Deutsche Protestkultur: Konformer Ungehorsam

Widerstand gegen Machtmissbrauch war einer der Motoren des Rechtsstaats. Doch inzwischen wird in guten und schlechten Protest unterschieden. Ein Essay über die Gründe und Folgen.

Durch die Energiekrise droht ein "Heißer Herbst" der Proteste. Doch Vorsicht: Schon wer gegen die inzwischen vielfach umstrittenen – und doch weiterhin verfügbaren – Corona-Maßnahmen der Regierung protestierte, galt als (rechts-)radikal oder konnte sich einer "Delegitimierung des Staates" schuldig machen. Dabei wurden einige der wichtigsten Bürgerrechte durch zivilen Ungehorsam gegenüber staatlich legitimierter Ungerechtigkeit erstritten. Das Problem: Wer sagt (noch), was legitim ist?

Es ist zu hoffen, dass wenigstens künftige Historiker den Kopf darüber schütteln werden, dass sich die (radikale) politische Linke Deutschlands im einen Fall, nämlich 1968, durch den Protest gegen autoritäre Notstandsgesetze konsolidiert hat, und im anderen, in der Corona-Krise, durch deren Verteidigung.

Vielleicht werden die Geschichtsschreiber aber auch nur die Schultern zucken und folgern, dass die Linke in den frühen 2020ern eben erneut den Kampf mit ihrem größten Feind ausgetragen hat: Und das sind nicht die Rechten, wie es dem manichäischen Weltbild der Vulgärlinken entspricht – es ist die Selbstdemontage.

Monty Python waren wahrhaft Meister des schwarzen Humors: Das Lachen über die Kabbeleien der "Judäischen Volksfront" in Das Leben des Brian bleibt einem heute unangenehmer denn je im Hals stecken. Langsam zu vergehen scheint es auch dem ehemaligen "Volksfront"-Mitglied John Cleese.

Denn der mittlerweile 83-Jährige warnt heute gewissermaßen vor den Geistern, die er rief: den freiheitsfeindlichen Ergüssen der woken Identitätspolitik. Und nichts erstickt eben auch die größte Protestbewegung so gut im Keim wie interne Differenzen.

Protest von der "falschen Seite"

Für die heutige identitäre Linke – in ihrer apolitischen Substanz unverkennbares Spiegelbild des Rechtspopulismus – sind Themen, die von Rechten besetzt werden, rechte Themen. Wenn die AfD gegen die Impfpflicht wettert, ist die Impfpflicht links, ergo: gut. Und wer gegen die Impfpflicht ist, unterstützt die AfD. Die ZDF-Sendung Die Anstalt hat das – vor langer Zeit – in einem Sketch einmal auf den Punkt gebracht: "Und wenn die AfD sagt, dass die Anstalt eine gute Kabarett-Sendung ist?", fragt Marion Bach darin. "Dann würde ich dem entschieden widersprechen", entgegnet Claus von Wagner. Natürlich sind das Zuspitzungen.

Und doch ist es in nuce diese Mentalität, die in der Corona-Krise nicht nur von angeblich linken und sozialdemokratischen Wortführern wie der taz und vorwärts, sondern auch in den Leitmedien verbreitet und zu Überzeugungen geronnen ist wie: "Wer mit Rechtsextremen marschiert (!), ist selbst rechtsextrem".

Deshalb war das linke, antifaschistische Lager womöglich auch so erschreckend still gegenüber dem schwersten Grundrechtsentzug seit Bestehen der Bundesrepublik – oder verteidigte die Maßnahmen sogar mit blindem missionarischen Eifer, frei nach dem (medial multiplizierten) Motto: "Impfen ist Nächstenliebe".

In diesem Klima konnte eine denkwürdige Aussage wie die von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) prächtig gedeihen, wonach man seine Meinung doch auch kundtun könne, ohne sich gleich (grundrechtskonform) versammeln zu müssen.

Diejenigen, die besonders viel Angst hatten, auf der falschen Seite zu stehen, gingen also nicht auf die Straße, selbst wenn sie die Kritik der Demonstranten teilten – die sich vielfach als gerechtfertigt erweisen sollte. So viel zu Corona. In der Energiekrise liegen die Dinge aber anders – und doch auffallend ähnlich.

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