Deutschland als Opfer von NS-Verfolgten

Bundesregierung verteidigt Entschädigungsboykott gegenüber NS-Opfern. Neue Klage soll weitere Entschädigungsansprüche aus Italien abwehren.

Italienische Opfer deutscher Kriegsverbrechen werden, bald 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, doch noch entschädigt – und zwar von Italien. Die Bundesregierung inszeniert sich hingegen als Opfer eines Völkerrechtsbruchs und verklagt Italien erneut vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH).

Die italienische Regierung beschloss Ende April dieses Jahres die Einrichtung eines mit 55 Millionen Euro dotierten Fonds, aus dem künftig die Ansprüche von NS-Opfern bedient werden sollen. Unmittelbarer Anlass für diese Entscheidung war eine wenige Tage zuvor eingereichte Klage Deutschlands vor dem IGH, mit der die Bundesregierung unter anderem bevorstehende Zwangsversteigerungen deutscher Liegenschaften in Rom abwenden wollte.

Es ist bereits die zweite Klage Deutschlands gegen Italien. Die Erste wurde im Jahr 2011 eingereicht. Italienische Gerichte hatten zuvor mehrfach zugunsten der NS-Opfer entschieden, deren Entschädigungsforderungen die Bundesregierung zuvor abgelehnt hatte. Die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, sie habe ihrer Verantwortung mit einer Anfang der 1960er-Jahre geleisteten "Globalzahlung" in Höhe von 40 Millionen DM an die italienische Regierung ein für alle Mal Genüge getan.

Diejenigen italienischen Bürger, die die Gefangenschaft als "Militärinternierte" überlebt oder Angehörige bei Massakern von Wehrmacht und Waffen-SS verloren hatten, sahen das ganz anders und fanden Gehör bei Gerichten: 2011 sah sich die Bundesregierung mit Forderungen in Höhe von rund 51 Millionen Euro konfrontiert, die aus italienischer Sicht rechtskräftig waren.

Den Löwenanteil davon machten übrigens die Forderungen griechischer Opfer aus: Die Entscheidung des Landgerichts Levadia von 1997, den Überlebenden des SS-Massakers von Distomo 28 Millionen Euro zuzusprechen, kann nach italienischem Recht auch in Italien durchgesetzt werden.

Die Klage vor dem IGH wurde am 3. Februar 2012 zugunsten Deutschlands entschieden: Italien, so befanden die Richter, verstoße mit seiner Urteilspraxis gegen den Grundsatz der Staatenimmunität.

Wenn die Bundesregierung glaubte, mit diesem Urteil Ruhe zu haben, sah sie sich bald getäuscht. Zwar beschloss das italienische Parlament ein sog. Anpassungsgesetz, um der italienischen Justiz die Zuständigkeit für Entschädigungsklagen bzw. Zwangsvollstreckungsverfahren gegen Deutschland zu entziehen, doch dieses Gesetz wurde im Oktober 2014 vom italienischen Verfassungsgericht kassiert. Dieses betonte, dass jeder Bürger das Recht auf Zugang zu einem gesetzlichen Richter habe.

Die Einschränkung dieses Rechts könne "nicht gerechtfertigt sein und toleriert werden, wenn hierdurch die unrechtmäßige Ausübung von Regierungsgewalt eines fremden Staates geschützt wird, die ihren Ausdruck insbesondere in Taten findet, die als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" einzustufen seien. Kurz gesagt: Entschädigungsforderungen wegen Nazi-Unrecht gehen über Staatenimmunität.

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