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Abschied vom Land Rover Defender

Der letzte aufrechte Brite

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Gibt es ein Auto, das die britische Nation besser verkörpert als der Land Rover Defender? Er hielt sich stets aufrecht und gerade, hatte sicher seine Eigenarten und Macken, nahm diese aber mit Fassung und Humor, ging immer unbeirrt seinen Weg und eroberte im Laufe der Zeit die halbe Welt

Köln, 22. Dezember 2015 – Gibt es ein Auto, das die britische Nation besser verkörpert als der Land Rover Defender? Er hielt sich stets aufrecht und gerade, hatte sicher seine Eigenarten und Macken, nahm diese aber mit Fassung und Humor, ging immer unbeirrt seinen Weg und eroberte im Laufe der Zeit die halbe Welt.

Nun ist es endgültig: Im stolzen Alter von 67 Jahren läuft der Land Rover Defender aus. Eine britische Ikone mit einer weltweiten Fangemeinde hat das Ende ihrer Produktionszeit erreicht. Die EU hat ihm mit ihren (absolut sinnvollen) Vorschriften zum Fußgängerschutz den Todesstoß versetzt, sonst hätte der Defender vermutlich noch viele Jahrzehnte vor sich gehabt.

Dennoch können es viele Menschen immer noch nicht glauben, denn der kantige Geländewagen war irgendwie schon immer da gewesen. In Großbritannien gehörte er einfach zum normalen Straßenbild und weltweit war es nicht zuletzt der Fernsehserie „Daktari“ aus den 1960er Jahren zu verdanken, dass jedes Kind den Geländewagen kannte. 1947 wurde der Land Rover, noch längst nicht mit dem Beinamen „Defender“, von Rover-Entwicklungschef Maurice Wilks entworfen. Der Legende nach hat er die ersten Entwürfe in den Sand der Red Wharf Bay auf der walisischen Insel Anglesey gezeichnet. Die Idee dahinter war, dass der allradgetriebene Wagen als Nutzfahrzeug Großbritannien wieder auf die Beine oder vielmehr auf die Räder bringen sollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Wirtschaft weitgehend brach und es wurde ein Fahrzeug gebraucht, das möglichst überall durchkam und wenig kosten sollte. Da Stahl sehr rar war, griff Wilks auf eine Aluminiumkarosserie zurück, deren Einzelteile einfach zusammengenietet und auf einen Leiterrahmen mit zwei Starrachsen gesetzt wurde. Ab 1948 wurde der Land Rover in Solihull produziert. Niemand, nicht einmal Wilks, hätte damals mit dem überwältigenden Erfolg des Land Rovers gerechnet.

Liebe auf den ersten Blick

Angeblich war es König George VI., der dem unkonventionellen Geländewagen schon zur Geburt den Ritterschlag verlieh. Der Monarch soll den ersten Prototyp des Land Rovers auf der schottischen Highland Show gesehen haben und wollte ihn spontan kaufen. Doch Wilks soll das Angebot bedauernd abgelehnt haben mit der Bemerkung, dass er den Wagen schon seinem Gutsverwalter versprochen habe.

Ob die Geschichte nun wahr ist oder nicht, sie bezeugt, wie viele Leute sich beim ersten Anblick in die kantige Karosserie mit der fast senkrechten Windschutzscheibe verliebt haben. Dabei zeigt der Wagen auf der Straße keine sonderlich guten Manieren, der Geradeauslauf ist eher mäßig, er schaukelt in Kurven und poltert über Löcher in der Fahrbahn. Er ist laut und die Fensterdichtungen halten nicht unbedingt jedem Regenguss stand. Seine große Stunde schlägt abseits des Asphalts. Wo ein Land Rover nicht mehr durchkommt, schafft es höchstens noch ein Panzer. Deshalb war der „Landy“ auch rasch der Liebling der britischen Landbevölkerung, zumal er auch noch große Anhängelasten ziehen konnte. Ab 1956 erklärte ihn die britische Armee zum Standardfahrzeug für die Truppen. Zwei Jahre später erschien der Land Rover Series II, dessen Ausmaße etwas wuchsen. Zu dem Zeitpunkt genoss er schon eine hohe Beliebtheit als Expeditionsfahrzeug auf allen Kontinenten. Man schätze seine Robustheit und Geländegängigkeit, egal ob in der Gluthitze der Sahara oder in den eisigen Höhen des Himalayas.

Weit weg von perfekt

Dabei ist der Defender alles andere als perfekt. Ganz im Gegenteil weist er viele Makel auf, die jedem anderen Modell vorgeworfen werden würden, aber die Fans verzeihen ihm das und haken es unter liebenswerten Schrulligkeiten ab. Die Heizung dauert Ewigkeiten, ehe sie auch nur einigermaßen Wärme abstrahlt, die Innenausstattung ist bar jeglichen Luxus und die Scheibenwischer könnten auch von einem alten Mini Cooper stammen. Jeder Landy-Besitzer hat sich schon unzählige Male den Ellenbogen an der Innentür gestoßen, denn das Lenkrad ist weit nach außen versetzt, genauso wie die Pedalerie. Doch was zunächst unpraktisch erscheint, erweist sich als unschätzbarer Vorteil, wenn es gilt, sich auf unbefestigten Wegen an den typisch britischen, hüfthohen Steinmauern oder gar im Gebirge an einem Abgrund entlang zu tasten. Der Fahrer kann in schwierigen Geländepassagen, mit dem Kopf nur leicht aus dem Seitenfenster gelehnt, sehen, was das Vorderrad macht.

