verfasst hat, und wie der genauer Auftrag dazu lautete. Die Antwort: "Abgelehnt"!

Der Atomphysiker Smital fordert: "Der Ventil-Schaden ist sofort zu reparieren. Der Reaktor ist zum Ende des Jahres abzuschalten." Die Ressourcen sollten in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert werden, um die Energiekrise nachhaltig zu lösen.

Dass bei der gefährlichen Atomkraftwerken Sicherheitsfragen oder der Umweltschutz den realen oder mutmaßlichen Energieanforderungen untergeordnet werden, sieht man nicht nur in Deutschland. Wie im Brennglas kann man das seit Jahren in Frankreich beobachten.