Kein neuer Diktat-Frieden von Stralsund!

Friedensgespräche? Ist denn schon Weihnachten? Rathaus von Stralsund (links). Foto: Tino Schmidt/Pexels

Ukraine-Krieg: Friedensgespräche im Rathaus? Die spinnen, die Stadtverordneten der Hansestadt. Dank kritischer Medienberichte muss man sich um die Demokratie wirklich nicht die geringste Sorge machen. Eine Satire.

Die Ratsleute in Stralsund sind komplett durchgeknallt. Sie haben kürzlich mit großer Mehrheit und Pro-Stimmen aus allen Fraktionen beschlossen, dass sie ihre Stadt und ihr Rathaus als Ort für Friedensgespräche im Ukraine-Krieg anbieten.

Der Stralsunder Oberbürgermeister solle die Bundesregierung über dieses Angebot informieren (siehe Video der Bürgerschaftssitzung vom 20. Oktober 2022 ab 2:46:30 bis 3:04:10). Die Abgeordneten versuchten dabei auf äußerst unglaubwürdige Weise, das Undenkbare und Unsagbare unbeholfen zu kaschieren, indem sie durch die Bank unterstrichen: "Putin ist der Aggressor."

Nur zwei Enthaltungen: Was ist da los?

Unter komplett an den Haaren herbeigezogenen historischen Parallelen – wie jener zum Stralsunder Frieden von 1370 zwischen Dänen und Hanse oder aber einer anderen Parallele zu dem vermeintlich friedenspolitisch wichtigen Besuch des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme bei DDR-Staats- und SED-Partei-Chef Erich Honecker im Stralsunder Rathaus im Jahre 1984 – wurde eine pseudo-, um nicht zu sagen: lumpen-pazifistische Stimmung geschürt, sodass sich schließlich keine/-r der Abgeordneten mehr traute, gegen diesen so offensichtlich falschen Antrag zu stimmen.

Es gab, kaum zu glauben, lediglich zwei Enthaltungen. Der Rest der Ratsleute stimmte einfach dafür. Was ist da los am Strelasund?

Gut zu wissen, gerade in solchen Situationen, dass es eine kritische Presse gibt hierzulande. In diesem Falle funktionierte sie geradezu vorbildlich.

Vorbildliche Medienarbeit

Der Leiter der Lokalredaktion Stralsund, Kay Steinke, schrieb in der Ostseezeitung vom 22./23. Oktober 2022 den Aufmacher auf Seite 1 (hier leider hinter der Bezahlschranke).

Gleich in der Überschrift stellt er klar, es gebe "viel Kritik am Vorstoß". Und in seinem Beitrag stehen zum Glück drei sehr kritische Stimmen ganz ausführlich im Mittelpunkt: Die örtliche Bundestagsabgeordnete Claudia Müller (Bündnisgrüne) wird zitiert, der Stralsunder Frieden sei kein gutes Beispiel, weil er für einen "Diktat-Frieden" stehe – die Hanse habe ihrerzeit Dänemark besiegt. Außerdem wolle Russland gar nicht verhandeln.

Dass Deutschland auch ihr zufolge gerade nicht neutral ist, macht sie sehr zurecht deutlich, indem sie sagt: "Die letzten Friedensverhandlungen (zwischen Vertretern der Ukraine und Russlands, d.A.) haben auf neutralem Boden in der Türkei stattgefunden."

Der Rostocker Uni-Politologe Prof. Dr. Wolfgang Muno moniert laut OZ, über bloße Symbolpolitik dürfte der Stralsunder "Vorstoß" (gut, dass es hier nicht verharmlosend "Vorschlag" heißt – militärische Metaphern kommen in Kriegszeiten einfach besser!) nicht hinausgehen. Man könne die Parteien nicht an einen Tisch zwingen. Das hatte in der Stralsunder Bürgerschaftssitzung laut Video-Aufzeichnung zwar niemand auch nur ansatzweise behauptet (s.o.) – es ist aber wichtig, hier auch unter Benutzung rhetorischer Pappkameraden keine falschen Zweifel aufkommen zu lassen.

Die dritte kritische Stimme an der Stelle darf nicht fehlen: die von Andrij Melnik, dem ehemaligen ukrainischen Botschafter in Berlin. Der blickt laut OZ "mit Sorgen" gleich mal auf ganz Mecklenburg-Vorpommern. Per Twitter wandte er sich an "liebes MV" und drohte, vollkommen verständlich, mit Liebesentzug:

Diese ungeheuerliche Naivität und Blindheit von MV-Politikern.

Andrij Melnik

Am Ende des Beitrages erwähnt Lokal-Chef Steinke kurz eine eher unentschiedene Reaktion der russischen Botschaft und ein Lob für die Stralsunder Initiative vom Linksfraktionsvorsitzenden im Bundestag, Dietmar Bartsch.

Allerdings, und das möchte auch sein, bleibt der Beitrag weit entfernt von "false balance", also von falschem Gleichgewicht zwischen unterschiedlichen Positionen, und stellt Kritik am Stralsunder Vorschlag, pardon: "Vorstoß", ganz klar in den Vordergrund.

"Bitte den Profis überlassen"

Dennoch könnten – die Dummheit mancher Menschen kennt ja leider kaum Grenzen – gewisse Rest-Zweifel daran bleiben, dass dieser "Vorstoß" fraglos und komplett falsch ist. Der OZ-Chef-Reporter aus der Landeshauptstadt Schwerin, Frank Pubantz, widmet sich dieser Aufgabe in seinem Kommentar auf Seite 5 in aller Souveränität, aus der einzig angemessenen Perspektive, nämlich von ganz weit oben herabblickend auf Land und Leute (hier leider auch hinter der Bezahlschranke).

Schon die Überschrift gibt die einzig mögliche Marschrichtung vor: "Bitte den Profis überlassen". Der Kommentator beginnt mit einer Analogie von Stralsund zu Asterix und dem gallischen Dorf: "sympathisch, nahbar, unbedarft" (das letzte Wort hätte natürlich gereicht, aber ganz ohne eine Prise Populismus scheint es im Regionalen nicht zu gehen. Doch Pubantz steigert sich sogleich im Sinne der guten Sache).