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Biedermann und Brandstifter

50 Jahre Ford Escort

Autos Christian Lorenz
Ford Escort Mark 1

Vor 50 Jahren wurde der erste Ford Escort vorgestellt, ein Kompakter mit Rennsport-Ambitionen. Zeit seines langen Lebens stand der Escort im Spannungsfeld zwischen Biedermann und Brandstifter - und im Schatten der Konkurrenz

Vor 50 Jahren wurde ein Fahrzeug vorgestellt, dass die englische Kompaktklasse prägte und auf der Insel Ziel von Tuning-Orgien war. Auch in Deutschland stand der Escort im Spannungsfeld zwischen Biedermann und Brandstifter. Letztlich war er ein Kompaktwagen mit Stärken und Schwächen, der bei uns zeitlebens im Schatten der arrivierten Konkurrenz von VW und Opel stand. Global war er erfolgreicher als hierzulande.

Im Januar 1968 stellte Ford in Marokko sein neues Modell Escort vor. Er war ein moderner Nachfolger des verschrobenen Anglia. Der war so speziell, dass sich Ford dazu entschloss, ihn außerhalb der britisch beeinflussten Märkte gar nicht anzubieten. Als fliegendes Harry-Potter-Mobil erlebte der spleenige Morris-Minor-Konkurrent einen späten Auftritt in den Medien. Mit dem Escort war den britischen Konstrukteuren eine sportlich-moderne kleine zweitürige Limousine im kantigen Stil der Zeit gelungen.

„Anglizismen“ im Urmodell

Der Escort wurde ab dem 17. November 1967 im Werk Halewood produziert. Mit seinem amerikanisch inspirierten Hüftschwung über den hinteren Radhäusern und seiner charakteristischen Front war der neue Kompaktwagen zwar mehrheitsfähiger als der Anglia, aber durchaus auch ein Gesicht in der Menge. Seine Frontpartie war es auch, die die deutschen Kunden nach der Deutschland-Premiere des Escort im August 1968 in West-Berlin zu seinem Spitznamen „Hundeknochen“ inspirierte. Nachdem sich der Escort auf seiner britischen Heimatinsel binnen Monaten zum Bestseller entwickelt hatte, nahm im Januar 1970 das Werk Saarlouis im Saarland eine eigene Produktion für den deutschen Markt auf. Von August 1968 bis Dezember 1969 waren die Fahrzeuge direkt aus Halewood importiert worden. Das brachte ein paar konstruktive „Anglizismen“ mit sich wie Zollschrauben und ein für Linkssteuerung unpraktisch angebrachtes Zündschloss.

Mit der Produktion in Saarlouis wurden diese Details aber verändert. Trotzdem entwickelte sich der Verkauf in Deutschland nicht so hervorragend wie in Großbritannien. Zu stark war die Konkurrenz durch den zwar konstruktiv veralteten, aber dennoch heißgeliebten Käfer und den in manchen Bereichen überlegenen Kadett B von Opel .

Haustuner Cosworth

Der Escort wurde zunächst als zweitürige Limousine vorgestellt. 1969 kamen dann noch ein Viertürer sowie ein dreitüriger Kombi namens „Turnier“ dazu. Die Motoren wurden weitgehend vom Vorgänger Anglia sowie dem größeren Cortina (dem damals noch völlig eigenständigen „englischen Taunus“) übernommen. Diese sogenannten „Kent-Motoren“ brachten als 1100er 40 und 45 PS und als 1300er 52, 64 sowie später als 1300 GT Sport 72 PS an die Hinterachse. Dass sich diese Kent-Motoren leicht tunen ließen, hatten schon seit 10 Jahren die früheren Lotus-Mitarbeiter Mike Costin und Keith Duckworth mit ihrer Firma Cosworth bewiesen. Damit war dem Escort der Motorsport in die Wiege gelegt.

Frühe Rallye-Erfolge

Schon von Anfang an dengelten ein paar Enthusiasten in Halewood den Antriebsstrang des Lotus Cortina unter die Escort-Karosserie. Der 1,6-Liter-Doppelnockenwellenmotor passte zum Beispiel nur schief in den Motorraum. Nach diesem Doppelnocker mit 106 PS Leistung, Doppelvergaser und Leichtmetallzylinderkopf hieß dieser frühe Rallye-Escort „Twin Cam“. Bald wurde die Produktion von Halewood zu Ford Motorsport in Boreham verlegt. Wegen Problemen mit der Zuverlässigkeit und zunehmenden Leistungsmangel entwickelte Cosworth im Anschluss einen Vierventil-Zylinderkopf für den vorhandenen Block. Von diesem BDA-Motor für den Escort RS 1600 entstanden einige hundert Exemplare in Boreham. Seinen Namen hat der BDA Motor von seinem Zahnriementrieb (Belt-Drive A).

