Lauterbach: Wunderliche Wende bei einrichtungsbezogener Impfpflicht

Bild: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Das ZDF ist irritiert, weil der Gesundheitsminister seine neue Haltung damit begründet, dass die Impfung "nicht mehr vor der Ansteckung schützt".

Gesundheitsminister Karl Lauterbach zählt zu den Kabinettsmitgliedern mit dem größten Irritationspotential. Auf Twitter sorgen seine vielen und unterschiedlichen Äußerungen, die nicht selten Verwirrung stiften und Fragen aufwerfen, schon lange für lebhafte Diskussionen. Was typisch ist für das "Direktmedium" (Richard David Precht) und eigentlich auch keine Überraschung bei dem großen und schwierigen Themenkomplex Corona-Viren, Corona-Pandemie, Covid-Erkrankung, Impfung, Ansteckung und Schutz.

Jetzt hat Lauterbach aber auch das ZDF verblüfft. Der Gesundheitsminister sprach sich nämlich dem öffentlich-rechtlichen Sender gegenüber gegen die Sektor-Impfpflicht im Gesundheitswesen aus. Das ist schon mal die erste Überraschung, die der Sender feststellt, war Lauterbach doch "ein hartnäckiger Verfechter der einrichtungsbezogenen Impfpflicht bis zum Schluss". Genauer: "Bis diese Woche."

Jetzt habe er sich korrigiert. Der Gesundheitsminister sei nun auch fürs "Auslaufen" und – jetzt kommt die zweite Überraschung – er unterlegt dies, so das ZDF, mit einer "merkwürdigen Begründung":

Die Impfung schützt nicht mehr vor der Ansteckung. Wenn sie nicht mehr vor der Ansteckung schützt, dann gibt es auch keinen Grund mehr dafür in diesen Einrichtungen.

Karl Lauterbach (SPD) gegenüber dem ZDF

Das wird dann noch von Lauterbach präzisiert und aktualisiert, da vor allem die neuen Varianten des Corona-Virus durch den "jetzigen Impfstoff nicht zu erfassen" seien: "Das heißt man kann sich dann trotzdem anstecken, das wird wahrscheinlich auch für die BQ1.1-Variante gelten."

Aber die Ansteckung sei doch nie das Argument für eine Impfung gewesen, kommentiert der Fernsehsender und ergänzt: "Jedenfalls seit der Omikron-Variante des Virus nicht."

Mit der Omikron-Kurve vermeidet das ZDF einen Abgrund – eine Vertiefung der Diskussion darüber, inwieweit die Ansteckung ("Fremdschutz") sehr wohl einige Zeit lang ein wichtiges politisches Argument für die Impfung war, ersichtlich an den Zugangsregelungen 3G oder 2G –, um dann zur Einschätzung des Immunologen Carsten Watzl zu kommen:

Die Begründung ist schon seit längerem weg.

Carsten Watzl

Seit Omikron habe sich daran nichts verändert, man müsse da man nicht auf die "BQ1.1-Variante warten", so der Leiter des Forschungsbereichs Immunologie an der Technischen Universität Dortmund.

"Jegliche Argumente fehlen"

Für eine Verlängerung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht würden "jegliche Argumente fehlen". Man könnte sie also einfach so auslaufen lassen, so Carsten Watzl gegenüber dem ZDF.

Die gesetzliche Grundlage für die einrichtungsbezogene Impfpflicht läuft Ende dieses Jahres aus. Spitzenverbände im Gesundheitswesen und Politiker argumentieren schon seit Wochen dagegen. Als Begründungen werden geäußert: Mangel an Pflegepersonal, das Fehlen einer allgemeinen Impfpflicht und Zweifel am Fremdschutz der Impfung (siehe: Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Sorge vor Verschärfung des Pflegenotstands).

Was hat nun den Gesundheitsminister zum Umdenken gebracht?

Der Protest gegen die Impfpflicht war es nicht, so Lauterbach gegenüber dem ZDF, sondern "eine rein epidemiologische Überlegung": "Weil eben die Impfung nicht mehr schütze", zitiert ihn der Sender, und dass dies "wahrscheinlich auch für die BQ1.1-Variante" gelte.

Noch vor zwei Wochen, am 8. November, war Lauterbach der Meinung, dass die derzeitigen bivalenten Impfstoffe auch gegen die mögliche neue Variante gut wirkten: BQ1.1 sei nah an der derzeit dominierenden BA5-Variante: "So wirken wahrscheinlich unsere neuen BA.5-Impfstoffe gut", twitterte er. Auch erste Studien wiesen darauf hin: "Vorbereitung bisher ok."

Fürs Impfen ist Lauterbach übrigens immer noch. "Die Impfung schützt sehr gut vor schwerer Krankheit", sagt er. Man könne sich ja freiwillig impfen.

ZDF