Einen Entwicklungssprung machte der Land Rover 1983 mit der Serie IV, als die Blattfedern durch Schraubenfedern ersetzt wurden und neue Dieselmotoren zum Einsatz kamen. Die Modelle wurden 90 (Ninety) und 110 (One Ten) getauft, was dem Radstand in Zoll entspricht. Sie kamen in den vier Versionen Station Wagon (geschlossenes Chassis), Hard Top, Plane und Pickup. Außerdem gesellte sich noch der 130 Crew Cab hinzu, der hinter der Einzel- oder Doppelkabine eine offene Ladefläche mit Plane besaß.

1989 bekam er mit dem Discovery ein weiteres Modell zur Seite gestellt und Rover entschied sich, dem Land Rover fortan den Zusatznamen „Defender“ zu verleihen.

Dann kam es für die Briten bitter: 1994 übernahm BMW die Austin Rover-Gruppe und damit auch den Defender. Der englische Nationalstolz war etwas angekratzt, aber immerhin gab es einen von Rover selbst entwickelten neuen Fünfzylinder-Dieselmotor mit Pumpe-Düse-System und 122 PS sowie 300 Nm. Dazu kam sogar ein 3,9-Liter-V8 mit 173 PS, der sich aber aufgrund seines großen Benzin-Durstes nicht so gut wie die Diesel-Variante verkaufte.

Wechselnde Besitzer

Dann wurde Land Rover zum Wanderpokal. Im Jahr 2000 übernahm Ford die britische Marke und der Defender bekam eine leichte Überarbeitung. 2007 hielt ein 2,4-Liter-Turbodiesel mit Direkteinspritzung von Ford Einzug in den Motorraum. Um ihn unterzubringen, wuchs die Motorhaube in der Höhe.

2008 verkauften die Amerikaner die Marken Land Rover und Jaguar an den indischen Tata-Konzern. Entgegen den britischen Befürchtungen blühten die beiden Marken unter der neuen Führung auf und legten in den Absatzzahlen seitdem kräftig zu. Ab 2012 gab es für den Defender einen neuen und vor allem saubereren Vierzylinder-Diesel mit 2,2 Liter Hubraum von Ford, der es weiterhin auf 122 PS brachte und die Euro-5-Norm erfüllte. Viel wichtiger für die Fahrer war aber das Drehmoment von 360 Nm schon bei 2000/min. Vor allem fiel auf, dass die letzte Landy-Evolutionsstufe nun deutlich leiser war. Selbst bei Tempo 120 auf der Autobahn konnte man sich mit seinem Beifahrer unterhalten, ohne sich anbrüllen zu müssen. Zum ersten Mal hob Land Rover die elektronische geregelte Höchstgeschwindigkeit von 128 km/h auf und erlaubte nun 145 km/h. Für Landy-Fahrer ist das kurz vor der Lichtgeschwindigkeit.

Sparsam war der Defender allerdings immer noch nicht, kein Wunder bei einem cW-Wert von 0,65, das entspricht ungefähr der Aerodynamik einer Schrankwand. Interessiert das die Landy-Fans? Nein, sie lieben ihren Anachronismus auf vier grob profilierten Rädern. Viele von ihnen schöpfen die hervorragenden Geländefähigkeiten bis heute aus, andere dagegen fahren ausschließlich durch die Innenstädte und genießen, dass sie die Aura des Abenteuers umweht wie in keinem anderen Auto.

Eine letzte Frist

Eine kleine Gnadenfrist hat Land Rover dem Defender noch eingeräumt. Als die Nachricht langsam ins Bewusstsein der Fans eindrang, dass der Landy Ende 2015 wirklich und endgültig eingestellt werden würde, gab es einen Run auf die Händler. Die Ankündigung, dass es in einigen Jahren einen modernen Nachfolger geben würde, empfanden die meisten wohl nicht als beruhigend, sondern eher als Drohung. So gut wie dieses Jahr hat sich der kantige Brite seit Ewigkeiten nicht mehr verkauft, so dass sich Rover gezwungen sah, ihn noch bis Ende Januar 2016 weiter zu bauen, um alle Bestellungen bewältigen zu können. Immerhin dauert es 16 Stunden bis ein Defender zusammengebaut ist, denn die Produktion erfolgt weitestgehend von Hand, daran hat sich in 67 Jahren nichts geändert. Dabei sind die Defender keine Sonderangebote, die Preise für den 90 starten bei 31.290 Euro, die für den 110 bei 34.690 Euro.

Rund zwei Millionen Defender sind seit 1948 gebaut worden. Etwa 75 Prozent davon sind, laut Land Rover, immer noch im Einsatz. Nun werden keine weiteren mehr dazu kommen.


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