Kein Verlass auf den Feind

Der Kriegsgegner soll ruiniert und ihm eine militärische Niederlage bereitet werden. Aber Energie soll er bitte schön in bestellter Menge und so billig wie bisher liefern. Wie irre ist das? Ein Erklärungsversuch.

Bundeskanzler Olaf Scholz kann man einfach nichts vormachen1:

Ich war von Anfang an (er meint den Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar – B.H.) sehr sicher, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass Russland seine Verpflichtungen einhält, was zum Beispiel Gaslieferungen betrifft.

Olaf Scholz

Beeindruckend – wie konnte der Mann das wissen? Zumal in den ersten Kriegsmonaten Russland in gewohnter Menge Gas lieferte. Und das, obwohl Außenministerin Baerbock sofort verkündet hatte, mit drastischen Wirtschaftssanktionen Russland ruinieren zu wollen.

Allerdings waren davon die russischen Gasimporte ausgenommen. Denn das durfte natürlich nicht passieren: Dass der schöne deutsche Kapitalismus auf einmal ohne die nötige Energie dastünde. Zumal es bis dato doch super lief – günstiges und zuverlässiges Gas, mit dem man bestens Gewinne machen konnte; und das unabhängig vom von den USA dominierten Weltenergiemarkt.

Auch außenpolitisch konnte Berlin durch diese Sonderbeziehung Kapital schlagen. Man hatte schließlich mit dem umfangreichen Gaskauf ein Mittel in der Hand, Russland unter Druck zu setzen. Beides – eigenständige Energieversorgung und Erpressungsmöglichkeiten – gefiel jedoch den US-Amerikanern immer weniger. Sie hatten schon gegen das deutsch-russische Erdgas-Röhren-Geschäft Anfang der 1970er-Jahre heftig opponiert.

Nun sollte also der bisherige Geschäftspartner fertiggemacht werden; aber das Erdgas sollte er dennoch weiter liefern zu den alten tollen Konditionen. Oder noch besser kostenlos: Die Sperrung des Zahlungsverkehrs mit Russland und die Weigerung Deutschlands, statt in Euro in Rubel zu zahlen, führte eine Weile sogar dazu, dass das Gas zwar weiter ohne Unterbrechung floss, die Bezahlung jedoch nicht. Das wurde dann später, sicher nicht ohne Zähneknirschen Deutschlands, doch mit in Rubel eingetauschten Euros nachgeholt.

Russische Wirtschaft kaputt – aber fürs Gas liefern soll es reichen

Man kann das deutsche Vorgehen eine Frechheit nennen, naiv, irre oder alles zusammen. Was vom Feind erwartet wurde, war nicht weniger, als dass dieser beim Gas die Feindschaftserklärung ignoriert, aber bei allem anderen sie in aller Wucht bemerkt und zu spüren bekommt. Ein bisschen Wirtschaft in Russland sollte indes noch übrig bleiben dürfen, damit die Gasförderung, Pipelines und Verdichterstationen noch ihren Dienst würden tun können.

Diese deutsche Dreistigkeit blieb jedoch nicht unumstritten. Logisch, wenn man so entschieden gegen einen anderen Staat vorgeht, ihn an den Werte-Pranger stellt, ihm alles Böse dieser Welt ankreidet – und gleichzeitig aber weiter von ihm essenzielle Lieferungen bekommen will. Überdies ihm damit "gutes" Geld überweist, dank der gestiegenen Preise auf den so hochgelobten freien Märkten auch noch viel mehr als vor dem Krieg!

Das ruft alle jene auf den Plan, die vor lauter Kriegsbegeisterung kein Halten mehr kennen und der Regierung mangelnde Konsequenz oder gar Feigheit vorwerfen. Und die außerdem es für die richtige machtpolitische Entscheidung Deutschlands halten, sich fast bedingungslos an die Seite der USA zu stellen. Der amtliche Hinweis, nicht so schnell auf das Gas verzichten zu können, verfing bei diesen Leuten wenig.

Besser gefiel ihnen der Plan, nun rasch teures und umweltschädliches Fracking-Gas in aller Welt einzukaufen – sei es nun aus gar nicht mehr so bösen Scheichtümern oder gleich von der ersten Weltmacht, die so lange vergeblich versucht hatte, mit ihrem Zeug auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen.

Es dauerte dann bis Juli, ehe durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 deutlich weniger Gas in Deutschland ankam. Bis dahin belieferte also ein von Deutschland zum Feind erklärter Staat Deutschland mit Energie – welche bekanntlich ziemlich wichtig dafür ist, dass Deutschland weiter Reichtum scheffelt, damit es den russischen Kriegsgegner Ukraine mit Geld und Waffen ausstatten kann.

Man bot sogar gemeinerweise an, die andere Ostseepipeline Nord Stream 2 zu befüllen. Was prompt als Affront von westlicher Seite zurückgewiesen wurde (wenngleich das in Mecklenburg-Vorpommern anders gesehen wurde ...).

Denn das war offensichtlich: Moskau sprach mit der Option weiterer Gaslieferung die Verlegenheit Deutschlands an, so schnell keinen Ersatz zu bekommen. Da müsste es doch im wohlverstandenen nationalen Interesse sein, zumindest diese Wirtschaftsbeziehung aufrechtzuerhalten? Einige wenige deutsche Politiker trauten sich tatsächlich, darauf hinzuweisen (Kretschmer, Kubicki). Doch sie wurden rasch überstimmt.

Vielleicht hoffte Moskau, Berlin würde die erwiesene Zuverlässigkeit trotz der erklärten Gegnerschaft diplomatisch honorieren, womöglich Sanktionen abschwächen, gar auf die USA mäßigend einwirken. Doch nichts davon geschah in den ersten Kriegsmonaten. Im Gegenteil: Ein Sanktionspaket jagte das nächste, die Unterstützung der Ukraine nahm sogar zu.

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