Israel: Ein Lehrstück in Sachen Populismus

Militärpräsenz in Hebron. Bild: Ina Zeuch

Der israelische Politologe Shir Hever über das Wahlbündnis von Benjamin Netanjahu, Rechtsextreme in der Regierung und die Folgen des herrschenden Populismus.

Shir Hever ist 1978 in Jerusalem geboren und aufgewachsen. Er hat in Jerusalem und Tel Aviv Wirtschaftswissenschaften und humanistische Fächer sowie in Berlin Politikwissenschaft studiert. In Berlin promovierte er über die Privatisierung der israelischen Sicherheit. Sein erstes Buch The Political Economy of Israels Occupation erschien 2010. Sein zweites Buch The Privatization of Israeli Security wurde 2017 veröffentlicht.

Hever ist Mitglied der "Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V." und arbeitet als Journalist, Wissenschaftler und Geschäftsführer des Vereins "Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinenser e.V." (BIP).

Israel hat das Wahlbündnis von Benjamin Netanjahu gewählt. Einige von Netanyahus Koalitionspartnern werden von maßgeblichen Medien in Deutschland – etwa von der ARDals rechtsradikal bezeichnet. Das Auswärtige Amt hat den Begriff dagegen zurückgewiesen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Shir Hever: Nicht Israel hat gewählt, sondern nur Menschen mit der israelischen Staatsbürgerschaft haben gewählt. Fünf Millionen Menschen, die unter der israelischen Besatzung leben, durften nicht wählen – das sind die Menschen im Westjordanland, in Gaza und auf den Golanhöhen – das sind 40 Prozent der Bevölkerung.

Zum Begriff rechtsradikal: Das betrifft eine ganz bestimmte Partei, die Religiös-Zionistische Partei von Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir, und das ist tatsächlich eine rechtsradikale Partei. Ben-Gvir wurde zum Beispiel nicht zur Armee zugelassen, weil er Mitglied in einer von Israel des Terrors beschuldigten Vereinigung namens Kach gewesen ist. Gvir bedroht Palästineser:innen mit dem Tod und er ruft zur Deportation von afrikanischen Flüchtlingen auf. Er ist ein rechtsextremer Rassist.

Smotrich, Gvir und einige andere der rechten Knesset-Mitglieder haben Sie ja kürzlich selber in einem Special im Middle East Eye vorgestellt. Nachdem festgestanden hatte, dass Netanjahu die Wahl gewonnen hat, hat er in seiner ersten Rede die Rückkehr des Nationalstolzes angekündigt und dass Israel nicht mehr mit gesenktem Kopf einhergehen werde. Was meint er damit?

Shir Hever: Damit bezieht Netanjahu sich auf das Nationalitätengesetz; wobei niemand in Israel dieses Gesetz so nennt, sondern "Gesetz der Nation". Es besagt, dass es nur eine Nation im Kernland Israel und in der Westbank gibt, die Rechte hat und das ist die jüdische Nation. Ob mit Nation Israel oder Palästina gemeint ist, wird nicht definiert.

Es können auch diejenigen Staatsbürger:innen werden, die keine Juden und Jüdinnen sind, und sie haben dann auch verschiedene Rechte – aber nicht alle Rechte. Das Gesetz über den Nationalstaat ist ein Grundgesetz, das mit einer qualifizierten Mehrheit erlassen wurde. Deshalb hat der Oberste Gerichtshof es nicht aufgehoben, obwohl es zutiefst rassistisch ist.

Die Judikative kontrollieren

Nun möchte Netanjahu einen Schritt weitergehen: Die verschiedenen Parteien seiner Koalition – nicht nur der Likud und die Partei des "Religiösen Zionismus", sondern auch die ultra-orthodoxen religiösen Parteien – wollen die Judikative weiter schwächen. Dafür soll die Knesset die Möglichkeit erhalten, den Obersten Gerichtshof mit einfacher Mehrheit daran zu hindern, Gesetze zu diskutieren.

Dieses Vorhaben ist wichtig, um die Annexion von palästinensischem Land im großen Stil zu ermöglichen, um mehr Siedlungen zu bauen und um nicht jüdischen Bürgern grundlegende Bürgerrechte zu verweigern und zudem das gegen Netanjahu anhängige Gerichtsverfahren aufzuheben. Denn er ist der schweren Korruption angeklagt. Um seinem Prozess zu entgehen, möchte er die Justiz unter Kontrolle bringen. Seine Wiederwahl wird fast ganz sicher sein Ausweg daraus sein.

Kürzlich haben Sie die Angst als beherrschende Stimmung in Israel genannt, die besonders von Netanjahu in seinem Wahlkampf genutzt würde. Ist seine Wiederwahl vornehmlich aus Angst geschehen und wenn ja, aus Angst wovor?

Shir Hever: Netanjahu kritisiert, dass Israel zu viel Angst um seinen Ruf hat. Deshalb interessiert er sich nicht für Beziehungen mit demokratischen Ländern, sondern nur für Länder, die Israel unterstützen, wie Brasilien unter Jair Bolsonaro oder Ungarn unter Viktor Orbán.

Das hat ihm Stimmen gebracht, weil die israelische Bevölkerung nicht mit Kritik an Israel konfrontiert werden will. Denn diese Kritik schürt die Angst, dass Israel nicht überleben wird. Netanjahu verspricht deshalb lieber eine Koalition zum Beispiel mit Polen, Ungarn oder den Arabischen Emiraten.

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