Die Sportfahrzeuge wurden aber mit einem neuen Aluminiummotorblock ausgestattet, den der Tuner Brian Hart in eigener Regie entwickelt hatte. So konnten sie 2,0 Liter Hubraum realisieren. Fahrer wie Roger Clark, Timo Makinen und Hannu Mikkola konnten mit diesen Escort RS 2000 große Rallye-Erfolge feiern. Da die Ford-Motorsportabteilung die Wettbewerbskomponenten, sobald sie standfest genug waren, über ein gut ausgebautes britisches RS-Händlernetz an die Kunden verkaufte, wurde der Escort das Basisfahrzeug schlechthin für den Privatrennsport in Großbritannien.

RS 2000 von 1973

Der Escort erwarb sich damit in den britisch beeinflussten Märkten einen Legendenstatus gegen den das Image des Golf GTI bei uns lachhaft dünn daherkommt. Der Golf war nur ein gut motorisierter Spaßmacher für die Straße. Dagegen war der Escort leistbarer Kleinwagen und siegreicher Rennwagen in einem. Als der Escort RS 2000 1973 mit auf 100 PS heruntergezähmten Zweiliter-OHC-Motor nach Deutschland kam, hatte er eigentlich mit Rennsportgenen, Tuningmöglichkeiten und Zweifarbenlackierung dem Golf GTI [1] bereits zwei Jahre vor dessen Erscheinen ein wenig den Rang abgelaufen. Heute wissen wir, dass das die Mehrheit der Automobilwelt anders sah.

Codename „Brenda“

1975 kam der Escort Mark II auf den Markt. Der unter dem Codenamen „Brenda“ entwickelte neue Escort wurde außen geglättet und seiner Hundeknochenfront beraubt. Für viele hat er dadurch an Charakter verloren. Stark überarbeitet wurde die starre Hinterachse mit Blattfedern und zusätzlichen Längslenkern. Das führte dazu, dass der Kofferraum von 425 Liter beim Hundeknochen auf jetzt 411 Liter schrumpfte. Die Motoren wurden behutsam weiterentwickelt. Neu eingeführt wurde ein 70 PS starker 1,6-Liter. Topmodell war der RS 2000 mit 110 PS, als Homologations-Sonderserie sogar 132 PS.

Leider waren die Autotester in Deutschland vom Escort Mark II insgesamt nicht sehr begeistert. Die Konkurrenten Opel Kadett C und allen voran VW Golf bekamen deutlich bessere Noten. Da half auch nichts, dass der Escort Mark II RS 1800 zwei Mal Rallye-Weltmeister wurde. Björn Waldegard schaffte das 1979 zum ersten Mal mit einem Ford und Hannu Mikkola konnte 1981 nachlegen, nachdem der Vorjahresweltmeister Walter Röhrl ungewollt pausierte.

Mir persönlich blieb der Escort RS 2000 besonders in Weiß als beliebter, ständig übersteuernd bewegter Dienstwagen des MI-5-Agenten Ray Doyle in der Serie „Die Profis“ in Erinnerung. So etwas kann man eben nur mit Hinterradantrieb machen.

Frontantrieb

Trotzdem war schon im Winter 1975 klar, dass der Nachfolger des Escort Mark II Frontantrieb haben sollte. Die dritte Escort-Generation hörte auf den Entwicklungsnamen „Erika“ und wurde im September 1980 auf dem deutschen Markt eingeführt. Mit Frontantrieb, Einzelradaufhängung rundum und großer Heckklappe ist der Mark III die größte Zäsur in der Escort-Geschichte. Ford vollzog damit nach, was die direkte Konkurrenz zuvor schon vorgemacht hatte. Dazu kam, dass der dritte Escort deutlich windschnittiger als sein Vorgänger war. Hier hatte Opel mit dem Kadett D 1979 ordentlich vorgelegt. Die Escort-Motoren wurden wieder nur behutsam angetastet. Es gab zunächst fünf Motorisierungen mit 1100, 1300 und 1600 cm2 Hubraum. Die Leistungsspanne reichte von 55 bis 96 PS beim neuen Topmodell XR3i. Erstmals gab es den Escort auch als Dieselmodell mit 1,6 Litern Hubraum und 54 PS. Gegen VW Golf und Opel Kadett konnte auch diese Escort-Generation in Deutschland nicht gewinnen. Dem Ford blieb in Vergleichstests und Zulassungsstatistik der ewige dritte Platz.

