ZDF: Journalistisches Sträuben gegen Richtigkeit

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Journalismus handelt von und mit Fakten. Da ist es erstaunlich, wie ignorant viele Medien auf Fehlerhinweise reagieren, und wie überzeugt sie zu verbreiteten Falschbehauptungen stehen, wenn sie doch reagieren. Teil 1.

Der erste Filmbeitrag der heute-show-Sommerpausenreihe "Till to Go" des ZDF enthielt zahlreiche Fehler, Ungenauigkeiten und Verzerrungen.

Das sorgte, etwas zeitversetzt zu den vielen Jubelrufen, für reichlich kritische Kommentare in den sozialen Medien (vor allem im Youtube-Kanal des Programms) und führte auch zu drei Programmbeschwerden (siehe Beschwerdebericht vom 23.09.2022, Seite 10).

Auf die Kritik reagierte die Redaktion mit einem "Dossier" (ZDF) in der Reihe "What the Fakt!?", in der gelegentlich zu einzelnen kontrovers verhandelten Beiträgen weitere Erläuterungen auf der ZDF-Website erfolgen.

Falsche Aussagen

Zwei Falschbehauptungen blieben darin jedoch unerwähnt und damit auch unkorrigiert. Zum einen hatte Till Reiners im Filmbeitrag behauptet, sexueller Missbrauch Schutzbefohlener verjähre strafrechtlich in vielen Fällen bereits nach fünf Jahren.

Zum anderen war das "Dossier", das offensichtlich erst nach der Veröffentlichung des Videos geschrieben worden war, auf den Tag der Video-Veröffentlichung datiert, nämlich auf den 22. Juli 2022.

Die erste Falschbehauptung war mit einem Blick ins Gesetz zu belegen. Es ist schlicht falsch, wenn Reiners sich echauffiert, "Missbrauch an minderjährigen Schutzbefohlenen verjährt in vielen Fällen bereits nach fünf Jahren. Fünf!", und dann noch einen Vergleich zur Verjährung von Steuerstraftaten zieht.

Denn sexueller Missbrauch an Minderjährigen kann frühestens nach 18 Jahren nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden – falls das Opfer zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alt war (§ 78b StGB); bei jüngeren Opfern wird die juristische Verjährung erst entsprechend später erreicht.

Reiners Aussage war also – auch bei aller Liebe zu satirischer Wortakrobatik – schlicht falsch. Weil im Wirrwarr der Gesetze wenigstens Laien schnell die Übersicht verlieren können, muss man aus einem solchen Fehler kein Drama machen – sofern er von den Verantwortlichen sofort nach Kenntnis korrigiert wird. Das passierte beim ZDF nicht, dazu gleich.

Die zweite Falschbehauptung war nicht mit dem ersten, aber doch mit dem kritischen zweiten Blick zu erkennen. Denn das "Dossier" widersprach dem eigenen Filmbeitrag in der Kernthese, wonach die christlichen Kirchen absurde Sonderrechte genießen würden.

Stattdessen ergänzte der Text ohne jedes Fehlereingeständnis, dass die beklagten Rechte keineswegs nur evangelischen Landeskirchen und der Katholischen Kirche zustehen, sondern allen religiösen und weltanschaulichen Körperschaften des öffentlichen Rechts, also unter anderem auch den jüdischen Kultusgemeinden (ausführlich in: "Absurde Verdrehungen in der heute-Show").

Zweifel an der Korrektheit des angegebenen Veröffentlichungsdatums nährte zudem, dass sich niemand fand, der am oder kurz nach dem 22. Juli das ergänzende Dossier in der ZDF-Mediathek gesehen hatte. Auch fand sich keine digitale Spur. Alles deutete darauf hin, dass dieser Beitrag als nachträgliche Rechtfertigung erstellt wurde, ohne in den ursprünglichen Filmbeitrag einzugreifen.

Reaktionen

Auf zwei E-Mail-Anfragen mit Bitte um Presseauskunft reagierte die ZDF-Pressestelle nicht – obwohl sie, wie sich später zeigen sollte, die Anfragen natürlich erhalten hatte. Doch auf die dritte, nun per Einschreibe-Brief zugestellte Anfrage des Autors reagierten eine ZDF-Sprecherin und der verantwortliche Redakteur der Sendung "heute-show". Dieser entschuldigte sich für die sehr verspätete Antwort, rechtfertigte die Falschbehauptung jedoch (Original bei Spiegelkritik).

Die ZDF-Pressestelle bestätigte das behauptete Veröffentlichungsdatum mit den Worten:

Aufgrund des großen Interesses veröffentlichte das ZDF am 22.07.2022 in der ZDFmediathek in der heute-show-Rubrik "What the Fakt!?" ein Dossier mit weiterführenden Informationen und Links.

Da die Stellungnahme zur ersten Aussage offensichtlich und die zur zweiten nach allen zur Verfügung stehenden Indizien falsch war, erfolgte eine förmliche Programmbeschwerde beim ZDF-Fernsehrat, ein Instrument, das erstaunlich selten genutzt wird, wenn man sich die Beschwerdeberichte ansieht, das aber auch nur selten zu einem Fehlereingeständnis des Senders führt: Der Fernsehrat weist fast alle Eingaben als unbegründet ab.

Im vorliegenden Fall musste allerdings der Beschwerdeausschuss nicht behelligt werden. Denn der ZDF-Intendant Norbert Himmler, der nach dem vorgesehenen Ablauf zunächst Stellung nehmen darf, räumte beide Fehler ein – allerdings ohne eine Entschuldigung und ohne eine transparente Korrektur.

Womit auch seine Einlassung als hierarchisch höchste Stufe des "Sträubens gegen Richtigkeit" gelesen werden kann. Himmler schreibt:

Wir haben Ihre Kritik zum Anlass genommen, die Redaktion dafür zu sensibilisieren, dass auch bei satirischer Zuspitzung die nötige Präzision natürlich beachtet werden muss. Anlässlich Ihres Schreibens haben wir den Sachverhalt außerdem ins 'What the Fakt!?'-Dossier aufgenommen und dort richtiggestellt.

Dr. Norbert Himmler, ZDF-Intendant

Wie konnte es in einem Großbetrieb wie dem ZDF zu einer solchen Panne kommen? An welcher Stelle hat die Qualitätskontrolle versagt? Wer ist verantwortlich? Wieso wurden alle Hinweise auf den Fehler ignoriert? – Dazu sagt Intendant Himmler nichts.

Er begründet auch nicht, warum keine offensive Fehlerkorrektur erfolgt. Die Programmbeschwerde hatte eine Korrektur wenigstens in den Begleittexten (Mediathek, YouTube etc.) gefordert; zudem gibt es eine eigene Korrekturen-Seite beim Mainzer Sender.

Das ZDF hat stattdessen schlicht am Ende des "Dossiers" mit Datum 22. November 2022 ergänzt:

Die strafrechtliche Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen beträgt fünf bis dreißig Jahre, je nach Schwere der Tat. In den meisten Fällen sind es zehn bis zwanzig Jahre. Allerdings beginnt die Verjährungsfrist seit einer Neufassung im Jahr 2015 frühestens mit dem 30. Geburtstag des Opfers.

ZDF-Dossier zum Filmbeitrag "Till to go: Kirche"