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Sternennebel

Abgas-Manipulation bei Daimler

News Martin Franz
Mercedes S205

(Bild: Florian Pillau)

Bundesverkehrsminister Scheuer hat nach einem Gespräch mit Daimler-Chef Zetsche einen Rückruf von 774.000 Diesel-Fahrzeugen angekündigt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Sache damit ausgestanden ist. Die Opposition greift den Minister dafür an

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat am Montag (11. Juni 2018) nach einem Gespräch mit Daimler-Chef Dieter Zetsche einen amtlichen Rückruf von 774.000 Diesel-Fahrzeugen von Mercedes in Europa angekündigt, davon 238.000 in Deutschland. Als Grund nannte er unzulässige Technik in der Abgasreinigung. Daimler will den Rückruf zwar durchführen, kündigte aber auch Widerspruch gegen den Bescheid an. Die Opposition im Bundestag kritisiert den Verkehrsminister scharf.

Nur Modelle mit 170 PS?

Daimler hatte schon Ärger wegen des Vito mit dem 1,6-Liter-Diesel, in dem das Kraftfahrtbundesamt eine unzulässige Abschalteinrichtung moniert hatte. Jetzt hat sich der Verdacht auf häufig verkaufte Modelle von Mercedes ausgedehnt. Betroffen sind laut Ministerium nun auch der GLC 220d und der C 220d (beide mit 170 PS). In beiden ist der intern OM651 genannte Diesel eingebaut. Das lässt vermuten, dass es nicht bei den 170-PS-Ausführungen bleiben wird, schließlich wird dieser Motor beispielsweise in der C-Klasse auch im C200d mit Automatik (136 PS) und im C250d (204 PS) gebaut. Es scheint ziemlich unwahrscheinlich, dass nur beim 170-PS-Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut wurde.

Update leichtgemacht

Bis auf wenige Ausnahmen sind die nun zurückgerufenen Autos nach Konzernangaben in drei Millionen Diesel enthalten, für die Daimler ohnehin schon ein freiwilliges Update der Motor-Software angekündigt hatte. Noch steht nicht fest, was mit dem Update technisch genau verändert wird. Daimler hat mehrere Möglichkeiten: Ziemlich sicher wird die Menge des eingespritzten Harnstoffs (Handelsbezeichnung „AdBlue“) erhöht. Die betroffenen Modelle sind in der Abgasnorm Euro 6b homologiert und haben einen SCR-Kat. Zwei weitere Möglichkeiten wären eine Veränderung der Einspritzzeiten und/oder eine Erhöhung der AGR-Rate. Bei letzterem wird ein Teil des Abgases in den Ansaugtrakt zurückgeführt. Beide Maßnahmen – ob einzeln oder zusammen eingesetzt – verschlechtern die Verbrennung etwas, die Brennraumtemperatur sinkt ein wenig, was weniger Stickoxid im Rohabgas zur Folge hat.

Die Opposition versucht, das gestrige Treffen von Bundesverkehrsminister Scheuer und Daimler-Chef Zetsche für einen Angriff zu nutzen. „Software-Updates sind nur kosmetische Reparaturen und zudem die kostengünstigste Lösung für die Autoindustrie“, kritisierte die verkehrspolitische Sprecherin der Linken, Ingrid Remmers. „Wo bleiben die strafrechtlichen Konsequenzen für die Autoindustrie aus dem fortwährenden Dieselskandal?“ Trotz ständiger Enthüllungen beim Abgasskandal zeige sich die Bundesregierung als Schutzengel der Autoindustrie. Remmers forderte Bußgelder und verpflichtende Nachrüstungen am Motor.

Hofreiter, Fraktionschef der Grünen, forderte eine „andere Verkehrspolitik“ mit Hardware-Nachrüstungen auf Kosten der Autoindustrie, einer blauen Plakette für relativ saubere Autos und „Rückenwind für den öffentlichen Personennahverkehr“. Zudem müsse Scheuer „sämtliche Manipulationen und sämtliche Absprachen zwischen Ministerium und Autoindustrie“ veröffentlichen. „Die Mauscheleien müssen endlich ein Ende haben“, sagte Hofreiter der Neuen Osnabrücker Zeitung (Ausgabe vom 12. Juni 2018).

Was soll nachgerüstet werden?

Sowohl Remmers wie auch Hofreiter ließen allerdings offen, was sie im aktuellen Fall nachrüsten wollen. Die betroffenen Modelle sind mit einem SCR-Kat ausgestattet und dürften über ein Software-Update, das die eingespritzte Adblue-Menge erhöht, relativ einfach niedrigere NOx-Werte erreichen. Nachteil für den Kunden: Er muss öfter Adblue nachtanken. Denkbar wäre natürlich die Nachrüstungen eines zusätzlichen Speicherkats. Doch dabei dürften Aufwand und Nutzen in keinem gesunden Verhältnis stehen.

Die technische Grundlage ist bei einer Abgasnachbehandlung entscheidend. Die meisten Hersteller nutzen zur Reduzierung von Stickoxiden entweder einen Speicher- oder einen SCR-Kat. Ein Speicherkat ist preiswerter und reagiert schon bei vergleichsweise niedrigen Abgastemperaturen. Er muss gegenüber einem SCR-Kat nicht die schlechtere Lösung sein, ist es in der Praxis aber meistens.

Zudem ist ein Speicherkat unflexibel: Stellt ein Sensor einen zu hohen NOx-Eintrag im Rohabgas fest, kann hier nur die AGR-Rate erhöht werden. Mit einem Software-Update wird diese Rate gewissenmaßen dauerhaft etwas höher angesetzt. Das bleibt nicht ohne Folgen: Die Leistung sinkt und der Verbrauch steigt ebenso wie die Gefahr einer Versottung des Ansaugtraktes. Das alles ist bei einem Software-Update für eine Abgasnachbehandlung mit einem SCR-Kat nicht zu erwarten.

(mit Material der dpa)


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