Lifestyle-Cabrio

Ab 1983 brachte ein neues Cabriolet von Karmann mit Überrollbügel ein wenig Glamour in den Escort. Das Escort-Cabriolet war in den 80er-Jahren ein beliebtes Lifestyle-Auto. VW sparte sich den Aufwand, den Golf 2 zu öffnen. Opel konterte erst im Mai 1987 mit einem Kadett Cabrio - zu groß war bei den Opelanern die Angst, nach dem Kadett C Aero wieder einen Flop zu produzieren. So konnte Ford ein paar Jahre in einem kleinen Segment reüssieren.

Anfang 1986 erhielt die dritte Escort-Generation ein umfassendes Facelift. Topmodell war der RS Turbo 132 PS. Die Front wurde vielleicht charakterstärker, doch sie presste das Scorpio- und Sierra-Gesicht auf den schmalen Escort. Einige Motorvarianten waren jetzt mit einem geregelten Katalysator erhältlich. Neu hinzu kam auch ein 1,8-Liter-Dieselmotor mit 60 PS.

Mitten in die politisch spannende Zeit zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung fiel die Premiere der nächsten Escort-Auflage. Ein wichtiges Modell, galt es doch mit ihm, neue Käufer auch jenseits des eisernen Vorhangs zu überzeugen. Ford konnte zudem einen Vorsprung für sich verbuchen, denn die Konkurrenz aus Rüsselsheim und Wolfsburg brachten ihre Neuauflagen erst 1991 auf den Markt. Doch Ford konnte den Vorsprung nur zum Teil nutzen.

Die beiden anfangs angebotenen Motoren mit 71 und 105 PS waren nahezu unverändert vom Vorgänger übernommen worden. Sie waren vergleichsweise laut, durstig und vor allem ziemlich zäh. Dazu kam eine Verarbeitungsqualität, die von der der späten VW Golf 2 weit entfernt war. Als Opel und VW ihre Neuauflagen in der Kompaktklasse vorstellten, wirkte der junge Escort auf einen Schlag ziemlich alt - was sich auch in den Verkaufszahlen bemerkbar machte.

So verwundert es kaum, dass Ford sehr rasch nachbesserte. Eineinhalb Jahre nach der Präsentation wurde der Escort durch neue moderne 1,8-Liter-Zetec-Motoren mit 105 und 131 PS aufgewertet. Mit dem Facelift 1993 wurde aufgrund von schlechten Crashtestergebnissen die Sicherheitsarchitektur überarbeitet. Von da an war der Escort als eines der ersten Fahrzeuge in der Kompaktklasse mit Frontairbags erhältlich. Zudem verbesserte sich das Crashverhalten der Karosserie deutlich und war jetzt konkurrenzfähig. Zudem wurden Front und Heck optisch modifiziert.

Letzte Serie ab 1995

Die siebente und letzte Escort-Generation kam 1995 auf den Markt. Letztendlich handelte es sich auch dabei nur um ein Facelift. Wegen der harten Konkurrenz und Imageproblemen war Ford vor allem gezwungen, die Verarbeitungsqualität des Escort deutlich zu verbessern. Tatsächlich war die letzte Escort-Generation die qualitativ Beste. Auch sie konnte das angegriffene Image des Escort aber nicht mehr richten. Die Ottomotoren leisteten 60 bis 220 PS. Erstmals waren die Topmodelle mit Allradantrieb ausgestattet. Neu war auch ein Turbodiesel mit 90 PS, der zusätzlich zum 60-PS-Saugdiesel angeboten wurde. Wie schon bei den beiden Vorgängern war der geräumige Kombi Turnier hierzulande besonders beliebt. Wie Opel konnte auch Ford die jahrzehntelange Abwesenheit von VW in diesem Segment nutzen - was erst 1993 mit dem ersten VW Golf Variant beendet wurde.

Nach dem Erscheinen des Nachfolger Focus 1998 wurde der Escort als Escort Classic mit 1,6-Liter-Benziner bzw. 1,8-Liter-Turbodiesel mit jeweils 90 PS noch weitergebaut. Im Juli 2000 lief im britischen Dagenham der letzte Escort vom Band. Es war kein sehr ehrenvoller Abschied, da die vorangegangenen Qualitätsprobleme das Image des Escort stark beschädigt hatten. Auch deshalb entschied sich der Ford-Vorstand ein komplett neues Nachfolgemodell auf den Markt zu bringen. Und tatsächlich bedeutete der Focus einen Qualitäts- und Imagesprung für Ford. Und Rallye-Weltmeister wurde der auch.


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